Dieser eine Tag im September 2000 wird den Fußballer Peter Deißenberger (42) zeit seiner Karriere begleiten. Genau genommen waren es nur 33 Minuten, die ein Schlaglicht auf den damals 23-jährigen Jüngling warfen. Es hätte der Beginn einer wunderbaren Karriere sein können, doch es blieb bei diesem Kurzeinsatz im Bundesligaspiel der Frankfurter Eintracht gegen Dortmund, weil sich die Ereignisse danach überschlugen. Heute, als Spielertrainer des Kreisligisten SV Bütthard, blickt er ohne Wehmut auf diese Zeit, die für ihn mehr war als dieser eine Einsatz unter Felix Magath. Im Interview spricht Deißenberger über Leistung und Respekt, ein etwas verschlamptes Talent und die Champions League des Amateurfußballs.
Frage: Wissen Sie, dass Sie eine Person der Zeitgeschichte sind?
Peter Deissenberger: Äh, nein. Inwiefern?
Sie haben ein Profil bei Wikipedia. Wussten Sie davon?
Deissenberger: Ach so, ja – das habe ich gesehen.
Als Ihr Geburtsdatum liest man dort: „1. November oder 1. Dezember 1976.“ Was stimmt denn nun?
Deissenberger: Ja, ist mir auch aufgefallen. Richtig ist: 1. Dezember. Müsste ich mal korrigieren lassen.
Was glauben Sie: Was macht Sie für Wikipedia interessant?
Deissenberger: Ich denke, das ist mein fußballerischer Werdegang, meine Zeit als Profi. Was anderes ist in dem Eintrag ja auch nicht zu lesen.
Man liest darin auch dieses eine Datum, auf das man immer wieder stößt, wenn Ihr Name ins Spiel kommt: Am 29. September 2000 hatten Sie bei Eintracht Frankfurt unter Trainer Felix Magath Ihren einzigen Bundesligaeinsatz. 33 Minuten für die Ewigkeit. Wie oft haben Sie diese Geschichte schon erzählt?
Deissenberger: Ach, schon ein paar Mal. Es war ja auch ein schöner Moment, und wenn mich einer darauf anspricht, erzähle ich gerne davon. Wobei das jetzt schon fast 20 Jahre her ist.
Also ist es nur ein Fetisch der Medien?
Deissenberger: Na ja, für eine Zeitung ist es halt ein Aufhänger. Ich habe da auch gar nichts dagegen.
Fühlen Sie sich manchmal zu Unrecht auf diesen einen Einsatz reduziert?
Deissenberger: Nein, ich beschwere mich nicht. Aber meine Karriere besteht nicht nur aus diesem Einsatz. Es war ein Ausschnitt aus sieben, acht Jahren als Fußball-Profi. Dass ich auch 130 Drittliga-Spiele gemacht habe, wird nie so erwähnt.
Ist die Erinnerung an diesen zauberhaften Abend bei Ihnen noch präsent – oder verblasst das nach und nach?
Deissenberger: Klar wird einem das immer im Gedächtnis bleiben. Ich stand damals bei der Eintracht 10 bis 15 Mal im Kader. Das waren immer tolle Erlebnisse im Stadion – auch wenn ich mich nur warm gemacht habe und gar nicht reingekommen bin. In Hamburg, in Cottbus, auf Schalke. Aber auch später in der Dritten Liga, in Offenbach oder bei den Stuttgarter Kickers.
Lassen Sie uns noch einen Augenblick bei diesem einen Abend bleiben. Im Waldstadion leuchtete das Flutlicht, Gegner war Dortmund, und Sie kamen in der 57. Minute ins Spiel. Was hat sich da noch festgesetzt?
Deissenberger: Ich war nicht darauf gefasst, überhaupt eingewechselt zu werden. Wir waren auf der Runde zum Warmlaufen, da kam die Entscheidung von Felix Magath, mich zu bringen. Das ging alles ganz schnell: hin zur Bank, umgezogen, dann rein. Da konnte man nicht groß nachdenken. Auf dem Platz lief es auch ganz gut für mich, das bekam ich später vom Trainer bestätigt. Mein Problem war nur, dass Felix Magath danach relativ rasch gehen musste . . .
. . . und Sie damit Ihren Fürsprecher und Förderer verloren.
Deissenberger: Er hatte mich zur Eintracht geholt. Wäre er geblieben, hätte ich vielleicht mehr Einsätze bekommen und meinen Weg gemacht.
Sie überlegen sich schon, was in diesem Fall aus Ihnen geworden wäre?
Deissenberger: Im Grunde hängt es immer an einem selbst, was man aus seinem Leben und seiner Karriere macht. So war es auch bei mir: Ich hatte genug Chancen im Fußball, ich hatte Glück und Pech, und manchmal fragst du dich: Was hättest du erreichen können? Aber ich bin nicht unzufrieden, so wie es gekommen ist. Viele würden mit mir tauschen, mit dem, was ich erlebt habe. Das nimmt mir keiner.
Sie haben wirklich nie mit Ihrem Schicksal gehadert?
Deissenberger: Na ja, wenn man älter wird, sagt man sich schon: Da hatte ich die Chance, da hätte ich das eine oder andere Prozent mehr rausholen können. Ich glaube, dass ich es vom Talent her auf einige Bundesliga-Einsätze mehr hätte bringen können. Vielleicht war ich ein bisschen zu schlampig – oder zu bequem.
