Mit hundert Jahren auf dem Buckel gehört man in der Corona-Krise unweigerlich zur Hochrisiko-Gruppe. Es sei denn, man ist Kegelklub, erfreut sich trotz des hohen Alters bester Gesundheit und eines unnachahmlichen Zusammenhalts. Letzteres leben die 92 Mitglieder des SKK Dreieck Schweinfurt bestens vor – feiern konnten sie ihr Jubiläum termingerecht trotzdem nicht ob der Pandemie. Gebührend angestoßen auf den Hundertsten wird etwas verzögert am 4. September im Naturfreundehaus. Da kann dann Ingrid Kiesel gleich ein Gläschen Sekt extra heben: Sie hat genau 50 Jahre im Klub voll, als Keglerin und Funktionärin. Ein halbes Jahrhundert Vereinsgeschichte hat sie mitgeprägt und entsprechend viel zu erzählen.
Von der Gründung 1921 im Gasthaus Roten Ochsen freilich nur aus zweiter Hand. Auch vom Vereinslied, das in den Fünfzigern Georg Bittermann getextet hat. "Wir sind der Kegelklub Dreieck. Wir kegeln gut, im Kampfe geht's freiweg. Wir sind ja überall bekannt im ganzen Gau. Wir tragen auch mit Stolz die Farben Weiß und Blau." Eine schmissige Nummer im Stil der Zeit. So richtig in Fahrt kommt Kiesel aber erst, wenn sie an 1970 denkt - an den Start ihrer Kegler-Laufbahn bei den Dreieck-Damen. Mit denen sie Anfang der Siebziger in Regensburg bayerische Mannschaftsmeisterin wurde und anschließend zur Deutschen fahren durfte. "Wir waren damals ja die jüngere Generation", sagt die 76-Jährige. "Die Alten haben damals erzählt und wir zugehört. Das gehört so zu einem guten Einklang. Den haben wir auch heute noch – nur jetzt gehöre ich zu den Alten."
Auswärts mit dem Herrschaftsfahrer
Man hört ihr gerne zu, wenn sie erzählt von aufregenden Auswärtsfahrten. Wie der in den Neunzigern nach Durach. An einem autofreien Sonntag. Nichts mit Privat-Pkws und ab ins Schwäbische. Ein Bus wurde gemietet und hinters Steuer kletterte – des offiziellen Anstrichs wegen – ein Herrschaftsfahrer, der ansonsten die Bel Etage von Sachs chauffierte. Wäre alles paletti gewesen, wenn es nicht plötzlich einen halben Meter Neuschnee gegeben und das Tagesprogramm extrem gerafft hätte: spät ankommen, schnell kegeln, nichts essen und möglichst früh wieder abfahren – das alles zwischen 5 und 20 Uhr.
Die ganz großen Jahre der Dreieck-Kegler lagen da aber schon gut zwei, drei Jahrzehnte zurück. Da war Hans Bittermann, 1956 deutscher Einzelmeister und zudem zweimal bayerischer Meister und 1955 Zweiter der Deutschen. 1972 wurde er noch einmal deutscher Seniorenmeister. Auch Gretel Sauter gelang dreimal der Sprung aufs Treppchen bei nationalen Titelkämpfen: 1956 als Einzel-Zweite, mit der Mannschaft 1960 als Erste und 1972 als Zweite. Ihr Sohn Dieter Sauter, Hugo Schweizer (zudem 1956 Dritter und 1964 Mannschafts-Vize bei der Deutschen), Albin Höret und Anneliese Oberleiter waren darüber hinaus von den Fünfzigern bis in die Siebziger Stammgäste auf dem Treppchen bei den bayerischen Landesmeisterschaften. In Schweinfurt galten die Teams des SKK Dreieck, dessen Männer und Frauen heute in der Bezirksoberliga zu Hause sind, als führend.
