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JUDO: Der sanfte Weg, wie Kinder regeln lernen

JUDO

Der sanfte Weg, wie Kinder regeln lernen

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    Sie stärken einander den Rücken: Nicola (links) und Dominice Weiglein sind nicht nur beim Judo ein echtes Team.
    Sie stärken einander den Rücken: Nicola (links) und Dominice Weiglein sind nicht nur beim Judo ein echtes Team. Foto: Foto: Eike Lenz

    Ein Wintertag in Iphofen. Draußen hat es Minusgrade, drinnen, in der Karl-Knauf-Sporthalle, tollen etwa 40 Kinder und Jugendliche barfuß und in schneeweißen Judoanzügen auf einer Insel aus bunten Matten herum. Sie zu bändigen ist die Aufgabe von Nicola und Dominice Weiglein. Beobachtet von einigen Eltern am Hallenrand, unterrichten die beiden Trainerinnen eine aufgekratzte Menge jeden Mittwochabend eineinhalb Stunden lang in der sanften Kunst des Judokämpfens. Nach Ende der Einheit bleibt Zeit für ein Gespräch: über die Konkurrenz der beiden Schwestern, Judo als Therapie, die Erwartungen von Eltern und darüber, warum Mädchen in der Pubertät mit Judo fremdeln.

    Frage: Wie war das früher im Hause Weiglein, wenn Sie miteinander gestritten haben? Brauchte es da den einen oder anderen Judogriff zur Selbstverteidigung?

    Nicola Weiglein: Gar nicht. Wir haben uns schon immer gut verstanden. Und beim Judo waren wir altersmäßig fast immer voneinander getrennt.

    Dominice Weiglein: Wir haben nie gegeneinander gekämpft. Aber trainiert haben wir zusammen.

    Vermutlich sind Sie auch gemeinsam zum Judo gekommen?

    Dominice: Ich kam durch einen Freund aus dem Kindergarten dazu. Der fragte mich, ob ich mit ihm anfangen wolle. Da war ich fünf. Ich habe es mir angeschaut und bin dabei geblieben. Und du bist dann durch mich dazugekommen, oder? Nicola: Genau. Ich habe immer wieder mal zugeschaut und unser Trainer damals meinte, wenn ich wollte, könnte ich ja gerne mitmachen.

    Was tut man als Fünfjährige beim Judo? Geht es da schon ums Kämpfen?

    Dominice: Als ich anfing, wurde ja noch alte Schule gelehrt: eineinhalb Stunden Training, davon eine Stunde Judoübungen. Da wurde nicht groß geschaut, dass man die Kinder bei der Stange hält. Wer aufgehört hatte, der war eben weg. Nicola: Das spielerische Judo, das heute vermittelt wird, gab es so nicht. Das kam erst mit der Zeit.

    Wie war das früher bei den Wettkämpfen? Blickt man da auf die kleinere Schwester, wie erfolgreich die ist? Gibt es Neid?

    Dominice: Sie fuhr hin, und wir wussten: Sie wird sowieso wieder Erste. Ich musste mir das über Jahre hart erarbeiten, weil mir zunächst die technischen Grundlagen fehlten. Erst mit der Zeit ist dann bei mir der Knoten geplatzt. Aber Neid? Nein.

    Nicola: Wir haben ja nie in der selben Alters- oder Gewichtsklasse gekämpft. Ich war schon immer drei Jahre jünger. Da stand nie etwas zwischen uns.

    Sie waren viel unterwegs. Wann haben Sie für die Schule gelernt?

    Nicola: Im Auto . . .

    Dominice: . . . oder gar nicht.

    War es in der Schule auch so, dass Ihnen, Nicola, alles zugeflogen ist?

    Nicola: Da waren wir gleich . . .

    Dominice: . . . gleich schlecht. Aber fürs Abi haben wir uns noch einmal zusammengerissen. Dafür haben wir uns dann aufs Studium konzentriert.

    Haben Ihre Eltern während Ihrer Schulzeit nicht mal Druck gemacht?

    Nicola: Nein, unsere Mama hat halt darauf geachtet, dass es passt, und wenn wir in München waren, habe ich eben in der Halle Vokabeln gelernt.

    Weshalb sollten Eltern ihre Kinder ausgerechnet zum Judo schicken?

    Nicola: Weil Kinder bei uns nicht nur Judo beigebracht bekommen: Sie lernen das Koordinative und zum Beispiel das Fallen. Das ist wichtig, gerade wenn sie auf dem Pausenhof Blödsinn machen und mal stolpern. Die Kinder lernen auch Disziplin anderen gegenüber, denn Judo macht man ja nicht alleine, sondern immer mit Partner, den man respektvoll behandeln muss. Man nutzt dabei dessen Bewegungs- und Kraftrichtung, um selbst Kraft zu sparen.

    Dominice: Und es geht um Werte. Wir haben zehn Judo-Regeln, die schon bei den Kleinen groß geschrieben werden. Bei uns gibt es keinen Außenseiter, auch nicht in einer großen Gruppe.

