Atemlos antwortet Matthias Berneth zunächst auf unsere Fragen. Das liegt daran, dass er gerade beim Joggen ist, während wir ihn auf dem Handy erreichen. Für den 23 Jahre alten Marktbreiter ist derzeit nur Nebensaison in Sachen Hockey, aber fit bleiben muss er dennoch, bis Mitte April der zweite Teil der Bundesligarunde angepfiffen wird. Berneth spielt seit fast drei Jahren für den Nürnberger HTC im Feld. Den Winter über verstärkt er seinen Heimatklub, den Marktbreiter HC, in der Verbandsliga – ein willkommener Ausgleich für jenen Spagat, den er im Herbst und im Frühjahr zwischen Beruf und Leistungssport zu bewältigen hat. Im Interview verrät Berneth, warum er auch in der Bundesliga nichts mit Hockeyspielen verdient und weswegen er über Fußballer schmunzeln muss.
Frage: Sie spielen Hockey in der ersten Bundesliga und gehen tagsüber auf die Arbeit. Ist das der Alltag im deutschen Hockey?
Matthias Berneth: Der Normalfall ist, dass du zur Schule gehst oder studierst. Denn wenn du arbeitest, hast du ja noch weniger Zeit. In höheren Klassen findet man fast nur Schüler, Studenten oder Selbständige. Als normaler Arbeiter ist das alles noch eine Spur härter.
Lässt sich mit Hockey hierzulande kein Geld machen?
Berneth: Es gibt einige Spieler in der Nationalmannschaft, die ihre Sponsoren haben. Aber normalerweise ist Hockey kein Sport, um damit Geld zu verdienen.
Immerhin, so sagt Nationalspieler Timo Weß, habe man als Hockeyspieler seine Ruhe, während man beim Fußball alles mit der „kompletten Nation im Rücken“ mache.
Berneth: Auf der einen Seite ist es ja gut, nicht so im Blickfeld zu stehen. Auf der anderen Seite ist es zuweilen enttäuschend, weil man als Hockeyspieler genauso viel gibt oder – wenn man nebenher noch arbeitet – sogar mehr und letztlich nichts zurückbekommt.
Hockey ist die mit Abstand erfolgreichste deutsche Mannschaftssportart. Aber im Fernsehen bekommt man davon – außer bei Olympia – wenig mit. Wie ist das zu erklären?
Berneth: Zum einen erschließt sich das Spiel auf Anhieb nicht jedem. Die Regeln sind zu kompliziert. Zum an-deren ist vor allem Hallenhockey zu schnell fürs Fernsehen. Der Kameramann hat große Probleme, dem Ganzen zu folgen. Trotzdem müssten die Medien es einfach mal ausprobieren. Handball hat früher auch keiner geschaut, inzwischen läuft der Sport in den großen deutschen Sendern. Aber Hockey ist kein Breitensport. Folglich kann man damit auch nichts verdienen.
Die deutschen Hockey-Männer wurden 2006 Weltmeister im eigenen Lande. Ist von dieser Euphorie irgendetwas geblieben?
Berneth: Ja, das sieht man vor allem im Nachwuchsbereich der größeren Vereine.
Zum ersten Länderspiel nach dem WM-Gewinn kamen nur ein paar hundert Zuschauer anstatt 12 000 wie beim Finale. Ist das nicht die Realität auf deutschem Boden?
Berneth: Es ist schon besser geworden, aber von den Vereinen muss in Sachen Werbung einfach noch mehr kommen.
Sehen Sie Hockey nach wie vor als Randsportart?
Berneth: Mit Sicherheit. Und daran wird sich in nächster Zeit auch nichts ändern.
Die Strukturen im deutschen Hockey sind im Vergleich zu anderen Spitzennationen wie den Niederlanden nicht so professionell. Woran liegt das?
Berneth: Da fragen Sie den Falschen. Das müssen andere nach vorne bringen. In erster Linie sind der Deutsche Hockeybund und die Landesverbände gefordert. Die Spieler können nur einen kleinen Teil zu diesem Thema beisteuern, indem sie Leistung bringen.
Fühlen Sie sich als Hockeyspieler ausreichend respektiert in und von der Gesellschaft?
Berneth: Ich will es mal so sagen: Es kriegt eigentlich – außer im direkten Umfeld – gar keiner richtig mit, was wir machen. Du kriegst nur Respekt, wenn du Olympische Spiele gewonnen hast und die Leute dich auch im Fernsehen groß gesehen haben. Aber danach ist es auch schon wieder vergessen.