Hatten Sie noch Kontakt zu Felix Magath, nachdem er weg war?
Deissenberger: Nein, als wir mit dem Würzburger FV vor ein paar Jahren im DFB-Pokal gegen Wolfsburg spielten, sprachen wir kurz miteinander. Aber weiteren Kontakt mit ihm gab es nicht.
Was haben Sie von Magath gelernt?
Deissenberger: Man erzählt sich ja viel über ihn – auch darüber, wie er trainiert. Das Training war natürlich sehr, sehr hart, dafür waren wir als Mannschaft absolut fit. Ich habe Felix Magath immer als gerecht empfunden, er hat keinen bevorzugt, sondern immer auf den individuellen Einsatz jedes Einzelnen geschaut und das dann zum Maßstab für seine Aufstellung erhoben. Dieses Verständnis von Gerechtigkeit habe ich auf jeden Fall von ihm gelernt. Ich habe auch gelernt, an Grenzen zu gehen und dass man aus dem Körper manchmal mehr herausholen kann, als man selbst glaubt.
Was geben Sie davon als Trainer an Ihre Mannschaften weiter?
Deissenberger: Auch wenn das vom Niveau her schwer zu vergleichen ist, mein Credo ist: Eine gewisse Fitness brauchst du, sonst wirst du deine Ziele mit der Mannschaft nicht erreichen. Da nützt dir auch dein ganzes Talent nichts. Das gebe ich meinen Spielern mit auf den Weg.
Können Sie bei Ihren Jungs mit Ihrer Vergangenheit als Profi punkten?
Deissenberger: Die wissen natürlich davon, aber es ist kein Thema in der Mannschaft. Ich mache das nicht zum Thema, und die Spieler machen es auch nicht. Ich möchte das auch gar nicht, denn ich kann mir davon ja nichts kaufen. Ich bin der Trainer, und wenn ich das Spiel verliere, hilft es mir auch nicht, dass ich sieben Jahre Profi war. Wir gehen respektvoll miteinander um, meine Vergangenheit spielt da keine Rolle.
Ihr besonderer Moment ist ja noch nicht einmal auf YouTube abrufbar, wo Ihre Jungs zufällig darauf stoßen könnten.
Deissenberger: Ja, stimmt leider. Das finde ich auch ein bisschen schade (lacht). Ich würde mich selbst gerne noch einmal sehen. Aber ich fürchte, den Schnipsel gibt es nirgendwo mehr.
Spüren Sie bei den Gegnern auf dem Platz besonderen Respekt Ihnen gegenüber?
Deissenberger: Nein. Der Name allein hilft einem nicht, die Leistung dahinter muss passen. Wenn da einer kommt, der vor 15 Jahren mal Profi war und jetzt nichts mehr auf die Reihe bringt, verschafft man sich keinen Respekt. Ich hatte gerade in Bütthard eine erfolgreiche Zeit, ich war ja vor einiger Zeit schon einmal zwei Jahre dort; auch damals sind wir aufgestiegen. Ich denke, den Respekt im Verein und bei den Gegnern habe ich mir durch Leistung erarbeitet, nicht durch das, was einmal war.
Sie haben bei Ihrem ersten Engagement in Bütthard ein Relegationsspiel vor mehr als 2000 Zuschauern absolviert und gewonnen. Ist das so etwas wie die Champions League des Amateurfußballs?
Deissenberger: Ja, das sehe ich so. So viele Zuschauer auf dieser Ebene, das ist einmalig. Das Spiel wurde wegen des großen Andrangs 20 Minuten später angepfiffen. Natürlich war das etwas Besonderes, das es in dieser Form so schnell nicht mehr geben wird. Da hat alles gepasst: die Konstellation mit Bütthard und Hopferstadt als Gegnern, das Wetter, und: Es war ein Spiel mit einer klaren Botschaft: Der Gewinner ist oben, der Verlierer unten. Heute hast du ein Hinspiel und ein Rückspiel, das macht die Relegation ein Stück weit kaputt, weil der Reiz verloren geht. Dieses eine Spiel in Gaukönigshofen vor so einer Kulisse wird mir immer in Erinnerung bleiben, natürlich auch, weil wir es gewonnen haben und aufgestiegen sind.
Können Sie sich an die Überschrift von damals in dieser Zeitung erinnern?
Deissenberger: Ich glaube, es war: Peter, der Große.
Sie haben das Spiel in seine Bahnen gelenkt, sind inzwischen 42. Wie lange soll das noch gehen mit der aktiven Karriere?
Deissenberger: Ab Sommer bin ich erst einmal in Thüngersheim, wo ich für zwei Jahre als Spielertrainer zugesagt habe. Ich hatte das Glück, dass ich in meiner ganzen Laufbahn kaum größer verletzt war. Da habe ich offenbar gute Gene mitbekommen. Natürlich ist es gerade im Winter manchmal eine Qual. Es ist nicht so, dass einem das nichts mehr ausmachen würde. Aber ich fühle mich noch zu gut, um aufzuhören.
Welche Überschrift würden Sie Ihrer Fußballer-Karriere geben?
Deissenberger: (überlegt lange) Er hat leider etwas zu wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht.
Wie wäre es mit „Der Unvollendete“?
Deissenberger: Das hört sich ein bisschen hart an. Es ist ja nicht so, dass ich nichts erreicht hätte.