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Mit Zahnpasta auf der Kabarettbühne

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Mit Zahnpasta auf der Kabarettbühne

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    1992 in Barcelona: Olympiasieger, noch ohne Nickelbrille.
    1992 in Barcelona: Olympiasieger, noch ohne Nickelbrille. Foto: Foto: DPA

    „Verdammt lang her“ – das ist der Titel unserer 20-teiligen Serie, in der wir große Sportlerinnen und Sportler von einst zum Interview gebeten und mit ihnen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geplaudert haben. Im zehnten Teil kommt Dieter Baumann zu Wort. Der 5000-Meter-Olympiasieger von 1992 hat sich mittlerweile von den Folgen und Konsequenzen der „Zahnpasta-Affäre“ allerbestens erholt.

    Frage Sie gelten nicht nur als der beste Comedian unter den Läufern, sondern auch als der beste Läufer unter den Comedians. Wie um alles in der Welt sind Sie zum Kabarett gekommen?

    Baumann: Vieles kann man nicht planen, vieles ergibt sich einfach. Ich habe nach der sportlichen Karriere viele Vorträge gehalten. Und immer wenn ich etwas Wissenschaftliches erklärt habe etwa über Training, Motivation oder Psychologie, sind die Leute eingeschlafen, wenn ich meine Folien aufgelegt habe. Und immer, wenn ich eine Geschichte erzählt habe, sie musste nicht mal witzig sein, waren alle hellwach. Dann habe ich mir irgendwann gedacht, ich verzichte auf alles, was mit Wissenschaft zu tun hat, und erzähle nur noch Geschichten. Dann habe ich die Regisseurin Carola Schweglin hinzugezogen, und wir haben das Stück „Körner, Currywurst, Kenia“ gemacht – und das läuft immer noch.

    Hinter „Körner, Currywurst und Kenia“ vermuten wir, dass es sich dabei um Ernährungs- und Trainingstipps für Hobbyläufer handelt. Was ist gegen eine Currywurst einzuwenden?

    Baumann: Überhaupt nichts. Ich bin begeisterter Currywurst-Esser. Das war ich auch schon während meiner aktiven Zeit. Das Programm führt auch ein Stück durch meine Läuferkarriere, es geht dann weiter bis zu den Freizeitläufern, davon sitzen ja viele im Publikum. Man hat ja für uns Top-Athleten schon einige Schubladen, da gehört dazu, dass wir nie Currywurst essen durften.

    Und was hat es mit Kenia auf sich? Sie selbst wurden nach ihrem Olympiasieg über 5000 Meter in Barcelona als „weißer Kenianer“ bezeichnet.

    Baumann: Kenia hat mich in der zweiten Phase meiner Karriere wahnsinnig geprägt. 1994 bin ich zum ersten Mal dorthin gefahren. Danach war ich jedes Jahr zwei Monate lang dort. Es ist dort eine ganz andere Herangehensweise ans Laufen und ans Trainieren. Das mit Afrikanern gemeinsam zu machen, ist an und für sich schon eine Herausforderung. Auch im Hinblick auf die Menschen, die dort leben und warum sie laufen. Kenia ist der rote Faden im Programm.

    Der Höhepunkt ihrer Karriere war der Olympiasieg 1992 in Barcelona über 5000 Meter. Wie hat dieser Sieg ihr Leben verändert?

    Baumann: Sehr viel. Klar sind solche Ereignisse Wegmarkierungen, die einen in eine andere Richtung lenkt. Da kann man machen, was man will. Man kann sich bemühen, bodenständig zu bleiben, was mir im Grunde gelungen ist. Aber es nimmt auf alles Einfluss.

    Im Kabarett-Programm sprechen Sie selbstironisch über Ihre Vergangenheit als Zahnpaschta-Män. Heißt das, dass Sie mit der Doping-Affäre von 1999 im Reinen sind?

    Baumann: Wenn man Kabarett macht und auf der Bühne steht, wäre es doch ein verschossener Elfmeter, wenn ich diesen Witz nicht selbst spielen würde. Und klar mache ich auf der Bühne diesen Schritt nach vorne unter dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.

    Aber diese Zahnpasta-Affäre ist ein Teil ihres Lebens.

    Baumann: Wenn der Olympiasieg mein Leben verändert hat, dann hat die Zahnpasta mein Leben auch verändert. Dem kann ich mich nicht entziehen, selbst wenn ich wollte. Man muss sich auf Leute verlassen, auf seinen Freundeskreis. Gerade in einer schwierigen Situation. Ich selbst bin mit der Geschichte schon lange im Reinen. Ich will meine Energie nicht mit der Vergangenheit vergeuden, sondern anders einsetzen – für das, was kommt, wenn Sie so wollen, für mein Lebensglück. Ich kann mich kaum erinnern, dass es mit je besser gegangen ist als jetzt im Moment.