Wie würden Sie jemandem den Reiz, das Faszinierende des Hockeyspiels beschreiben?
Berneth: Wer es selbst schon einmal probiert hat, wird automatisch gefesselt von diesem Sport. Dieses Mannschaftsgefühl ist einfach fantastisch, denn alleine bewegt man im Hockey gar nichts. Es bringt nichts, ein Ausnahmekönner zu sein. Man gewinnt nur als Team.
Und deswegen haben Sie sich für Hockey entschieden und nicht für Fußball, das in Marktbreit ja auch großflächig angeboten wird?
Berneth: Das liegt eher am sozialen Hintergrund. Mein großer Bruder hat Hockey gespielt, meine Eltern waren anfangs im Verein aktiv, und meine halbe Schulklasse hatte sich einst für Hockey entschieden. Dadurch waren die ganzen Freunde und Bekannten dort.
Sind Sie bisweilen neidisch auf die Fußballer?
Berneth: Wenn es ums Geld geht, ja. Aber sonst beneide ich sie nicht. Fußball ist ein Sport, der die Massen bewegt und begeistert, aber spielerisch nicht annähernd so reizvoll und anspruchsvoll ist wie Hockey. Fußball, das ist einfach ein Allerlei, wo viel gebolzt und geholzt wird. Als Ausgleich in der Freizeit spiele ich es gerne mal, aber im Verein würde es mich nie reizen.
Ärgern Sie sich wie Hockey-Nationaltorhüter Christian Schulte manchmal über die „Einfallslosigkeit des Spiels“ im Fußball?
Berneth: Ärgern nicht gerade. Aber schmunzeln muss ich ab und zu, wie grobmotorisch etliche Fußballer veranlagt sind.
Hockey gilt noch immer als Zeitvertreib der Oberschicht. Ist das ein Grund, warum der Sport bei der Masse nicht so ankommt?
Berneth: Früher mag es so gewesen sein. Heute ist das alles ein bisschen entspannter. Ich glaube nicht, dass der Sport noch als so elitär betrachtet wird. Hockey ist heute offen für alle Leute, egal, welchen sozialen Hintergrund sie besitzen. Man ist bestimmt nichts Besseres, wenn man Hockey spielt.
Im deutschen Hockey wird gerne von Persönlichkeitsbildung gesprochen, die parallel zum Sport stattfindet. Als Nationalspieler von morgen soll man Ausbildung, Studium oder Beruf mit dem Leistungssport unter einen Hut bringen. Ein hehrer Ansatz?
Berneth: Das führt sicherlich dazu, dass man selbständiger wird. Aber es ist natürlich auch ein unermesslicher Spagat, den man zu meistern hat. Für den einzelnen wäre es besser, wenn er sich voll auf den Sport konzentrieren könnte.
Olympiasieger Timo Weß vertritt die gewagte These, ein Hockeynationalspieler sei – obwohl Amateur – besser trainiert als ein Fußballbundesligaspieler. Hat er Recht?
Berneth: Für einen Nationalspieler, der auf Lehrgängen fit gemacht wird, gilt das auf jeden Fall. Aber die Spitze ist schmal.
Welchen Aufwand betreiben Sie für Sport und für Beruf?
Berneth: Neun Stunden Arbeit, fünf bis sechs Stunden Sport, acht Stunden Schlaf – so läuft ungefähr mein Tag ab.
Sie spielen im Sommer für den Nürnberger HTC in der ersten Bundesliga und im Winter mit dem Marktbreiter HC in der siebten Liga. Wie krass ist da der Unterschied?
Berneth: Enorm. Tempo und Technik sind in der ersten Liga wesentlich höher. Von der Halle zum Feld ist sowieso noch einmal ein riesiger Unterschied. Und emotional liegen Welten zwischen Nürnberg und Marktbreit. Unten geht es sportlich im Verhältnis um gar nichts. Trotzdem ist auf dem Platz mehr Geschrei als in der Bundesliga.
Ernüchtert Sie das manchmal, wenn Sie im Herbst in der Bundesliga das Feld bestellt haben und dann in die Halle kommen?
Berneth: Das ist Erholung pur, weil die Fahrten nach Nürnberg für mich ein riesiger Aufwand sind. Außerdem spielen in Marktbreit ja meine Kumpels, mit denen ich auch sonst unterwegs bin. So betrachtet, ist das keine Ernüchterung, sondern einfach bloß Spaß.
Marktbreit ist der einzige Hockey-Standort im Landkreis Kitzingen. Ist das nicht zu wenig?
