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Der neue Papst der Sportwelt

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Der neue Papst der Sportwelt

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    Der Moment der Bekanntgabe: Der scheidende IOC-Präsident Jaques Rogge (links) gibt den Tauberbischofsheimer Thomas Bach (rechts) als seinen Nachfolger bekannt.
    Der Moment der Bekanntgabe: Der scheidende IOC-Präsident Jaques Rogge (links) gibt den Tauberbischofsheimer Thomas Bach (rechts) als seinen Nachfolger bekannt. Foto: Foto: afp

    Es soll ja Optimisten im Thomas-Bach-Lager gegeben haben, die die Wahl ihres Tauberbischofsheimers zum künftigen Chef des Weltsports allen Ernstes bereits klar und im ersten Wahldurchgang prognostiziert hatten, teilweise mit hohen Wetteinsätzen. Das allerdings war dann doch ein wenig zu frech gewesen. „Im ersten Durchgang werden immer ein paar Stimmen höflich an sowieso unterlegene Kandidaten verschenkt“, wies Walther Tröger schon am Montagabend auf die Gepflogenheiten im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) hin. Und das Stimmenverschenken werde auch am Dienstagmittag wieder so eintreffen, fügte der 84-jährige Frankfurter hinzu. Tröger gehört als Ehrenmitglied dem IOC an – und erklärte interessierten Zuhörern einem Schattenmann gleich in den Gängen des „Hilton“-Hotels zu Buenos Aires am Rande der 125. IOC-Vollversammlung immer wieder gerne die ungeschriebenen Gesetze der Sportpolitik.

    Nun, es wurde also der zweite Wahlgang, weil 43 Stimmen zunächst keine absolute Mehrheit bedeuteten: Aber dieser zweite Wahlgang brachte dem von Tröger einst als jüngeren Rivalen bekämpften, inzwischen halbwegs respektierten Kollegen bei 49 von 93 abgegebenen Stimmen den Sieg mit dem erhofften, ersehnten, erstrebten, als Lebensziel auserkorenen Sprung in die (von ihm zuvor im Gegensatz zu den Mitbewerbern bewusst als Ehrenamt angesehene) Position des IOC-Präsidenten. Und – da der Vergleich doch naheliegt: Selbst der relativ flott auf den Heiligen Stuhl gehievte argentinische Papst Franziskus brauchte am 13. März in Rom fünf Wahlgänge.

    Der weiße olympische Rauch stieg auf, als Jacques Rogge um 12.41 Uhr Ortszeit, in Mitteleuropa war es 17.41 Uhr, den Namen seines Nachfolgers in einer standesgemäß zelebrierten Prozedur aus einem weißen DIN-A-3-Umschlag entnahm und vorlas. Fast verwirrt und kurzzeitig verlegen blickte der erst nach links und rechts, als wolle er sich vergewissern, tatsächlich seinen Namen vernommen zu haben. Zwar fasste sich der 59-Jährige rasch, stieg auf, umarmte Rogge knapp, klopfte ihm die Schulter, nicht übertrieben herzlich, aber auch nicht unterwürdig. Dann schritt er im gewohnten, kurzen Ausfallschritt des Ex-Fechters zum Rednerpult – und wurde im aufbrandenden Hoffnungsbeifall der hohen Olympier eine gute Minute lang für seine Verhältnisse tatsächlich verlegen. Bach blickte allen Ernstes ziemlich glaubhaft gerührt drein, wie es sich hinsichtlich eines soeben erfüllten Lebenstraumes gehört. Doch wäre Bach wiederum nicht Bach, ein äußerlich eher sachlicher Mensch, hätte er den Beifall nicht sogleich mit beiden Händen beschwichtigend mäßigend abgedämpft. Und daraufhin bedankte er sich als erstes in elf Sprachen, wie es sich für einen Papst gehört, den künftigen Papst der Sportwelt.