    Wie erleben Sie die Kinder, die zu Ihnen kommen: Sind die gestresst, unruhig, aggressiv?

    Nicola: Das ist unterschiedlich. Wir haben Kinder, die von Anfang an voll bei der Sache und sehr diszipliniert sind. Aber wir erleben auch Kinder, die aufgedreht sind. Die zu uns ins Training kommen, weil es der Lehrer oder der Arzt empfohlen hat. Wir kriegen das normalerweise in den Griff. Man merkt, dass das Training wirkt. Nach einiger Zeit sind sie ausgeglichener.

    Dominice: Vor allem die Kleinen. Wenn die mit fünf zu uns kommen und erst einmal ein Jahr Judo gemacht haben, haben sie Disziplin gelernt – selbst die, die am Anfang kaum zu bändigen sind.

    Nicola: Bei einigen, die hier anfingen, fragte man sich: Kriegt man das noch hin? Das sind heute auf der Matte die anständigsten und ruhigsten Kinder . . .

    Dominice: . . ., die sich auch in eine Gruppe einfügen.

    Gibt es auch Kinder, die Sie wieder nach Hause schicken?

    Nicola: Wenn sich einer so gar nicht beherrschen kann oder sich gegenüber anderen aggressiv verhält, muss er mal eine Strafübung machen. Anschließend klappt es in der Regel wieder.

    Dominice: Man muss den Kindern Grenzen setzen. Und die wissen auch genau, wie weit sie gehen können.

    Wie gelingt Ihnen das: den Kindern „Grenzen zu setzen“?

    Nicola: Wir waren ja beide viel auf Lehrgängen und haben während des Studiums in der Schulbetreuung an Grund- und Mittelschule gearbeitet. Aus dieser Zeit haben wir viel mitgenommen.

    Aber ein ausgeglichenes Gemüt braucht es schon auch, oder?

    Nicola: Das Wichtigste ist, sich auf die Kinder einzulassen. Wir kommen direkt von der Arbeit in die Halle, machen eineinhalb Stunden Training, und manchmal sind die Kinder aufgekratzter. Auch wir haben schlechte und gute Tage.

    Kommt das natürliche Rangeln und Raufen heute zu kurz? Braucht es das wieder in Schule und Kindergarten?

    Nicola: Wir haben das ja schon gemacht im Kindergarten, nennt sich Bärchenprojekt. Da kam am Vormittag ein Trainer und übte mit den Kindern dann eine Stunde lang rangeln, raufen, turnen, spielen. Das wurde gut angenommen.

    Wann beginnen Sie mit den Kindern die richtige Judoschule?

    Dominice: Es gibt Judo im Elementarbereich, das mit vier, fünf anfängt. Da geht es bereits um Judo, spielerisch verpackt in Geschichten, in Märchen . . .

    Märchen beim Judo? Erzählen Sie doch mal?

    Dominice: Man muss da kreativ sein. Zauberwald oder vor Weihnachten die Wichtelwerkstatt . . .

    Nicola: . . . da wird ein Bewegungsparcours aufgebaut. Oder wenn wir einen Judo-Wurf machen, wird der eben umbenannt, so dass sich das Thema durch das ganze Training der Kleinen zieht.

    Dominice: Natürlich machen wir auch Judo mit denen. Es gibt mit fünf auch schon eine Gürtelprüfung. Dafür müssen die Kinder gewisse Techniken beherrschen. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf Motorik und Koordination. Was die Kinder bei uns motorisch lernen, können sie auch für andere Sportarten brauchen.

    Nicola: Rolle vorwärts ist am Anfang bei den Kleinen immer ein großes Thema – und ein großes Problem.

    Dominice: Wir haben auch Kinder, die in der Entwicklung hinterherhinken – das erzählen einem die Eltern auch. Und wenn die Kinder in einem halben Jahr einen so großen Sprung machen, dass sie problemlos durch den Einschulungstest kommen, ist das auch für uns eine Bestätigung.

    Judo wird von Kinderärzten und auch -Psychologen empfohlen. Was kann Judo mehr leisten als andere Sportarten?

    Nicola: Judo zielt verstärkt auf die einzelne Person ab. Man steht nicht da wie beim Fußball: elf Mann auf dem Feld verteilt, und alle versuchen, den Ball ins Tor zu schießen, sondern geht individueller auf den Sportler ein. Dazu kommt der Partner: Man hat beim Judo eine Verantwortung – für sich selbst und für den anderen.

    Dieses Sich-Durchsetzen, ohne dem anderen weh zu tun, unter Einhaltung sportlicher und gesellschaftlicher Regeln: Müssen das viele Kinder erst wieder lernen?

