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Fußball: Nach Lehmann-Eklat: Struktureller Rassismus im Profifußball?

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Nach Lehmann-Eklat: Struktureller Rassismus im Profifußball?

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    Viele Vereine, vor allem der FC St. Pauli, zeigen immer wieder offen Flagge gegen Rassismus. Doch reicht das aus?
    Viele Vereine, vor allem der FC St. Pauli, zeigen immer wieder offen Flagge gegen Rassismus. Doch reicht das aus? Foto: TayDucLam, Witters

    "Nicht schon wieder", möchte man sagen und resigniert den Kopf in die Hände stützen, wenn wieder einmal eine Person aus dem Profi-Fußball Einblicke gibt in die eigene rassistische Denkweise. Diesmal ist es Jens Lehmann. Der Ex-Nationaltorhüter, der bis Mittwochmorgen noch Aufsichtsratsmitglied beim Fußball-Bundesligisten Hertha BSC war, hat den ehemaligen Fußball-Profi und jetzigen Sky-Experten Dennis Aogo als "Quotenschwarzen" bezeichnet und ist daraufhin konsequenterweise vom Hauptstadtklub vor die Tür gesetzt worden. Doch ist damit das Problem nicht gelöst.

    Eine noch unveröffentlichte Studie, die im April unter dem Titel "Rassismus im Fußball: Chancengleichheit gibt es nicht" in der WDR-Sendung "sport inside" vorgestellt worden ist, offenbart, dass der Rassismus im Profifußball systemimmanent ist. Das heißt, es gibt nach Meinung der Wissenschaftler in der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga der Männer eine aus der Geschichte gewachsene Benachteiligung nicht-Weißer Menschen. Diese geschieht zwar nicht immer bewusst, bietet aber den Nährboden für offenen Rassismus, wie wir ihn bei Lehmann erleben.

    Wissenschaftler offenbaren erhebliche Missrepräsentationen

    Doch worum geht es genau? Die Forscherinnen und Forscher, die an der am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung angesiedelten Studie beteiligt sind, blicken vor allem auf die Machtverhältnisse auf und neben dem Rasen. "Wir haben diese Studie ins Leben gerufen, weil wir festgestellt haben, dass in Deutschland so gut wie gar nicht über Sport und Rassismus geforscht wird und weil wir diese Nicht-Thematisierung von Rassismus im Sport durchaus für problematisch halten", sagt Rassismus-Forscherin Tina Nobis in der WDR-Sendung.

    Der ehemalige Fußball-Spieler und Sky-Experte Dennis Aogo postet in seiner Story auf Instagram die WhatsApp-Nachricht, die er vom ehemaligen Nationaltorhüter Jens Lehmann - versehentlich - bekommen hat. Darin wird er von Lehmann rassistisch beleidigt, allerdings nicht in korrektem Deutsch.
    Der ehemalige Fußball-Spieler und Sky-Experte Dennis Aogo postet in seiner Story auf Instagram die WhatsApp-Nachricht, die er vom ehemaligen Nationaltorhüter Jens Lehmann - versehentlich - bekommen hat. Darin wird er von Lehmann rassistisch beleidigt, allerdings nicht in korrektem Deutsch. Foto: Screenshot: Instagram/Münzel

    So haben sie und ihr Team die Strukturen in der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga der Männer untersucht. Dort gibt es 70 Prozent Weiße und 20 Prozent Schwarze Spieler. Zehn Prozent sind so genannte People of Color (PoC), also Menschen, die Rassismus-Erfahrungen machen, aber nicht als Weiß oder Schwarz wahrgenommen werden und sich selbst auch nicht so definieren. Dazu gehören beispielsweise Menschen mit asiatischen Wurzeln. Das systemische Ungleichgewicht wird offenbar, wenn man sich die Verteilung der Machtpositionen anschaut. 97 Prozent der Manager, Vorstandsmitglieder, Trainer oder Scouts sind Weiß. "Da ergeben sich erhebliche Missrepräsentationen", so Nobis bei "Sport inside".

    Nicht-Weiße Sportlerinnen und Sportler auf führenden Positionen unterrepräsentiert

    Laut Studie gibt es Hinweise darauf, dass sich diese Ungleichheit auf dem Platz fortsetzt. "Racist Stacking" heißt das Phänomen aus dem Mannschaftssport, das beschreibt, dass nicht-Weiße Sportlerinnen und Sportler auf zentralen, taktischen und führenden Spielpositionen unterrepräsentiert und dafür übermäßig häufig an dezentralen und körperbetonten Stellen eingesetzt werden. Im US-Sport ist das bereits wissenschaftlich nachgewiesen, im deutschen Fußball zeichnet sich das laut den Forscherinnen und Forschern um Nobis wohl zumindest ab:

    • So sind etwa laut Studie 97 Prozent der Torhüter in der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga der Männer Weiß, und nur drei Prozent Schwarz
    • Das defensive und dezentrale Mittelfeld, das laut einer Vorstudie mit Spielorganisation und Führung verbunden wird, sei zu 72 Prozent mit Weißen und nur zu 28 Prozent mit nicht-Weißen Spielern besetzt

    Die Medien tun laut Nobis ihr Übriges, um zur Verfestigung dieser Wahrnehmung beizutragen. "Wenn über Schwarze Spieler berichtet wird, dann geht es vor allem um Athletik und Körperlichkeit. Teilweise wird ihnen sogar ein natürliches Talent zugeschrieben - was übrigens einer Absprache von Leistung als Ergebnis harter Arbeit gleichkommt", erklärt die Rassismus-Expertin. Beim Bericht über Weiße Spieler hingegen gehe es viel öfters um Begriffe wie "Disziplin, Teamorientierung und Spielführung."

    Der Eklat um Jens Lehmann, er ist also einmal mehr nur die Spitze des Eisbergs, die darauf hinweist, dass unter der Oberfläche das eigentliche Problem liegt.

    Jens Lehmann muss den Aufsichtsrat von Hertha BSC verlassen, weil er den ehemaligen Spieler Dennis Aogo rassistisch beleidigt hat.
    Jens Lehmann muss den Aufsichtsrat von Hertha BSC verlassen, weil er den ehemaligen Spieler Dennis Aogo rassistisch beleidigt hat. Foto: Tim Groothuis, Witters
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