    „IOC-Präsident wird man nicht, ohne es zu wollen.“

    Thomas Bach

    „Ich weiß, ich übernehme von heute an eine große Verantwortung“, sagte er als ersten echten Satz seiner Präsidentschaft – und bat zur Ausübung der Verantwortung seinen schwer vom Parkinson gezeichneten Vorgänger Jacques Rogge um „guten Rat“. Alles andere wäre auch traurig gewesen, zumal sich der Belgier am Ende seiner IOC-Tage nach verbliebenen Herzenskräften mit dem Tauberbischofsheimer einigermaßen versöhnt zu haben scheint. Rogge, so war kolportiert worden, hätte den US-Banker Richard Carrion aus Puerto Rico favorisiert gehabt, der als Finanzier der Olympier die vollen Kassen des Komitees in den vergangenen Jahren noch voller gefüllt hatte. Carrion, Zweiter mit 29 Stimmen, war aber kein Vertreter des realen Sports, und deswegen wird Ex-Segler Rogge auch mit Bach leben können, der sich als Botschafter der Athleten versteht, auch wenn dies nicht alle Athleten ähnlich verstehen. Doch die entspannten Gesichtszüge Rogges beim Zuspruch von Bach in der ansonsten bitter unbeweglich gewordenen Mimik lassen vermuten, dass die beiden einst so bruderhaften Erben von Juan Antonio Samaranch mit sich mittlerweile wieder in Frieden befinden.

    Insofern ist die gestrige Bach-Wahl bloß eine logische Folge der Ereignisse bei der IOC-Vollversammlung vor zwölf Jahren in Moskau. Damals, im Juli 2001, ging es um die Nachfolge des spanischen Dominators Samaranch, der den von ihm intensiver geförderten Deutschen bereits im Alter von 47 Jahren zum IOC-Boss hatte befördern wollen. Seinerzeit zierte sich Bach unter Hinweis auf seine Jugend, was ihm einerseits für zwölf Jahre die unentwegte Folgekritik einbrachte, bloß ein Karrierist zu sein und sein Leben für die Zeit nach Rogge auszurichten. „Mir hat man selbst schon vorgeworfen, eine Karriere zu haben“, sagte Bach dazu unlängst im kleinen Kreis: „Aber IOC-Präsident wird man nicht, ohne es zu wollen.“ Just dies wollte damals auch der mit Bach darob verstimmte Rogge werden, den manche nach Bachs Nein zu Samaranch derweil als lediglich zweitbeste Lösung sahen. Das wusste auch der 71-Jährige, der sich freilich freischwamm, eine Weile tadellos amtierte, ehe ihn die Probleme mit den chinesischen Machthabern 2008 in Peking und die zunehmende Erkrankung irgendwie matt setzten. Wenn er nun den Stab für zunächst acht Jahre – insgesamt sind zwölf Präsidenten-Jahre möglich – an den „dear Thomas“ übergeben hat, erfolgte dies in Konsequenz der Geschehnisse von 2001, die an Bach freilich auch nicht spurlos vorübergingen: Der engste Zögling des heftig unbeliebten Samaranch gewesen zu sein, erweist sich fast als Makel in seiner stromlinienförmigen Vita.

    Wie geht es nun weiter? Thomas Bach wird bereits am kommenden Dienstag, 17. September, seine Geschäfte am IOC-Sitz in Lausanne aufnehmen. Gattin Claudia, die ihren Schuldienst ruhen lässt, zieht mit ihm vorerst ins „Palace“-Hotel am Ufer des Genfer Sees. Jacques Rogge hat sowohl sein Büro als auch seine Wohnung dort längst leer räumen lassen, das IOC hatte hinter den Kulissen schon mehrere Wochen lang eine erst jetzt zugegebene Führungs-Vakanz. Darum drängt’s. Seine zweite Hauptrolle als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wird Bach vermutlich nach einem Empfang bei Bundespräsident Joachim Gauck am nächsten Sonntag in Berlin abgeben. Satzungsgemäß wird der DOSB-Vizepräsident Finanzen, Hans-Peter Krämer aus Köln, sein Interimsnachfolger. Der Schatzmeister, der im Gegensatz zum sprachgewandten Bach lediglich Kölsch und Deutsch beherrscht, wird im Dezember einen Nachfolger gewählt bekommen. Viele Skeptiker befürchten ein arges Loch in der Spitze des deutschen Sports, bei dem Bach mehr oder weniger freiwillig zunehmend Monopolcharakter innehatte.

