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Reiten: Wenn Salvarsan und Co. zur Musterung müssen

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Wenn Salvarsan und Co. zur Musterung müssen

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    Wilhelm Lederer blickt ein wenig skeptisch durch die Gläser seiner randlosen Brille. „Haben Sie Bedenken?“, fragt der 69-Jährige und dreht den Kopf zu der Frau neben ihm. „Ich möchte sehen, ob das Pferd tatsächlich lahmt“, sagt Dr. Maxi Schneider. Sie legt Klemmbrett und Kuli beiseite, trottet nochmals um die dunkelbraune Stute und hebt das linke Hinterbein. Schneider sieht eine Schwellung oberhalb des Hufs, daneben eine Wunde. „Das Tier ist dort empfindlich“, sagt Schneider, nachdem sie das Pferd abermals den Teerweg hat entlanglaufen lassen. „Haben Sie Bedenken für ein Springen?“, will Wilhelm Lederer wissen. Er, sein Kollege Peter Wagner und Maxi Schneider stecken die Köpfe zusammen. Sie beraten. Wenig später ruft Wagner: „Passiert.“ Das Pferd hat die Prüfung bestanden.

    „Jedes Pferd wird von uns ganz genau beobachtet“

    Wilhelm Lederer Reitpferde-Richter aus Bad Kissingen

    Lederer und Wagner, zwei Männer mit Basthüten und Krawatten, sind Wertungsrichter bei Reitpferdewettbewerben. Sie vergeben in der Dressur Punkte für Lektionen im Schritt, Trab und Galopp. Sie notieren im Springen, wenn das Pferd Stangen abwirft oder vor dem Hindernis verweigert. Bei Geländeprüfungen achten sie auf Reitfehler und Stürze. Die Kombination der drei Disziplinen nennt sich Vielseitigkeit und wurde einst als Military bezeichnet. Sie beansprucht die Pferde in kurzer Zeit in besonderem Maß. Deshalb werden die Tiere nach dem riskanten Ritt über die Querfeldeinstrecke einzeln auf ihre Gesundheit untersucht – von Richtern wie Wilhelm Lederer und Peter Wagner und von Tierärzten wie Dr. Maxi Schneider. „Wir beobachten jedes Pferd ganz genau“, sagt Lederer, der früher selbst Vielseitigkeitsreiter gewesen ist und seit 25 Jahren bei Turnieren über das Wohl und Wehe von Reitern und Pferden urteilt. Er hat bereits zahlreiche Prüfungen abgenommen.

    Bei den fränkischen Meisterschaften in Neudorf am vergangenen Wochenende brachten vierzig Reiter ihre Pferde zur Verfassungsprüfung. Deren Ablauf ist ein Ritual: Nach dem Aufruf der Startnummer wird das Pferd zu den Richtern geführt. Dann stellt der Reiter seinen Partner vor: Er nennt Namen, Alter und Abstammung und übergibt dem Tierarzt den Pferdepass zur Kontrolle der Impfungen. Anschließend führt der Reiter sein Pferd über den harten, ebenen Grund, erst im Schritt, dann im Trab. So wird hörbar und sichtbar, ob sich das Tier noch gleichmäßig bewegen kann. Zur Markierung der Strecke sind in Neudorf Blumentöpfe aufgestellt. „Radlfahrer aus dem Weg!“, ruft Peter Wagner, ein Österreicher, der mittlerweile in Großhabersdorf bei Fürth lebt, als ankommende Turniergäste unbedacht die Parade stören. Salvarsan, Lollipop und Co. müssen sich vorkommen, als müssten sie zum Militär, so werden sie gemustert.

    Tierärztin Schneider sieht sich besonders die Beine an: ob sie geblutet haben oder geschwollen sind, ob Knochen, Gelenke und Sehnen beeinträchtigt sind. Denn die Hindernisse im Gelände sind wuchtig und geben nicht nach wie die Holzstangen im Springparcours. Berührungen führen leicht zu Schürfungen, auch wenn Gamaschen die Beine abdecken. „Zentraler Aspekt meiner Bewertung ist das Wohl des Pferdes“, sagt Schneider. Die Tiere liegen ihr am Herzen: Schon als Kind ist sie geritten, nach Studium und Promotion wurde sie Pferde-Fachtierärztin und absolvierte eine Zusatzausbildung für die medizinische Aufsicht bei Pferdesportveranstaltungen. An den beiden Tagen von Neudorf überwachte sie als Mitarbeiterin der Reichenberger Tierklinik von Dr. Wilhelm Thevis das Turnier und assistierte den Richtern als Sachverständige. Denn über den Ausschluss eines Pferdes aus dem Wettbewerb entscheiden nur die Richter. „Meinungsverschiedenheiten hatte ich noch nie“, erzählt Schneider. Ob ein Pferd die Fitness für das abschließende Springen mitbringe, lasse sich in aller Regel umgehend begutachten.

    „Die Vielseitigkeit ist der Sport, der dem Pferd am gerechtesten wird“

    Dr. med. vet. Maxi Schneider Pferde-Fachtierärztin

    Manchmal gebe es einen Zweifelsfall – wie den der dunkelbraunen Stute, die sich, so ist von ihrem Eigentümer zu erfahren, die leichte Schürfwunde wohl nicht einmal beim Geländeritt, sondern im Pferdeanhänger oder auf dem Abreiteplatz zugezogen hat. „Wenn bleibende Gesundheitsschäden zu erwarten sind, nehmen wir das Tier aus dem Turnier“, sagt Wilhelm Lederer. Diesen Eindruck hätten er und sein Kollege nicht gehabt. „Die geringe Taktstörung beim Traben war für uns noch vertretbar“, stellt Lederer fest. Gleichwohl schied das Pferd beim Springen aus: Es verweigerte am Hindernis. Ursächlich sei nicht die Verletzung gewesen, wie der Eigentümer, ein Rechtsanwalt aus den Haßbergen, später erzählt, vielmehr die mangelnde Erfahrung des sieben Jahre alten Pferdes in einem anspruchsvollen Parcours.

    In Neudorf fiel kein Pferd durch die Verfassungsprüfung. 95 Prozent bestehen für gewöhnlich, wie Wilhelm Lederer auf Anhieb überschlägt. Häufig wüssten die Reiter selbst um die Konstitution ihres Tieres und zögen von sich aus zurück. „Die hohe Quote ist ein Zeichen für die gute Ausbildung und die schonende Reitweise der Teilnehmer“, sagt Lederer, der festgestellt hat, dass Unfälle in dieser von manchem Tierschützer beanstandeten Sportart seltener geworden sind. Aus pferdemedizinischer Sicht sei die Vielseitigkeit trotz ihrer Intensität sogar die beste sportliche Betätigung. „Weil sie dem Pferd als Lauf- und Steppentier am gerechtesten wird“, sagt Maxi Schneider. Wilhelm Lederer hat keine Bedenken. Er blickt selig durch die Gläser seiner randlosen Brille.

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