Mit 17 Jahren entdeckte er seine Liebe für das Amt des Unparteiischen. Ob Bundesliga oder A-Klasse, das macht für ihn keinen Unterschied. "Wichtig ist, dass man Erfolg hat und die Spieler hinterher sagen: Das war in Ordnung, Schiri."
Erfolg hatte der frühere kaufmännische Angestellte in seinem Schiedsrichter-Leben jede Menge. Beim FV 04 Würzburg, wo sein Vater Hans Vorstand war, erlernte er das Fußballspielen. "So ein guter Fußballer war ich aber nicht", gibt der ehemalige Verteidiger lachend zu. Immerhin, 1957 wurde er unterfränkischer Meister. Zwei Jahre später befiel ihn der Schiedsrichter-Virus. "Im Verein haben damals sieben Kollegen ihren Schiedsrichter gemacht. Die meisten haben nur zwei Jahre gepfiffen", erinnert der 62-jährige Unterdürrbacher sich.
Jürgen Walther nicht. Mit 24 Jahren pfiff er sein erstes Bayernligaspiel, mit 29 rückte er auf die DFB-Liste und durfte in der Regionalliga ran, zunächst als Linienrichter. Immer beäugt und teilweise auch angefeindet von den Kollegen, denen sein Aufstieg zu schnell kam. "Konkurrenz und Neid waren immer da, wenn jemand besser war", sagt Walther. 1972 durfte er die Nationalmannschaft pfeifen. Ein Freundschaftsspiel der deutschen Olympiaauswahl gegen Bayern München in Herzogenaurach. Sein Aufstieg ging weiter. Unaufhaltsam in Richtung Bundesliga.
Am 29. August 1975 hatte er sein Ziel erreicht. Schiedsrichter Jürgen Walther leitete das Spiel VfL Bochum gegen Fortuna Düsseldorf. Dass ihn das Fernsehen als Paderborner Schiedsrichter vorstellte, tat der Freude keinen Abbruch.
Walther machte sich auch in der höchsten deutschen Spielklasse bald einen Namen. Nach dem Duell Duisburg gegen Eintracht Braunschweig schrieb der Kommentator des Sportkuriers: "Der dritte Mann auf dem Platz, der sich eine Bestnote verdiente, war Schiedsrichter Walther. Er bestach durch eine unauffällige aber ausgezeichnete und saubere Leitung." Sein Engagement als 23. Mann lief neben dem Beruf als Außendienstmitarbeiter in einem Stahlhandel. "Da bin ich am Freitag um vier Uhr aus dem Geschäft raus und nach Hamburg gefahren." 72 Mark bekam ein Bundesliga-Schiedsrichter damals pro Tag.
Als sein eindrucksvollstes Spiel im Oberhaus nennt der 62-Jährige die Partie Borussia Mönchengladbach gegen Eintracht Braunschweig im März 1977. "Das war damals Zweiter gegen Erster. Da musste alles laufen wie ein Uhrwerk", blendet er gedanklich zurück und blättert in einer grünen Mappe mit Zeitungsausschnitten. "Simonsen, Vogts, Stielike und Heynckes, das waren schon Fußballer."
Im gleichen Jahr pfeift er das Spiel St. Pauli gegen den 1. FC Köln. Es sollte sein letztes in der Bundesliga sein. Nach 23 Spielen war das Kapitel erledigt. "Ich hatte in einem Spiel eine schlechte Bewertung und war damit weg vom Fenster", sagt er emotionslos. Und fügt an: "Ich bin beschissen worden. In Verbandskreisen hat man schon gewusst, dass das nicht in Ordnung war." Die Altbayern seien gegenüber den Franken immer klar bevorzugt worden, fügt er an. "Drum war ich selber überrascht, dass ich es so weit nach oben geschafft habe." Peter Sippel, sein Nachfolger als Würzburger Schiedsrichter in der Bundesliga, hätte es ohne einen Umzug nach München nie so weit gebracht, ist er überzeugt.
Doch im Zorn blickt er nicht zurück: "Ich hatte schöne Erlebnisse, habe Sepp Herberger, Helmut Schön und Berti Vogts als Trainer kennengelernt." Er pfiff das Abschiedsspiel Helmut Hallers, FC Augsburg gegen Bayern München, und unzählige Freundschaftsspiele - darunter 1. FC Nürnberg gegen Manchester United mit Bobby Charlton. Sein kuriosestes Erlebnis: das Bundesligaspiel Borussia Dortmund gegen MSV Duisburg. "Da sind Enten auf dem Platz geschwommen", erinnert er sich. Folglich wurde die Partie abgesagt.
Nach seiner zweifelhaften Absetzung in der Bundesliga pfiff Jürgen Walther noch bis zum 50. Lebensjahr in der Landesliga. "Damit wäre ich eigentlich zufrieden gewesen", sagt er. Sein Erfolgsgeheimnis in über vier Jahrzehnten Schiedsrichterei: "Du musst Mensch sein und darfst nicht irgendwie arrogant auftreten." Selbst als Bundesligaschiedsrichter pfiff er noch Spiele in der C-Klasse.
Ab und zu muss er auch heute noch auf Dorfplätzen Autogramme geben, wenn ihn einer der Zuschauer erkennt. Große Priorität genießt bei dem für die Schiedsrichtergruppe Karlstadt pfeifenden Jürgen Walther die Nachwuchsarbeit: "Wichtig ist, den jungen Leuten zu helfen." Deshalb fungiert er als Schiedsrichterbeobachter. Seine Erfahrung ist auch heute im Spitzenfußball noch ab und zu gefragt. Im DFB-Pokalspiel DJK Waldberg gegen Bayern München fungierte er als Schiedsrichter-Betreuer. Wobei ihn Uli Hoeneß gleich erkannte und begrüßte.
Bei aller Liebe zur Schiedsrichterei, Jürgen Walther weiß ganz genau, wann es genug ist: "3333 Spiele und dann ist Schluss. Das reicht dann auch."