    Seinen einheimischen Nachfolgern wird Bach sicher noch gute Ratschläge geben können. Doch sein Engagement erstreckt sich nunmehr schlagartig auf alle Länder der Welt. „Über die Wahl bin ich sehr, sehr glücklich, im zweiten Wahlgang gewählt zu werden, ist überdurchschnittlich“, fasste der neue IOC-Präsident die Ereignisse seiner Inthronisierung später zusammen: „Ich war von der fast körperlich greifbaren Unterstützung der Mitglieder aus dem Gremium emotional sehr berührt und bin wirklich ergriffen.“ Nur zur Bestätigung: Am 7. Februar, in nicht mal fünf Monaten, wird ein in Würzburg ausgebildeter Anwalt aus Tauberbischofsheim die Olympischen Winterspiele 2014 eröffnen – vermutlich liefert Gastgeber Sotschi eines der ersten Probleme seiner am gestrigen Dienstag allen Widerständen zum Trotz in Buenos Aires begonnenen Ära.

    -> Politik Seite 1 -> Leitartikel Seite 2

    Thomas Bach

    Geboren: 29. Dezember 1953 in Würzburg.

    Beruf: Wirtschaftsanwalt.

    Olympische Vergangenheit: Mannschafts-Olympiasieger 1976 in Montreal im Florett.

    IOC-Eintritt: 1991.

    IOC-Aufgaben: Präsident (ab 2013), Mitglied der Exekutive (1996 – 2004), Vizepräsident (2004 – 2004 und seit 2006), Vorsitzender der juristischen Kommission, Vorsitzender der Evaluierungskommission für die Winterspiele 2002 und die Sommerspiele 2004, Vorsitzender der Disziplinarkommission bei Olympia, Verkäufer der olympischen TV-Rechte für Europa.

    Andere Aufgaben: Seit 2006 Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

    Besonderheiten: Spricht fließend Englisch und Französisch und ordentlich Spanisch.

    Zitat: „Der IOC-Präsident dient diesem Orchester als Dirigent.“ Texte: dpa

    Die Wahl in Zahlen

    1. Wahlgang

    Thomas Bach (Tauberbischofsheim) 43, Richard Carrion (Puerto Rico) 23, Sergey Bubka (Ukraine) 8, Denis Oswald (Schweiz) 7, Ser Miang Ng (Singapur) 6, Ching-kuo Wu (Taiwan) 6. Stichwahl: Ser Miang Ng 56, Ching-kuo Wu 36. Wu damit ausgeschieden.

    2. Wahlgang

    Thomas Bach 49, Richard Carrion 29, Sergey Bubka 4, Ser Miang Ng 6, Denis Oswald 5.

    Die bisherigen IOC-Präsidenten

    1894 – 1896 Demetrius Bikilas (Griechenland)

    1896 – 1925 Pierre de Coubertin (Frankreich)

    1925 – 1942 Henri de Baillet-Latour (Belgien)

    1942 – 1952 Sigfrid Edström (Schweden)

    1952 – 1972 Avery Brundage (USA)

    1972 - 1980 Michael Killanin (Irland)

    1980 – 2001 Juan Antonio Samaranch (Spanien)

    2001 – 2013 Jacques Rogge (Belgien)

    ab 2013 Thomas Bach (Tauberbischofsheim)

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