    Nicola: Ja, wir haben das auch während der Schulbetreuung mitbekommen. Im Vergleich zu unserer Zeit gab es eine 180-Grad-Wende. Wir sind damals nach Hause gekommen, und nach den Hausaufgaben ging es wieder raus zum Sport. Die Kinder heute haben weniger Zeit, haben einen getakteten Zeitplan. Es gibt viele, die von der Nachmittagsbetreuung direkt zu uns ins Training kommen, das merkt man ihnen auch an. Die sind einfach unausgeglichener.

    Dominice: Viele kommen und bräuchten an diesem Tag eigentlich nichts mehr. Dann machen wir halt was, damit der Kopf wieder frei wird.

    Experten sprechen von einer Versportlichung der Kinder- und Jugendkultur: Alles, was man früher im Park oder im Garten gemacht hat, übernimmt heute der Sportverein.

    Dominice: Ja, wir machen mit den Kindern auch Ausdauer- und Konditionstraining oder das Sportabzeichen. Wir waren mit den Älteren auch schon in der Trampolinhalle. Man muss den Kindern etwas bieten. Das Angebot an Sportarten und Vereinen – auch hier in Iphofen – ist so groß, dass es ein Alleinstellungsmerkmal braucht. Im Moment haben wir in der Abteilung 70 Mitglieder, es waren schon mal 84.

    Nicola: Schwierig wird es bei Mädels in der Pubertät.

    Dominice: Die einen überstehen diese Phase wirklich gut. Das sind Typen wie wir, die mit Jungs noch nie ein Problem hatten. Andere kommen mit dem Körperkontakt, den man im Judo ja hat, nicht klar. Es gab letztes Jahr zwei oder drei Mädchen, die deswegen aufgehört haben.

    Nicola: Man darf schon noch Mädchen sein, aber ein bisschen Härte zu sich selbst braucht es. Das fängt schon mit kleinen Dingen an: Wir haben neulich beim Training mal wieder Fingernägel kontrolliert, und die müssen im Judo kurz sein.

    Erzählen Ihnen die Kinder auch mal von privaten Problemen?

    Dominice: Eher die Eltern der Kleineren. Das geht schon früh um sechs Uhr los: Mein Kind kommt heute nicht, können wir kurz telefonieren?

    Was projizieren die Eltern denn in Sie und in den Verein hinein?

    Dominice: Wir sprechen manchmal im Training die Eltern an: Könnt ihr bitte mal mit eurem Kind reden, es ist heute nicht ganz so gut gelaufen. Und die Antwort ist: „Nein, ihr macht das schon. Ihr wisst, was gut ist für die Kinder, und wenn ihr meint, dann seid mal etwas strenger.“

    Und Sie reden dann auch wirklich mit den Kindern?

    Dominice: Ja.

    Nicola: Die Großen haben das schon hinter sich: Wenn man da mal einen ermahnt, ist es danach wieder gut und für den Rest des Trainings Ruhe.

    Die Eltern erwarten, dass Sie ihren Kindern Disziplin beibringen?

    Dominice: Ja, wir vermitteln das aber auch, wenn wir zum Beispiel einen neuen Kinderkurs anbieten. Da wird in der Ausschreibung kommuniziert, dass es um Werte geht. Etwa, sich in eine Gruppe einzugliedern, sich auch mal unterzuordnen, nicht immer nur vornedran zu stehen.

    Tun sich viele Kinder schwer damit?

    Dominice: Ein Drittel. Aber es wird besser im Laufe der Zeit. Bei uns gibt es Regeln, und die Kinder halten sich daran – na ja, zu 99 Prozent. Und wehe, einer hält sich nicht an die Regeln.

    Gibt es Härtefälle?

    Dominice: Ja, wir hatten so einen Fall. Einen Jungen, der die Kleinen ziemlich aufgemischt hat und deswegen zu den Großen wechseln musste. Und jetzt klappt es – einfach, weil er vor den Großen mehr Respekt hat. Das ist das Schöne: Man sieht, dass das, was wir machen, Erfolg hat.

    Die Schwestern im Porträt Nicola Weiglein (25) war im Jahr 2007 deutsche Jugendmeisterin in der Klasse bis 40 Kilo. Ein Jahr später wiederholte sie ihren Triumph in der Klasse bis 44 Kilo und wurde außerdem Europameisterin in Sarajevo. Dominice Weiglein (28) war im Jahr 2008 deut- sche Vizemeisterin in der Klasse bis 70 Kilogramm und feierte damit ihren größten sportlichen Erfolg. Auch sie startete im gleichen Jahr bei der Europameisterschaft in Warschau und wurde Fünfte. Bei der deutschen Hochschulmeisterschaft 2014 holte sie den Titel. Beide waren deutscher Mannschaftsmeister mit dem TSV München Großhadern und besitzen den 2. Dan. Nach dem Ende der aktiven Karriere trainieren sie heute Kinder und Jugendliche bei ihrem Heimatverein FC Iphofen. Sie haben betriebliches Gesundheitsmanagement studiert und sind beide beim global agierenden Baustoff-Giganten Knauf beschäftigt.

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