Der letzte Stadionbesuch Stefan Rösers liegt zwei Jahre zurück. Es war die Partie des FC Bayern München gegen Borussia Dortmund, und wäre er nicht „vom Chef hinzitiert“ worden, wie Röser sagt, um Kunden des Hauses zu betreuen, er hätte wohl auch diesen Ausflug geschwänzt. Röser geht nicht mehr gern ins Stadion. Zu gedankenschwer sind für ihn diese Besuche, zu sehr tut sich dabei ein Zwiespalt auf, in den er beim Anblick solcher Bilder immer wieder zu fallen droht. Da wird der 1,96 Meter große Torwart vom Typ deutsche Eiche auf einmal sentimental. „Ich habe Wehmut“, sagt er. „Nicht dass ich mir Vorwürfe machen würde, aber ich denke mir dann immer: Was wäre gewesen, wenn . . .?“
Was wäre gewesen, hätte er seinerzeit das Angebot des FC Bayern München angenommen, in der Amateurmannschaft des deutschen Edel- und Champagnerklubs zu spielen? Es war an einem unscheinbaren Nachmittag des Jahres 2004, als Röser aus der Provinz auszog, um in der Weltstadt eine Kostprobe seines exquisiten Könnens als Torwart zu geben. „Ich war richtig gut drauf an dem Tag. Der Bernd Dreher hat auf mich geschossen wie ein Wilder. Irgendwann sagte er zu mir, du bist ja fast wie der Olli Kahn“, hat Röser einmal über sein Probetraining erzählt. Er sprach mit seiner Familie, seiner heutigen Frau – und sagte den Bayern ab. „Ich bin ein bodenständiger Mensch. Ich hatte immer ein ungutes Gefühl, von zu Hause wegzugehen“, sagt er. Zwei Jahre später wollte ihn der FC Augsburg für sein Zweitliga-Team verpflichten, und auch den Schwaben gab Röser einen Korb. Als der FC Schweinfurt daraufhin um die Gunst des Torhüters buhlte und ihm beinahe professionelle Bedingungen in Aussicht stellte, wurde er schwach. Er hatte seinem Arbeitgeber schon gekündigt, dann ging Schweinfurt Konkurs. „Ich war eine Woche arbeitslos, konnte zum Glück zurück in meinen alten Beruf“, sagt der Automobilkaufmann. „Bei einem anderen Arbeitgeber wäre ich vielleicht auf der Straße gestanden.“
Röser hat dem Fußball viel Zeit seines Lebens gewidmet, aber er hat den Fußball immer nur als Teil dieses Lebens begriffen. Man könnte ihm vorwerfen, das Risiko gescheut und sich vor der Herausforderung gedrückt zu haben, aber er hat sich eine pragmatische Philosophie zurechtgelegt. „Du bist zehn Jahre Profi, spielst vielleicht Regionalliga, aber was ist dann?“ Die Konkurrenz am Markt ist groß. Röser, der mit neunzehn schon den Sprung in die Bayernliga geschafft hatte, entschied sich dazu, sein Schicksal nicht von einigen gewonnenen oder verlorenen Spielen abhängig zu machen, sich nicht treiben zu lassen von einer unwägbaren Masse. Der Spatz in der Hand schien ihm sicherer als die Taube auf dem Dach. Dass er mit 27 Jahren darüber nachdenkt, die Torwart-Laufbahn zu beenden, passt zu dieser Strategie. Vor knapp einem Jahr ist er Vater geworden, der Beruf fordert ihn auch samstags. Da bleibt kaum noch Zeit, auch noch das Tor seines Klubs Bayern Kitzingen in der Landesliga zu hüten.
Dass ihm in dieser Saison fast Woche für Woche Lobeshymnen gewidmet werden, dass er in einem jungen Team zu den wenigen Konstanten gehört und er mit seinen Reflexen und Paraden manchen Punkt gerettet hat, macht ihm die Entscheidung, aufzuhören, nicht gerade leichter – zumal da auch noch „mehrere Anfragen höherklassiger Vereine“ sind, die ihn in diesen Tagen erreicht haben. Es sind Angebote, die ihm schmeicheln und die ihn sogar reizen. Aber er will deswegen keinen Ehekrach riskieren, wie er lächelnd erklärt. „Ich werde mich sicherlich nicht scheiden lassen, um eine Regionalligakarriere zu starten.“ So könnte diese Landesligarunde bereits zur Abschiedstournee eines Torhüters werden, dem man angesichts seines Alters und seiner fortgesetzten Großtaten eher den zweiten Frühling als den Herbst der Karriere andichten würde. Frühestens im Februar kommenden Jahres will Röser sich festlegen, ob er seine Flugschau verlängern wird. Zeit genug für die Verantwortlichen Bayern Kitzingens, den Torwart in seinen Absichten noch umzustimmen.
Die Kitzinger haben nicht viel Personal vom Schlag eines Stefan Röser, das sich schon höherklassig bewährt hat. So gesehen, war die Ankunft des Schlussmanns im vergangenen Sommer am Bleichwasen eine glückliche Fügung. Neben Stefan Güntner oder Stefan Schöderlein (der noch immer nicht spielen kann) ist er einer derjenigen, der dem jungen Team bei dessen Vorstoß auf unerforschtes Terrain Halt und Orientierung zu geben vermag. „Ich war ein bisschen skeptisch vor der Saison“, sagt Röser, „weil ich nicht wusste, ob die Mannschaft landestauglich sei.“ Diese Zweifel haben sich inzwischen zerstreut, und Röser ist sich nicht ganz sicher, ob das nun der Stärke der Bayern oder der Schwäche der Klasse geschuldet ist, die viel von ihrem einstigen Schrecken verloren hat. „Ich bin froh, dass das nicht mehr die Landesliga von vor sieben, acht Jahren ist“, sagt Röser. Dem Torwart schwirrt sogar die Vision durch den Kopf, in Kitzingen ein Team von Bayernligaformat zu installieren. Dazu müssten freilich alte ideologische Denkmuster aufgebrochen und neue Allianzen geschmiedet werden – vorrangig zwischen den Bayern und dem SSV. „Mein Traum ist die Fusion. Wir haben doch hier beste Voraussetzungen“, sagt Röser mit Blick auf die gut aufgestellten Nachwuchsabteilungen beider Klubs und die passende Infrastruktur in Kitzingen. Fromme Wünsche an die Zukunft. Eher wird Stefan Röser in der Arena des FC Bayern wieder von der Vergangenheit eingeholt werden.