Berneth: Das kann man so oder so betrachten. Wäre die Nachfrage höher, könnte es von Vorteil sein, wenn die Konkurrenz größer wäre. Aber im Moment kann es für uns nur positiv sein, dass im näheren Umkreis nichts ist. Würzburg ist der nächste Verein. Viele, die dort studieren, spielen auch da.
Der Nürnberger Hockey- und Tennisclub gilt als reiner Amateurverein, in dem die Spieler sogar die Mitgliedsbeiträge selbst bezahlen . . .
Berneth: . . . richtig . . .
. . . wünschen Sie sich nicht manchmal mehr Professionalität?
Berneth: Sobald es ums Finanzielle geht, sehnt sich, glaube ich, jeder danach. Aber das ist nicht so einfach zu verwirklichen. Ich bin so aufgewachsen und kenne es nicht anders. Deshalb stört es mich auch nicht weiter. Ab März werden wir in Nürnberg zumindest einen hauptamtlichen Trainer haben.
Wie sehen Sie Ihre Perspektiven in Nürnberg?
Berneth: Die Mannschaft spielt von klein auf zusammen. Da hat es einer, der von außen dazustößt, schwer. Inzwischen bin ich zwar schon seit drei Jahren dabei, und unter einem neuen Trainer kann sich einiges ändern. Aber es ist die höchste Spielklasse. Ich komme aus dem kleinsten Hockeyverein Deutschlands, vielleicht sogar Europas.
Welche Chancen geben Sie Ihrer Mannschaft?
Berneth: Es ist ein außerordentlich guter Jahrgang mit viel Potenzial. Inzwischen haben wir drei A-Nationalspieler, Maximilian Müller ist Olympiasieger. Das Problem wird sein, die Leute zu halten, wenn sie mit ihrem Studium fertig sind. Sie gehen zu den Spitzenvereinen, vielleicht auch ins Ausland.
Ist Nürnberg mit seinen Strukturen die Ausnahme in Deutschland? Oder ist die Bundesliga allgemein eher ein Platz für Romantiker?
Berneth: Ich kann nicht in andere Vereine blicken. Aber Klubs wie Rot-Weiß Köln betreiben das schon eine Spur professioneller. Nürnberg ist gerade erst aufgestiegen und muss erst seinen Platz finden. Für die Zukunft kommt aus der eigenen Jugend einiges nach. Aber es ist wie im Fußball: Sobald einer Geld investieren kann, geht es mit der Entwicklung rascher voran.
Wie haben Sie damals den Sprung aus der Provinz, aus dem „kleinsten Hockeyverein Deutschlands“, in die Bundesliga geschafft?
Berneth: Ich spielte mit der Jugend Bayernauswahl und kam mindestens einmal in der Woche zu einem Lehrgang nach Nürnberg. Vor drei Jahren hat mich dann mein damaliger Trainer zum NHTC geholt. Er versuchte, sein Team zu verstärken, und hat dabei noch einmal geschaut, was seine Schützlinge von früher machen. Anscheinend hat er mich auch einmal in Marktbreit beobachten lassen. Für mich gab es nicht viel zu überlegen. Das war die Chance überhaupt, mal herauszukommen und da oben mitzuspielen.
Sehen Sie Ihren Ausbruch als Abenteuer, oder können Sie sich vorstellen, längere Zeit in diesem Reigen der Großen mitzumischen?
Berneth: Im Moment ist das ein reines Abenteuer, weil ich nicht sagen kann, was die nächsten Jahre bringen werden. Man muss sich einmal vorstellen, was das für ein irrer Aufwand ist, wenn man direkt nach der Arbeit um halb sechs Uhr abends losfährt, um halb zwölf heimkommt und am nächsten Morgen wieder um sieben auf die Arbeit muss. Da spielt der Körper irgendwann nicht mehr mit. Deshalb nehme ich mir im Winter auch gerne die Auszeit in Marktbreit in der Halle.
Macht diese Doppelbelastung, so stressig sie sein mag, nicht auch ein Stück weit unabhängig?
Berneth: Man ist nicht existenziell auf den Sport angewiesen und steht deshalb nicht so unter Druck, das ist richtig.
Ist das auch ein Schutz vor Manipulation wie Doping?
Berneth: Ich habe zumindest noch nicht gehört, dass es im Hockey eine besondere Dopingproblematik gegeben hätte. Da es sich um eine Mannschaftssport handelt und man alleine nichts erreicht, müsste schon die gesamte Mannschaft bescheißen, dass es Vorteile brächte. Selbst dann hätte es aber nicht Ausmaße wie beim Radsport.