Verlierer hören sich normalerweise anders an. Sie fluchen, jammern, sie suchen nach Ausreden für das Unvermeidliche. Bei den Football-Spielern der Albertshofen Roughnecks ist die Stimmung auch nach einer 0:38-Niederlage angenehm. Die Unterlegenen können lachen. Es ist die so empfundene Freude, nicht noch höher verloren zu haben. Auch die Trainer nehmen sich zurück, sie schreien nicht. Schon im letzten Viertel, kurz vor Ende der Partie, war die Befriedigung gestiegen, weil Albertshofens Verteidigung den letzten gegnerischen Spielzug knapp vor der Endzone gestoppt und damit die nächsten Punkte verhindert hatte. Für Laien hört sich das Ergebnis vernichtend an. Dabei lassen sich ein Dutzend Punkte relativ rasch aufholen. Befördert eine Mannschaft den eiförmigen Ball in die Endzone und erzielt damit einen Touchdown, wird ihr das mit sechs Zählern vergolten – und der anschließenden Chance, maximal zwei Extrapunkte zu sammeln. Rosenheim gelangte an diesem Tag fünfmal bis ans Ende des Spielfelds und errang auf diese Weise vier sogenannte Two-Point-Conversions. Daraus ergaben sich insgesamt 38 Punkte. Bereits zur Halbzeit stand es 32:0.
Für Albertshofen war es der fünfte Spieltag – und die vierte Niederlage. Während der Nettospielzeit von viermal zwölf Minuten schaffte das Team es nicht annähernd in den Bereich, in dem sich Punkte erhaschen lassen. „Wir mussten in der Offensive unser System wegen eines Verletzten kurzfristig umwerfen“, erklärte Cheftrainer Markus Schmer. „Außerdem fehlt uns ein gelernter Quarterback.“ Als die Roughnecks sich im ersten Viertel beim Stand von 0:16 einmal über die Mittellinie getastet hatten, versprach ein Angriffszug des behänden Passempfängers Raoul Andersson größeren Raumgewinn. Aber er hatte nicht nicht damit gerechnet, dass auch ein Mitspieler zum Gegner werden kann. Andersson stolperte in dem verwegenen Treiben über den eigenen Kollegen, der ihm quer in den Weg gepurzelt war. Eine der seltenen trefflichen Möglichkeiten war mit dieser Aktion vergeben.
Seit 2006 wird in der 2000-Seelen-Gemeinde Albertshofen Football gespielt, seit 2008 im Ligabetrieb. Der Anfang fiel den Roughnecks leicht. Schon in der Premierensaison errangen sie die Meisterschaft. Es gab fünf Siege in sechs Partien. „Das war eine Traumsaison“, sagt Schmer, „im Prinzip ist es zu viel gut gelaufen.“ Doch seit der vergangenen Runde hat sich in Albertshofen allerhand verändert. Die Amerikaner, die dem unerfahrenen Team in seiner Entwicklung Halt gaben, haben sich verabschiedet. Sie wurden als Militärangehörige in die Krisenregionen des Irak oder Afghanistans versetzt. Die Schlüsselpositionen des Spielmachers (Quarterback) oder des Ballträgers (Running Back) mussten neu vergeben werden. Aber nicht nur die schmerzlichen Abgänge und das scheinbar unerschöpfliche Reservoir an neugierigen Anfängern haben für Schmer und seinen Trainerstab veränderte Bedingungen geschaffen.
