Sie werden weder ausgeblasen und bemalt noch hartgekocht und eingefärbt: Die Eier, die bei Gerold Kellermann im Brutschrank liegen, haben mit dem Osterfest rein gar nichts zu tun. Aus ihnen schlüpfen genau eine Woche vor Ostern Hunderte flauschige Küken, die einmal Eulenbarthühner werden wollen.
Aus den Schubladen des Brutapparats im Keller des Creglinger Hühnerzüchters kommt vielstimmiges Zwitschern. Sobald Gerold Kellermann die Schubladen vorsichtig herauszieht, wird das Zwitschern lauter und die neugierigen Küken heben ihre Köpfchen. Es sind viele gelbe darunter, aber auch welche mit dunklem Flaum. Diese Vielfalt freut Kellermann. Seit 1992 hält der 56-Jährige die seltenen Eulenbarthühner, mittlerweile in neun Farben. Eine dieser Varianten hat er selbst gezüchtet und nach 15 Jahren nun von den Zuchtverbänden anerkannt bekommen.
Die Familie hielt schon immer Hühner
Seine Hühner sind Kellermanns große Leidenschaft. In sie investiert er jede Menge Zeit und Geld. Und er bringt ihnen viel Zuneigung entgegen. Seine Vögel danken es ihm mit Preisen und Auszeichnungen, die der Züchter von jeder Geflügelschau mit nach Hause bringt. Den Tisch im Wohnzimmer ziert eine Hahnen-Skulptur, und als Handy-Klingelton hat Kellermann selbstverständlich ein lautes „Kikeriki“ gewählt.
In seiner Familie wurden schon immer Hühner gehalten. Sein Onkel besaß, in Gerold Kellermanns Kindertagen noch höchst ungewöhnlich, sogar Pfauen. Schon als Kellermann 1988 in den Creglinger Kleintierzüchterverein eintrat, interessierte er sich für ungewöhnliche Rassen. „Aber ohne Connections ist es schwierig, da ran zu kommen“, erzählt er. Ein Bekannter verfügte über solche „Connections“ und vermittelte den Kontakt zu einem Besitzer von Eulenbarthühnern, der die Haltung aufgeben wollte. Kellermann schlug zu, übernahm die Vögel und blieb der Rasse treu. „Die Eulenbärte werde ich mit ins Grab nehmen“, schmunzelt der Stuckateur.

Während der Brutzeit im Käfig
Stolz zeigt er den geräumigen und sauberen Hühnerstall auf dem steilen Hanggrundstück hinter dem Haus. Dort gibt es auch ein großes Freilaufgelände, im Augenblick aber sind die Hühner kaserniert. Es ist Brutzeit. Als Züchter will Kellermann genau wissen, welches Ei welche Eltern hat. Deshalb bleiben alle Hennen in ihren jeweiligen Käfigen, und die Hähne kommen in wechselnder Besetzung dazu.
Im Stall herrscht lärmende Betriebsamkeit. Die „Eulenbärte“ sind große, schöne, selbstbewusste und aufgeschlossene Hühner. Um den Schnabel tragen sie einen opulenten Federpuschel, daher der Name. Der Kamm besteht aus zwei Hörnern, und die großen Augen sind mal bernsteinfarben, mal dunkelbraun. Im 17. Jahrhundert entstand die Rasse in den Niederlanden.
Hühner lieben Möhren und Eier
Gerold Kellermann kennt seine Hühner gut. Rund 60 Hennen hat er und 17 Hähne. Jedes Huhn habe seinen eigenen Charakter, erklärt er. Manchmal stellt er familiärer Gemeinsamkeiten fest. „Ganz der Vater“, denkt er bisweilen, wenn sich bestimmte Eigenheiten von Generation zu Generation vererben. Weil sich Kellermann so intensiv mit seinem Federvieh beschäftigt, bringen ihm die Hühner Vertrauen entgegen.

