Himmel hilf! Als alle Last endlich abgestoßen und für die jungen Sulzfelder Kicker das Glück auf Erden vollkommen war, begab sich Jochen Seuling auf die Suche nach der Inspiration von oben. „Wenn es da einen gibt“, sagte er kryptisch und richtete den Blick gen Himmel, „dann wusste er, dass wir an der Reihe sind.“ Es war der Moment, in dem die Emotionen um ihn herum explodierten und der TSV Sulzfeld zum zweiten Mal in der Klubgeschichte in die Landesliga aufgestiegen war. In diesem Augenblick des rauschhaften Hochgefühls blieb Seuling ruhig und gelassen wie stets, wenn die anderen von der Welle der Gefühle erfasst und mitgerissen werden. Der 42 Jahre alte Trainer geriert sich selten wie der zwölfte Mann seiner Mannschaft. Eine Woche zuvor, nach dem 1:1 gegen Abtswind, hatte er unmittelbar nach Schlusspfiff das Weite gesucht, um mit sich allein zu sein. Und auch diesmal schien es, als suche er die Einsamkeit. Seuling, dessen Medienpolitik Züge von Willkür angenommen hat, hatte auch vor diesem Spiel geschwiegen. Der Anspannung wegen, wie Sulzfelds Vorsitzender Hannes Müller vermutete? Kaum zu glauben angesichts jener Aura des stoischen Gleichmuts, mit der er sich umhüllt. „Ich bin nicht der Typ, der zum Nervenbündel wird“, sagte er in Thulba, wo seinem Team dank eines 2:0-Sieges das Meisterstück gelungen war, und hob nicht einmal in Nebensätzen von seiner Linie der geerdeten Freude ab.
„Comeback“ prangte groß auf den Hemden, die sich Spieler und Trainer am Sonntag – kaum dass abgepfiffen war – über die schweißnassen Leiber zogen. Es war ihre Form des Sommermärchens fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem düsteren Kapitel des Abstiegs aus der Landesliga. Rascher als erwartet hatte Seuling im Jahr darauf das Team in der Bezirksoberliga konsolidiert, aber die letzte Volte mit der sofortigen Rückkehr in die nordbayerische Fußball-Elite wollte nicht gelingen. Diese Gefahr bestand auch in dieser Saison – sie zu bannen war vielleicht Seulings größtes Werk. „Ich musste den Spielern ausreden“, sagte er am Sonntag nach vollbrachter Tat, „sie könnten verlieren und es wieder nicht schaffen.“ Mit sieben Punkten waren seine Spieler zwischenzeitlich enteilt, dann aber hatten sie manche Stolperfalle übersehen, und vor dem Schlussakkord war Haßfurt mit ihnen sogar nach Punkten gleichgezogen. Es spricht für die Moral und für das brodelnde, zu keiner Zeit überbordende Wir-Gefühl der Mannschaft, dass sie auf den letzten Metern dieses Saisonmarathons über 34 Etappen noch die Kurve gekriegt und den Titel erobert hat.
Mancher erlebte den Triumph wie in Trance. „Wenn mich vor der Run-de einer gefragt hätte, welche Schlagzeile ich gern über mich lesen würde, hätte ich geantwortet: Joachim Hupp schießt das Tor zur Meisterschaft. Ich bin glücklich, dass mir dieser Treffer gelungen ist“, sagte der 23 Jahre alte Marktbreiter, der erst ein Jahr vorher nach Sulzfeld gekommen war. Hupp hatte nach dem kargen Remis gegen Abtswind noch ein Bild des Jammers geboten: wie er gedankenverloren am Boden kauerte und von seiner Freundin Trost entgegennimmt. Effektiver als mit seinem wegweisenden Treffer zum 1:0 in Thulba hätte er das Trau-ma nicht bezwingen können. Andere umspülte in der Stunde des Triumphs ein Hauch von Wehmut. Der Schütze des 2:0, Daniel Hack, wird den Verein ebenso verlassen wie Torwart Marcus Orth, der bei seinem Comeback nach kurzer Verletzungspause abermals ein grandioser Rückhalt war. Hack, der in Sulzfeld trotz seiner konstanten Zahl an Toren nie über die Rolle des Edelreservisten hinausgekommen ist, hat sich schweren Herzens, aber aus verständlichen Motiven für einen Neuanfang beim Kreisliga-Klub SG Buchbrunn/Mainstockheim entschlossen, Orth zieht es nach sieben Jahren zum Landesliga-Spitzenklub Kickers Würzburg.
Auch Matthias Schneider wird Abschied nehmen. Der 33 Jahre alte Pädagoge, der neben Kapitän Bernd He-ring ein Stück gelebte TSV-Geschichte verkörpert, genoss die letzte süße Last an dem für Sulzfeld sonnig glänzenden Feiertag unter weißblauem Himmel, ehe er sich für ein Jahr aus dem „Zirkus“, wie er sagte, verabschieden und sich seiner Profession als Lehrer widmen wird. „Ein bisschen Wehmut ist schon dabei“, gab er am Sonntag zu. Wie sehr auch Andreas Süßmeier unter Trennungsschmerz leidet, seitdem er kurz vor Ostern wegen Krankheit ausgefallen ist, lässt sich nur erahnen. „Draußen bist du viel nervöser als auf dem Feld“, hat der 26 Jahre alte Verteidiger in Thulba festgestellt. Von den Diagnosen der Ärzte hängt ab, ob er in der nächsten Saison noch einmal einen neuen Anlauf nehmen oder das Amt als Sportleiter antreten wird.
So oder so wird die ausbalancierte Mischung des Teams verloren gehen, wenn eine Klasse weiter oben der herausragende Torhüter und der überragende Spielmacher der letzten Jahre nicht mehr dabei sein werden. Für den Vorsitzenden Hannes Müller gilt es beim Versuch, die Lücken adäquat zu schließen, Maß und Ziel im Auge zu behalten. „Wir werden jetzt nicht den Blasebalg herausholen und mit Geld um uns werfen“, sagte er unter dem Eindruck des Aufstiegs. Auch der erst Sonntag früh von einer Spanien-Tour zurückgekehrte Sportleiter Holger Lederer mochte im Moment der Glückseligkeit erst einmal das Heute genießen. „Mit dem, was nächste Saison ist, befassen wir uns morgen wieder.“