Karo Murat streckt seinen linken Unterarm aus. Dorthin hat er sich vor geraumer Zeit eine Tätowierung stechen lassen: ein Kreuz, an dem ein Paar Boxhandschuhe hängen. Es ist Kunst, die unter die Haut geht. „Gott möge mich beschützen“, sagt Murat über die Symbolkraft der bunten Na- delstiche. Er sagt, er sei ein gläubiger Mensch. Armenien, das Land seiner Vorfahren, war der erste christliche Staat der Weltgeschichte. 95 Prozent der Menschen dort sind orthodoxe Christen. Glaube, Hiebe, Hoffnung haben Murats Leben einen Sinn gegeben. Denn lange Zeit hatte er so gut wie nichts: keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Arbeitserlaubnis, nur Zeit im Überfluss, nachdem er 1996 als religiös Verfolgter mit den Eltern und seinen älteren Brüdern aus dem Irak nach Deutschland geflohen war. Murat kam auf dumme Gedanken, umgab sich mit den falschen Leuten und machte sich strafbar. Es folgten zwei Wochen Untersuchungshaft sowie die Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen gemeinschaftlichen Einbruchsdiebstahls in einen Elektronikmarkt. Murat war damals achtzehn, fünf Jahre ist das jetzt her.
„Ich habe aus meinen Fehlern gelernt“, sagt er heute, nachdem er sich durch den schwersten Tiefschlag außerhalb des Ringes geboxt hat. Der Sport und der Wille, zu den Besten zu gehören, haben sein Leben in eine neue Richtung gelenkt. Murat, der im Kitzinger Kraftsportverein anfing, ist so gut geworden, dass ihn der arrivierte Manager Wilfried Sauerland seit zehn Monaten als Berufsboxer beschäftigt. Elfmal hat Murat seither geboxt, ebenso oft hat er gewonnen, siebenmal nach einem Knockout des Gegners – Kunst, die auf die Haut geht. „Meine Traumsportart war Boxen nie. Es ist nicht so toll, immer auf die Fresse zu kriegen. Aber man kann sich hochboxen und Popularität erringen. Mein Ziel ist es, Weltmeister zu werden.“ Sechseinhalb Tage in der Woche trainiert Murat unter der Obhut von Ulli Wegner in der Berliner Max-Schmeling-Boxhalle. Mit seinem Bruder Koko und dem Würzburger Alexander Frenkel, ebenfalls bei Sauerland unter Vertrag, teilt er sich eine Wohnung in Berlin-Charlottenburg neben dem Olympiastadion.
„Mein Ziel ist es, Weltmeister zu werden.“
Karo Murat, Berufsboxer aus Kitzingen
Dieser Tage hat er die Hektik der Hauptstadt hinter sich gelassen: Murat verbringt seinen Jahresurlaub in Kitzingen, volle drei Wochen. Er bummelt durch die Innenstadt, trifft Freunde und geht am Main spazieren. Es ist die erste längere Pause, die er sich seit seinem Profidebüt nehmen durfte. Er schöpft Kraft für neue Taten. Demnächst kommen die Gegner mit den besseren Namen, frühere Weltmeister in der Supermittelgewichtsklasse. Angst hat Murat vor ihnen nicht. „Ich weiß, dass ich noch nicht zu schlagen bin“, sagt er mit einem Grinsen unter der breiten Boxernase. Und sein Bruder Howanes, selbst ein erfolgreicher Amateurboxer, fügt hinzu: „In einem Jahr ist er Weltmeister, es gibt keinen Besseren.“ Trainer Wegner bleibt auf Di-stanz, wenn er über die Zukunft seines Zöglings sprechen soll. „Karo hat eine gute Perspektive, doch er muss noch taktisch besser werden“, sagt der 65-Jährige. „Es dauert alles noch ein bisschen.“
Vor ein paar Tagen ist Murat beim Würzburger Kiliani-Boxen als Ehrengast am Ring empfangen worden, er schrieb Autogramme, ließ sich fotografieren.„Ein unwirkliches Gefühl“, sagt er verblüfft angesichts seiner ra- santen Entwicklung im vergangenen Jahr, „dort habe ich meinen letzten Amateurkampf bestritten.“ Mittlerweile boxt er nicht mehr im Festzelt, sondern im Rahmenprogramm der Weltmeister in den großen Hallen. Zuweilen reist er für einen Kampf auch nach Österreich, Spanien oder Russland. Doch dort gefällt es Murat meistens nicht. Die Veranstaltungen, so sagt er, seien schlecht organisiert. Zuletzt in Moskau störten ihn schon allein die Umkleidekabinen. Die Toiletten lagen am anderen Ende der Halle.