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GAUKÖNIGSHOFEN: 16 Minuten für die Ewigkeit

GAUKÖNIGSHOFEN

16 Minuten für die Ewigkeit

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    Häufig eine Frage der Zeit: Wie lange soll und darf der Schiedsrichter ein Fußballspiel verlängern?
    Häufig eine Frage der Zeit: Wie lange soll und darf der Schiedsrichter ein Fußballspiel verlängern? Foto: Foto: Joachim Sielski (Imago)

    Man könnte die Sache mathematisch betrachten: Danach hat Ludwig Bauer hochgerechnet mehr als 200 000 Minuten seines Lebens, fast 140 Tage und Nächte, als Schiedsrichter auf dem Fußballplatz verbracht. Was sind dagegen lächerliche 16 Minuten eines A-Klassespiels? Nüchterne Arithmetik aber hilft wenig in einer Branche, in dem es mehr um die großen Gefühle und Emotionen geht. Und deshalb werden Bauer diese 16 Minuten noch etwas länger verfolgen.

    2512 Spiele hatte der 65-Jährige bis Sonntag vor acht Tagen über die Rasenbühne gebracht – nicht immer summa cum laude, aber auch ohne größeren Aufreger. Dann kam Spiel Nummer 2513 – und dass ihm diese Partie genauso in Erinnerung bleiben wird wie Spiel Nummer 1000 im Jahr 1995 zwischen dem SSV Kitzingen und Rekordmeister Bayern München im Sickergrund, liegt an ziemlich exakt 16 Minuten. Um diese Frist hatte Bauer das A-Klasse-Derby des SV Gaukönigshofen mit dem SV Gelchsheim verlängert – unbewusst und ungewollt, wie er später immerhin zugab.

    2513 Einsätze in 51 Jahren und dabei mehr als 200 000 Minuten unter ständiger Beobachtung – das ist eine Rechnung gegen die Wahrscheinlichkeit, dass einem doch einmal ein grober Schnitzer passiert, ein Fehler, der nach dem Abpfiff nicht gleich vergessen ist, ein Bock, über den man noch etwas länger sprechen wird. Der Bremer Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers hat 1994 ein Tor des Müncheners Thomas Helmer anerkannt, obwohl der Ball für alle sichtbar vorbeigegangen war – das Phantomtor von München kostete Nürnberg in letzter Konsequenz den Verbleib in der Bundesliga. Die Geschichte verfolgt Osmers und seinen Linienrichter noch heute.

    „Die schreien immer“

    Vermutlich wird bei Ludwig Bauer rascher Gras über die Sache gewachsen sein, aber mancher wird sich bei seinen Auftritten in nächster Zeit den Hinweis nicht verkneifen können, ob er denn seine Uhr aufgezogen habe. Bauer ist ein Mensch mit Prinzipien und Gewohnheiten – und zu diesen Gewohnheiten gehört es, dass er bei seinen Schiedsrichtereinsätzen einer mechanischen Stoppuhr mit Sekundenzeiger vertraut, die er vor jedem Spiel neu aufzieht.

    „Sie hat mich vorher noch nie im Stich gelassen“, sagt Bauer – und weil das so ist, macht er sich an diesem grauen Nachmittag in Gaukönigshofen auch nichts aus den hartnäckigen Zurufen von draußen: Zeit, Zeit! „Das schreien die immer“, denkt er sich.

    „Vielleicht hat ihm das Spiel so gut gefallen“, sagt ein Unbeteiligter. Tatsächlich entwickelt sich die Partie vor etwa 200 Zuschauern zu einer vibrierenden Angelegenheit. Man kennt ja diese Spiele, in denen es hin und her und rauf und runter geht – und trotzdem kein Tor fallen will. 0:0 steht es auch in Gaukönigshofen, als die Zeit eigentlich abgelaufen ist. Ein Unentschieden, darin sind sich viele später einig, wäre beiden Kontrahenten gerecht geworden. Doch weil für Bauer die Zeit noch nicht reif ist, spitzt sich die Dramaturgie zu. „Es war so spannend“, wird er später sagen, „dass ich aufgepasst habe, dass nichts daneben geht.“ So merkt Bauer nicht, dass die Stoppuhr dem Tempo, das die beiden Mannschaften anschlagen, nicht gewachsen ist. Dass sich die Handlung auf seinem Zifferblatt nur in Zeitlupe abspielt. „Irgendwie ist die Uhr langsamer gelaufen“, muss er später feststellen.