Allerdings erschleicht er sich die Zuneigung seiner Vögel zum Teil auch mit Bestechungsgeschenken. Wenn die Küken noch klein sind, serviert Kellermann gekochte Eier und geraspelte Möhren. In Hühnerkreisen gilt dieses Gericht als Sterne-Menü. Der Züchter wird daher von den Junghühnern stets begeistert begrüßt.
Auf das Äußere kommt es an
Allerdings erwartet Gerold Kellermann von seinen Eulenbärten auch eine Gegenleistung. Sie sollen möglichst den vorgegebenen Rassestandards entsprechen und bei den deutschland- und europaweiten Geflügelschauen gut abschneiden. Dafür muss man als Huhn vor allem eines sein: schön. Und da in der Welt des Zuchtgeflügels wahre Schönheit durchaus auch von außen kommen darf, hilft Gerold Kellermann im Rahmen des Zulässigen nach. Als Hühner-Stylist macht ihm so schnell keiner etwas vor.
Im Stall packt Kellermann mit geübtem Griff eine farbenprächtige Henne und bringt sie in den Keller mit den Brutapparaten, wo es auch ein Waschbecken gibt. Und ein drehbares Metallgestell, das an einen Designer-Zeitungshalter erinnert. Dorthinein wird das Huhn gesetzt, bis der Züchter mit seinen Vorbereitungen für das Hühner-Styling fertig ist. Der Vogel, als Zuchthuhn eine souveräne und parkettsichere Henne, wartet geduldig.

Bartwäsche mit Shampoo
Dann beginnt Kellermann mit der Verschönerungsprozedur. „Das lohnt sich“, sagt er. Mit warmem Wasser und Shampoo werden die Bartfedern gewaschen, gut ausgespült und mit Küchentüchern vorgetrocknet. Anschließend muss die Henne wieder im Drehgestell Platz nehmen, wo der Federpuschel ordentlich aufgefönt wird. Dann wird noch der Schnabel gefeilt und zum Abschluss der Kamm eingefettet, um ihm den nötigen Glanz zu verleihen.
Pro Huhn eine Stunde Zeit fürs Styling rechnet Gerold Kellermann vor einer Ausstellung. Diese Mühen sind aber rein gar nichts, verglichen mit dem Aufwand, den er zur Anerkennung des von ihm gezüchteten Farbschlags „chamois-perlgrau getupft“ treiben musste. 15 Jahre gingen vom ersten Küken mit dieser speziellen Mutation – „das gab es in der ganzen Hühnerwelt noch nicht“ – bis zur gesicherten Existenz einer eigenständigen farblichen Unterart ins Land.
Vom Pech verfolgt
Das Anerkennungsverfahren zog sich, denn Kellermann schien vom Pech verfolgt. Damit die auserkorenen Exemplare des neuen Farbschlags auch bloß nicht vom Habicht geholt würden, setzte Kellermann sie in Käfige. „Das ging gut bis drei Tage vor der Ausstellung.“ Dann fielen die Bartfedern des schönsten der drei Hähne der Henne im Nachbarkäfig zum Opfer, die den halben Bart in gedankenlosem Übermut ausrupfte.
Panne Nummer zwei: Bei der Ausstellung entfleuchte eine Henne aus dem Käfig und legte in der großen Halle eine Bruchlandung hin. Offenbar zog sie sich eine Zerrung zu und posierte dann in X-beiniger Schonhaltung vor dem Prüfer – aus war der Traum von der Anerkennung. Im darauffolgenden Jahr hätte alles klappen können, wäre die Ausstellung nicht wegen der Vogelgrippe abgesagt worden. Doch 2017 in Erfurt endlich klappte es. Gerold Kellermann ist als Züchter des neuen Farbschlags eingetragen.

Warten auf die Ausstellung
Von den chamois-perlgrau getupften Eulenbärten werden auch bei den gerade geschlüpften Küken wieder welche dabei sein. Gerold Kellermann hat ihr Geburtsdatum absichtlich auf Ende März gelegt. Bis zu den wichtigen Ausstellungen im Herbst werden seine Hühner das ideale Alter haben, um wieder tüchtig abzuräumen.