Während des Besuchs von Anatoli Karpow anlässlich der Eröffnung einer neuen Karpow-Schachschule beim Schachclub Bad Königshofen (wir berichteten) sprach der ehemalige Schachweltmeister (1975 bis 1985, FIDE-Weltmeister 1993 bis 1999) und Duma-Abgeordnete über seinen größten Sieg, die Vorbereitung auf eine Partie in Zeiten des Internets und über die richtige Ernährung.
Frage: Woran liegt es, dass Schach in Russland so beliebt ist, während in Deutschland eher Fußball die wichtigste Sportart ist?
Anatoli Karpow: Alles ist eine Frage der Entwicklung, ich kann mich an Zeiten erinnern, als Schach in Deutschland auch sehr populär war und dort die beste Schachzeitung herausgegeben wurde. In Russland entwickelte sich Schach besonders durch die staatliche Unterstützung. Als nach der russischen Revolution die Intelligenz ausgewandert war, wurde Schach von der Regierung eingesetzt, um den Analphabetismus innerhalb der Bevölkerung zu bekämpfen.
Warum ist es für Kinder gut, Schach zu erlernen?
Karpow: Hauptsächlich sind das soziale Gründe. In keiner Stadt der Welt gibt es Drogenprobleme in den Schachvereinen, die Droge Schach verdrängt alle anderen. Es gibt auch wenige Schwierigkeiten in den Vater-Sohn-Beziehungen. Kinder und Erwachsene, Mann und Frau und alle Altersgruppen spielen auf gleicher Ebene an den Brettern. Schach bringt Disziplin, Konzentration und Gedächtnis werden besser, das logische und das strategische Denken werden geschult, mathematische Schwächen vermieden. Die Lösungsfindungen im Schach und bei Mathematikaufgaben sind ähnlich. Das Internet eröffnet den Kindern heute neue Möglichkeiten, pro Jahr werden dort ungefähr 400 Millionen Schachpartien durchgeführt.
Was ist in einer Karpow-Schachschule anders als in einem normalen Training?
Karpow: Es gibt viele unterschiedliche Schachschulen, sie sind in normale Schulen oder in Schachzentren integriert oder es sind ganz professionelle Schulen. Wie die Schachschule in Bad Königshofen gestaltet wird, muss ich mit Jürgen Müller, dem Vorsitzenden des SC Bad Königshofen, noch besprechen. Unterrichtet wird nach den besten Methoden, die ich selbst entworfen habe.
Welche Eigenschaften muss man haben, um im Schach erfolgreich zu sein?
Karpow: Ein universelles Rezept gibt es nicht. Seit 1886 gibt es den Weltmeistertitel, seitdem gab es weniger als 20 Weltmeister, die letzten sieben erst in den letzten 45 Jahren. Wenn es ein allgemeines Rezept gäbe, dann hätten wir mehr Weltmeister.
Sie spielen seit ihrem vierten Lebensjahr Schach, haben Sie jemals den Spaß daran verloren oder wollten Sie jemals aufgeben und etwas ganz anderes machen?
Frage: Manchmal, aber nur ganz kurz. Meine Eltern haben mich nie dazu gezwungen, aber mich auch nicht behindert. Die schulischen Leistungen waren dabei entscheidend und ich war der Beste in der Schule, obwohl ich für die mündlichen Fächer nie gelernt habe. Ich habe mir nur die Seiten im Buch angeschaut – weil ich ein fotografisches Gedächtnis habe wusste ich alles, was darauf stand.
Welcher Beruf wäre für Sie in Frage gekommen, wenn Sie damals kein Schachprofi geworden wären?
Karpow: Ich habe ja einen anderen Beruf. Ich habe ein Wirtschaftsstudium absolviert und bin an Universitäten als Professor tätig, außerdem bin ich Politiker. Ich hätte mir auch vorstellen können, Mathematiker zu werden, Geschichte und Geografie interessieren mich auch.
Unter den Schachprofis gelten Sie als Spieler ohne Emotionen. Ist es so wichtig, in einem Duell keine Gefühle zu zeigen?
Karpow: Das habe ich gelernt. Keine Emotionen zu zeigen ist für den Spieler selbst wichtig, das gibt ihm Sicherheit. Je weniger emotional man ist, desto eher bekommt man panische Gefühle in den Griff. Sich selbst zu kontrollieren hilft dabei vernünftig ans Ziel zu kommen – sachlich zu bleiben, ist auch als Politiker wichtig.
Wie haben Sie sich damals auf Ihre Gegner vorbereitet, als es kein Internet und weniger Informationen gab?
Karpow: Heute ist es einfacher geworden, man kann Informationen aus dem Internet beziehen, aber der Gegner hat ja den gleichen Vorteil, das erschwert das Ganze. Man muss also eine eigene Strategie entwerfen und dabei beachten, welche Strategie wahrscheinlich der Gegner anwenden wird und dieser Strategie wiederum entgegen arbeiten.
Spielen bei den Vorbereitungen auf ein Turnier auch die Ernährung und körperliche Fitness eine Rolle?
Karpow: Der Körper verbraucht viel Energie bei höchster Konzentration über fünf bis sechs Stunden. Kurz vor der Partie sollte man nichts essen, die letzte Mahlzeit – was Leichtes mit viel Kohlehydraten – sollte aber auch nicht zu lange zurückliegen. Körperliche Fitness ist sehr wichtig, ich habe damals Schwimmen, Gymnastik, Tennis, Basketball und Skilanglauf betrieben.
Für sehr viele Schachfans sind Sie ein Idol – was war für Sie persönlich ihre wichtigste Partie in Ihrem Leben – egal ob Sieg oder Niederlage?
Karpow: Ich würde auf keine Partie verzichten wollen. Aber mein größter Erfolg war der Sieg in Spanien, in Linares 1994, wo sich die 14 stärksten Spieler der Welt trafen und ich mit 2,5 Punkten vor Kasparow und Schirow siegte.
Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten – gibt es etwas, was Sie aus heutiger Sicht anders machen würden oder was Sie gern noch einmal erleben würden?
Karpow: Ich wäre nie mehr bereit, die Spiele gegen Garri Kasparow auf dem Boden der UdSSR zu spielen. Nur in der UdSSR konnte man so unhöflich gegen die Regeln der Welt-Schachorganisation verstoßen.