    Hätte er nicht spüren müssen, dass etwas nicht stimmt, vor allem durch die Reaktionen von außen? Hätte er nicht im Gefühl haben müssen, dass die 45 Minuten (samt Nachspielzeit) der zweiten Hälfte längst abgelaufen sind? „Das kann in der Hektik schon passieren“, sagt ein anderer langjähriger Schiedsrichter, „ähnlich ist mir das auch passiert.“ Dummerweise erzielt Johannes Hemm für Gaukönigshofen noch ein Tor, das nach Bauer'scher Zeitrechnung in der 86. Minute gefallen ist, nach Gaukönigshöfer Ermessen in der 94. Minute (so teilt es der Informant nachher dem Mitarbeiter von der Zeitung mit), tatsächlich aber in der 101. Minute. Auch danach ist nicht Schluss. Bauer gibt noch einmal fünf Minuten dazu, in denen ein Gelchsheimer Spieler einen Kopfball neben das Tor setzt.

    Jetzt schwebt das Verfahren

    Als ihn nach dem Schlusspfiff immer mehr Leute auf die üppige Nachspielzeit ansprechen, wird sich Bauer seines Irrtums bewusst. Ihnen erzählt er von den Problemen mit seiner Uhr, wie sich Gaukönigshofens Sportleiter Georg Götz erinnert. Gegenüber der Redaktion hält sich Bauer zwei Tage nach dem Vorfall bedeckt. Die Sache gilt inzwischen als schwebendes Verfahren, der SV Gelchsheim hat gegen die 0:1-Niederlage Einspruch eingelegt.

    Das ist nötig, damit das Sportgericht tätig wird. Dort, beim zuständigen Würzburger Kreissportgericht, ist die Protestnote mittlerweile eingegangen.

    An Pfeifer und seinen beiden Beisitzern Michael Köhler und Stephan Göbel liegt es nun zu entscheiden, ob es sich bei der großzügig bemessenen Nachspielzeit um eine Tatsachenentscheidung handelt, die nicht anfechtbar wäre, oder um einen Regelverstoß. Nur bei einem Regelverstoß könnte die Partie neu angesetzt werden. Bauer, der sich immer in den Dienst der Fairness gestellt hat, hat auch in diesem Fall sein Möglichstes getan, der Gerechtigkeit den Weg zu ebnen – indem er ehrlich zu seinem Fehler stand. Nicht jeder Schiedsrichter hätte die Größe besessen, seinen Irrtum voll und ganz zuzugeben und gegenüber Spielleiter und Sportgericht einzuräumen.

    Auch Pfeifer will sich nicht näher zu der Sache einlassen. An einen vergleichbaren Fall vor dem Kreissportgericht könne er sich nicht erinnern, sagt er nur. 16 Minuten werden auch ihn letztlich Stunden kosten, um zu einem zeitgerechten Urteil zu gelangen.

    Kuriose Nachspielzeiten

    WM 1990: Ganze acht Minuten werden im Halbfinale zwischen Argentinien und Gastgeber Italien in der ersten Halbzeit der Verlängerung nachgespielt. Schieds- richter Vautrot hat einfach die Zeit über- sehen, wie er später einräumt. Es bleibt beim 1:1. Italien gewinnt das Spiel nach Elfmeterschießen.

    WM 1994: Schiedsrichter Mottram aus Schottland lässt in der Vorrundenpartie zwischen Bolivien und Südkorea 13 Mi- nuten nachspielen – die längste Zugabe bei einer WM.

    Bezirksliga Niederrhein: Insgesamt 26 Minuten länger dauert im Sommer 2007 die Vorstellung von Dostlukspor Bottrop gegen BW Wesel. Sieben Minuten in der ersten Hälfte und neunzehn Minuten in der zweiten Halbzeit packt der Schieds- richter oben drauf. Er erklärt das später so: „Ein Zuschauer, der für 90 Minuten Geld bezahlt, sollte auch 90 Minuten zu sehen kriegen.“

    Kreisliga A Berlin: Die Partie zwischen Victoria Friedrichshain und BSC Kickers Berlin geht im Oktober 2013 unverhofft in die Verlängerung – 21 Minuten lässt der Schiedsrichter nachspielen. Der BSC erzielt in dieser Zeit den Siegtreffer zum 2:1, ein Nachspiel vor dem Sportgericht gibt es nicht. Offenbar hält der Schieds- richter bei jeder Unterbrechung die Zeit an. „Wir haben uns während des Spiels gefragt, warum er ständig an seiner Uhr rumfummelt“, sagt ein BSC-Funktionär später. Text: elz

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