Weiße Shirts mit hellblauen Krägelchen
Das war eine Ära, in der die Aktiven nach Außen noch Tradition und Etikette präsentierten. Männer kegelten in langen weißen Hosen, Frauen in Röcken – "langen wohlgemerkt", wie Ingrid Kiesel betont. Dazu ein schickes, einheitliches weißes Poloshirt mit hellblauem Krägelchen. Später seien dann weiße Shorts in Mode gekommen, die sind beim SKK Dreieck inzwischen schwarz. Aber Hauptsache "züchtig". So ein bisschen muss Kiesel nämlich schon den Kopf schütteln, dass einige Keglerinnen schon länger diese "viel zu kurzen" Miniröckchen tragen, die eigentlich zum Tennisspielen gedacht sind. "Beim Kegeln geht's halt arg tief in die Hocke und hinter uns sitzt das Publikum. Da sieht man schon viel. Vielleicht haben diese Mannschaften auch deswegen mehr Zuschauer – männliche."
"Konnten wir mithalten. Bei uns war Weinschorle im Krug. Den musste die Spieltags-Schwächste spendieren."
Ingrid Kiesel zum Image des Kegeln als Maßkrug-Sport und die Sitten bei den Frauen
Dass Frauen überhaupt Kegeln dürfen, sei vor 100 Jahren noch nicht vorgesehen gewesen. Das Gründer-Foto zeigt ausnahmslos Männer, 19 an der Zahl. In den wilden Zwanzigern hätten Frauen aber alsbald auf ihre Rechte gedrängt. Spätestens ab der Nachkriegszeit standen Frauen und Männer gleichberechtigt auf der Bahn. Ein typisch männliches Ritual, das Biertrinken aus Litergefäßen, sorgte dennoch lange Zeit noch für das Image des Kegelns als Maßkrug-Sport. "Konnten wir aber mithalten", sagt Kiesel. "Bei uns war halt Weinschorle im Krug. Den musste die Spieltags-Schwächste spendieren."

Das gesellschaftliche Drumherum sorgt im Kegelsport allgemein für familiäre Strukturen, beim SKK Dreieck noch ein wenig mehr. Denn man residiert in der Niederwerrner Straße 14 nicht zur Miete, sondern nennt die Anfang des neuen Jahrtausends für rund 35 000 Euro modernisierte Vier-Bahnen-Anlage sein Eigentum. Nachdem der Verein das Gelände um die Gaststätte "Stadt Kissingen" mit seinerzeit zwei Bahnen vom damaligen Eigentümer Brauhaus Schweinfurt per Erbbaurecht auf 99 Jahre kostenlos überlassen bekommen hatte, wurde am 9. Mai 1986 Richtfest gefeiert – die erste Vier-Bahnen-Anlage stand. Das zog Jugendliche an, schnell standen erste Mannschaften, von denen die Jugend B 2006 in Bautzen Zweiter der deutschen Meisterschaft wurde.
Umschläge mit Zwetschgen-Schnaps
Zu diesem Zeitpunkt war Ingrid Kiesel schon Vorsitzende des Vereins, ein Amt, das sie 2019, nach knapp 20 Jahren abgab. Zuvor war sie Schriftführerin und stellvertretende Vorsitzende. Das Jubiläums-Führungsteam bilden aktuell die Vorsitzende Evelyn Habl, ihr Stellvertreter Sven Herder, Schriftführer Horst Böhnlein und Kassier Florian Jelitto. Die jetzigen Jungen, die begeistert Kiesel, als der "Alten", zuhören. Wenn sie sich an ihr "absolutes Highlight" erinnert: Das entscheidende Spiel um die Bezirksmeisterschaft gegen Isabell Würzburg, das die Schweinfurterinnen nach einigen widersprüchlichen Rechnungen schließlich doch mit einem Holz Vorsprung gewannen – um später bayerischer Meister zu werden. "Da hatte sich Hedwig Bittermann den Finger umgeknickt. Wir haben ihr einen Umschlag mit Zwetschgen-Schnaps gemacht, dann ging es für sie weiter."
Habl und Co. werden später auch eine Geschichte zu erzählen haben: die von der Corona-Krise und einem Jahr sportlicher Zwangspause. Durch die der SKK Dreieck zumindest wirtschaftlich recht gut gekommen ist. Da der Klub Betreiber der Bahnen ist, die gemietet werden können, gilt er nicht nur als e.V., sondern auch als Wirtschaftsbetrieb. Und hat staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen dürfen. November- und Dezemberhilfe sind rechtzeitig angekommen. Der Verein steht gesund da und ist bereit für den Herbst 2021: Im September soll die Saison wieder starten für einen erstaunlich junggebliebenen Hundertjährigen.