Als Meister der untersten Klasse, der sogenannten Aufbauliga, sind die Albertshöfer gleich um zwei Staffeln nach oben gerutscht. Statt in der Landesliga anzutreten, nahmen sie den Platz der fünftklassigen Verbandsliga an, der durch den Rückzug eines Vereins frei geblieben war. „Eigentlich ist dieser Sprung zu hoch für uns“, gibt Schmer zu. Doch der steile Aufstieg hatte paradoxerweise praktische und finanzielle Gründe: In der Landesliga wären die Fahrten ausnahmslos in den Süden Bayerns gegangen – nach Ingolstadt, Augsburg und Landsberg. In der Verbandsliga trifft man weitgehend auf Klubs der Region, auf Würzburg, Schweinfurt und Nürnberg, nur Rosenheim springt geographisch aus der Reihe. Dorthin sind die „Rough-necks“ schon am ersten Spieltag gereist – beim 9:26 war die Niederlage erträglich ausgefallen. „Damals“, sagt Schmer, „konnten wir mit dem kompletten Kader auflaufen.“ Sieben der 36 Mann fehlen ihm für den Rest der Runde. Sie haben sich verletzt. Zwischenzeitlich hatten sich sogar zwei Dutzend Akteure im Krankenstand befunden, weshalb das Auswärtsspiel gegen die Nürnberg „Rams“, das mit Abstand stärkste Team der Liga, abgesagt wurde.
Den personellen Engpass und die Unerfahrenheit der Albertshöfer nutzen die Rosenheimer dieses Mal beizeiten. Entgegen der Langatmigkeit beim American Football führen die Gäste schon nach dem ersten Angriff 8:0. Die Unterlegenheit ihrer Mannschaft hemmt den Enthusiasmus der Albertshöfer Cheerleadergruppe, der „Roughgirls“, keineswegs. Allein das Publikum mag der Begeisterung der singenden, tanzenden und turnenden Mädchen nicht so recht folgen. Wegen der Platzsanierung in Albertshofen ist die Partie kurzfristig nach Sommerach verlegt worden. Durch den Umzug ins Exil gehen zahlreiche Zuschauer abhanden. Statt der üblichen drei- bis vierhundert an einem solchen zweieinhalbstündigen Nachmittag sind es nun lediglich einhundert. „Vermutlich standen etliche am Sportplatz in Albertshofen“, sagt der Mannschaftsleiter Martin Gritschke. Mancher, der zum ersten Mal ein solches Footballspiel sieht, blickt ratlos auf den Rasen. In der Vergangenheit haben die Albertshöfer auch organisatorisch hohe Maßstäbe gesetzt. Ein Kommentator hatte sonst über Lautsprecher das verwirrende Treiben auf dem Spielfeld erläutert. Auch die gewohnten Nationalhymnen vor dem Anwurf und die Infobroschüre zum Spiel fehlen.
Gritschke gilt in Albertshofen als Football-Pionier. Der 27-Jährige, der in der Verteidigung selbst mitmischt, gründete die Abteilung des örtlichen TSV und kümmert sich seitdem um ihre Belange, von der Bestellung neuer Leibchen bis zur Verwaltung der Mannschaftskasse. „Im Schnitt brauche ich zwei Stunden am Tag“, sagt Gritschke. Er war es auch, der Trainer Schmer zum Weitermachen überredete. Der 39-jährige Dornheimer, ein Mann von 1,98 Metern, der für Ansbach und Rothenburg in der ersten Bundesliga gespielt hatte, wollte sich aus dem uramerikanischen Sport zurückziehen. „Jetzt stehe ich wieder da“, sagt Schmer fast ein wenig grimmig.
In den zurückliegenden Wochen hat er ziemliche Aufbauarbeit leisten müssen. Das Spiel gegen die Würzburg Panthers endete mit 0:63. „Moralisch waren wir danach auf einem Tiefpunkt“, glaubt der Trainer, „weil keiner solche Niederlagen gewohnt war.“ Nach einer vielversprechenden zweiten Halbzeit gegen Rosenheim, in der die Albertshöfer gerade einen Touchdown zuließen, sehnt sich der Tabellenvorletzte wieder nach Erfolg. „Wir haben trotz des 0:38 richtig gut gespielt“, sagte Schmer am Samstag, und er versicherte: „Wir werden ein Team hinter uns lassen, um nicht abzusteigen.“ An diesem Samstag tritt Albertshofen bei den noch punktlosen Schweinfurtern an, welchen die Roughnecks ihren einzigen Sieg verdanken. Die Rückrunde hat erst begonnen.
Online-Tipp
Eine Reihe fotografischer Eindrücke der Albertshöfer Roughnecks finden Sie im Internet: www.mainpost.de/sport/kitzingen