    Immerhin hat sie der Deutsche Verband (DLV) im Gegensatz zum Internationalen Leichtathletikverband (IAAF) im Juli 2000 vom Vorwurf des Dopings freigesprochen, und selbst Dopingkritiker Werner Franke hat die Zahnpasta-Affäre als Anschlag auf Sie nach Stasi-Muster bezeichnet. Entschädigt Sie das dafür, was Ihnen damals widerfahren ist?

    Baumann: Ich habe nach mehr als zehn Jahren so viel Abstand dazu gewonnen. Natürlich ist es toll, wenn so renommierte Personen wie Franke dazu Stellung nehmen, aber ich erwarte es nicht. Heute habe ich Abstand, so dass ich mit Menschen unverkrampft umgehen kann, die damals gegen mich Stellung bezogen haben.

    Zur deutschen Leichtathletik: Gerade im Bereich Mittel- und Langstrecke herrscht auf internationaler Ebene ziemliche Flaute. Über 5000 Meter sind sie nach wie vor deutscher Rekordhalter mit 12:54,70 Minuten von 1997. Was sind die Gründe für die Misere?

    Baumann: Es ist auf der einen Seite ein gesellschaftliches Phänomen. Die jungen Menschen haben heute sehr viele Möglichkeiten. Das finde ich toll. Das macht es allerdings bei der Elite-Herausbildung auch im Leistungssport schwierig. Da muss man auf der anderen Seite die Hürden hochhängen. Dazu kommt, dass wir Eltern unseren Kindern viel mehr abnehmen, als dies vor Jahren der Fall war. Oft entlassen wir Kinder mit zu wenig Selbstständigkeit ins Leben. Sehr häufig sieht man auch junge Menschen, die machen mal dies und jenes, aber haben nie etwas durchgezogen, bleiben nicht lange genug an der Sportkarriere dran.

    Der Stellenwert der Leichtathletik ist mittlerweile rapide gesunken. Was kann die Leichtathletik dafür tun, ihr Image aufzupolieren?

    Baumann: Die Frage ist einfach zu beantworten. Wir brauchen mehr Athleten mit Weltklasse-Niveau. Ich kann das schönste Produkt und das schönste Marketing-Konzept haben. Aber wenn am Ende keine Leistung da ist, kann ich nichts verkaufen. Ich muss fragen, wie führe ich junge Leute zur Weltklasse. Dann, aber nur dann, wäre die Leichtathletik aus dem Schneider.

    Erfolge in der deutschen Leichtathletik sind zuletzt vornehmlich in Wurf- und technischen Disziplinen erzielt worden. Wann gibt es wieder deutsche Medaillen im Mittel- und Langstreckenbereich?

    Baumann: Im Moment schwächelt der Lauf. Und zwar grundsätzlich vom 100-Meter-Lauf bis hin zum Marathon. Natürlich haben wir viel zu wenig Nachrücker. Und es gibt auch kein erkennbares Nachwuchsförderkonzept von Verbandsseite, um diesem Problem zu entgegnen. Es ist nach wie vor eher ein Zufall, wenn wir ein Talent entdecken.

    Was sind Ihre weiteren Pläne? Sie haben angeblich ein neues Kabarettprogramm in Vorbereitung?

    Baumann: Es ist kein Kabarett. Ich sehe mich nicht als Kabarettisten oder Comedian. Mein neues Stück heißt „Brot und Spiele“ nach dem gleichnamigen Roman von Siegfried Lenz von 1959. Es sind 10 000 Meter, erzählt, gespielt und gelesen. Es ist ein Ein-Mann-Stück, in dem ich in drei verschiedene Rollen schlüpfe – die Geschichte eines Läufers. Es ist mehr eine Tragödie, und wir haben am 25. Januar im Theaterhaus in Stuttgart Premiere.

    Dieter Baumann

    Geburtstag: 9. Februar 1965.

    Wohnort: Tübingen.

    Familienstand: verheiratet mit Isabelle. Kinder: eine Tochter und ein Sohn.

    Beruf: Läufer, Entertainer, Buchautor.

    Größte Erfolge: Olympiasieg über 5000 Meter 1992 in Barcelona, Silber- medaille bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul, Europameister über 5000 Meter 1994.

    Dopingaffäre: Baumann wird 1999 positiv auf Nandralon getestet. Nach einer Verhandlung vor dem Deutschen Leichtathletik-Verband wird Baumann angesichts der Norandrostendion-Funde in seiner Zahnpasta und Haarproben ohne Befund am 13. Juni 2000 vom Vorwurf des Dopings freigesprochen. Der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF sperrt ihn dennoch bis Januar 2001.

    Nach dem Karriereende: Baumann beendet 2003 seine Läuferkarriere und veröffentlicht mehrere Bücher, hält Vorträge, ist als Kolumnist tätig, tritt als Comedian und Schauspieler auf.

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