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Kegeln:: Auch ohne Augenmaß extrem präzise

Kegeln:

Auch ohne Augenmaß extrem präzise

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    Maßarbeit: Silvio Hartseil vom Magdeburger SV 90 sieht maximal drei Meter weit und schiebt seine Kugel mit beiden Händen. Im Hintergrund steht seine Frau Andrea Hartseil als Betreuerin, die zugleich auch eine Auswahlspielerin ist. Beide sind für das zweite Auswahltraining in Riesa nominiert.
    Maßarbeit: Silvio Hartseil vom Magdeburger SV 90 sieht maximal drei Meter weit und schiebt seine Kugel mit beiden Händen. Im Hintergrund steht seine Frau Andrea Hartseil als Betreuerin, die zugleich auch eine Auswahlspielerin ist. Beide sind für das zweite Auswahltraining in Riesa nominiert. Foto: Foto: Rene Ruprecht

    Ein dynamischer Anlauf mit einem kontrollierten Schwung für den perfekten Drall – in Kombination mit einem exakten Augenmaß ist das die beste Voraussetzung, um alle Neune auf der Kegelbahn abzuräumen. Was aber, wenn der Anlauf und vor allem das Augenmaß bei der Präzisionssportart fehlen? Funktioniert nicht? Von wegen. Den Beweis gab es am Wochenende beim Kegelverein SKK Haßfurt, als 19 vollblinde und hochgradig sehbehinderte Kegler aus ganz Deutschland die Kegelbahnen in Haßfurt auf höchstem Niveau regierten.

    Unter den angereisten Vereinsspielern von Rot-Weiß Neuenhagen, Magdeburg SV 90, SV Jena-Zwätzen, ESV Lok Chemnitz, SC Riesa, Chemie Wolfen, CSV Siegmar 48 und BSG Eschweiler waren auch deutsche Meister wie auch Europa- und Weltmeister. Aus der Region nahmen Britta Pöschk und ihr Vereinskollege Karlheinz Löffler vom BSVG Dittelbrunn teil. Beide wurden bereits mehrmals bayerischer und deutscher Meister, mit der Nationalmannschaft erreichten sie Einzel- und Mannschaftsmedaillen auf Europa-und Weltmeisterschaften.

    Wie schon im letzten Jahr fand zum zweiten Mal ein Auswahltraining für die deutsche Classic-Nationalmannschaft für Blinde und Sehbehinderte am Untermain statt. Jedes Jahr müssen sich die blinden und extrem sehgeschwächte Spitzenkegler für eine Nominierung unter Beweis stellen, um Deutschland bei der Europameisterschaft zu vertreten – in diesem Jahr im slowakischen Kosice statt. Im letztjährigen Austragungsort Tomaszow in Polen verfehlte das deutsche Team im weiblichen und männlichen Mannschaftswettbewerb jeweils knapp Bronze, Silber holte es dagegen im Frauen-Einzel und im Mix-Wettbewerb.

    Drei Kategorien

    Die potenziellen „Deutschlandkegler“ nahmen weite Anfahrtsstrecken in Kauf, kamen überwiegend mit dem Zug nach Unterfranken. Für 120 Kugeln brauchen die gehandicappten Sportler ungefähr eine Stunde Spielzeit. Was sich für nicht viel anhört, erfordert außerordentliche Kondition, Konzentration, Kraft und vor allem Fingerspitzengefühl. Das Sehhandicap der Sportler wird in drei Schadensklassen aufgeteilt: B1 (Vollblinde), B2 (Sicht bis maximal drei Meter) und B3 (Sicht bis maximal fünf Meter). Die Kegelbahn ist ohne Anlaufbereich bis zur ersten Kegel 19,5 Meter lang. Vor allem die B1- und B2-Kegler müssen pro Bahn rund eine Viertelstunde auf einem millimetergenau gewählten Standort stehen bleiben, um die Kugel mit beiden Händen auf eine präzise Reise schicken zu können.

    Jeder Spieler bekommt Unterstützung von einem Betreuer, um auf die jeweilige Bahn zu kommen und dann mit Hilfe von Probewürfen sich zu positionieren, hier richtet der Betreuer den Spieler aus. Für jeden Schub reicht der Betreuer dem Spieler die knapp drei Kilogramm schwere Kugel. Es sind auch Tipps und Hinweise im Wettkampf erlaubt, wie „linke Gasse, rechte Gasse oder kleine Gasse“ oder bei einer Fehlkugel „Ratte“.

    Beim Auswahltraining werden die Talente vom erfahrenen Stephan Mai aus Wesel, Kegel-Cheftrainer des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) und deutscher Vertreter der IPSA (International Blind Sports Federation), gesichtet. Bei der Weltmeisterschaft 2007 in Kosice errang Mai mit seinem Vater und Kegler Erwin Mai (Vfl 08 Repelen) die Bronzemedaille. Seine Co-Trainerin, die aktive Regionalligakeglerin Petra Löffler vom FV 09 Sulzheim ist bei der Auswahl wie auch bei der Europameisterschaft mit von der Partie: „Natürlich geht es in erster Linie um die Leistung, aber auch die, die Potenzial zeigen, werden nominiert“, so Löffler. Zwei Spieler haben es in Haßfurt nicht geschafft, die restlichen 17 Kegler, darunter auch die beiden Dittelbrunner, dürfen sich noch einmal im sächsischen Riesa im März mit weiteren Spielern für die deutsche Auswahl unter Beweis stellen.

    Kaum finanzielle Förderung

    Das Nationalteam soll aus 14 Keglern bestehen, neben dem Trainerduo sind auch fünf Teambetreuer dabei. Der DBS stellt rund 17 000 Euro für das „Projekt Europameisterschaft“ zur Verfügung, dieses Geld deckt aber nicht die gesamten Unkosten, der Rest wir aus eigener Tasche bezahlt. Auch die Kosten für Anfahrtswege zum jeweiligen Auswaltraining wie auch für die Vorbereitungseinheiten müssen die Spieler und Betreuer selbst finanzieren. Co-Trainerin Löffler findet es „schade, dass das Blindenkegeln keine paraolympische Disziplin ist und daher kaum gefördert wird. Deshalb werden immer gerne Spenden beim DBS entgegen genommen, die aber sportartgebunden sein müssen, also für die Nationalmannschaft Kegeln Classic.“ Im gesamten aktiven Kegelsport, ob mit oder ohne Einschränkungen, sind die Mitgliederzahlen in Deutschland seit Jahren rückgängig. Das spiegelt sich auch im Alter der Anwärter für das Nationalteam wider. Judith Dolny (ESV Lok Chemnitz) ist mit 40 Jahren die jüngste deutsche Auswahlteilnehmerin, dagegen haben andere Nationen Talente im Alter von 19 Jahren.

    Die Co-Trainerin Löffler weiß, dass viele Menschen Blindenkegeln nicht kennen: „In der ehemaligen DDR wurde Blindenkegeln wesentlich mehr Beachtung geschenkt und gefördert, wie auch in den Ostblockländern, was heutzutage immer noch der Fall ist.“ Beim Auswahltraining haben einige Haßfurter Aktive, die Bahnaufsicht leisteten, zum ersten Mal Blindenkegeln gesehen „und waren erstaunt, dass blinde Sportkollegen so exakt kegeln können“, so Löffler, die nicht zum ersten Mal solch eine überraschende Reaktionen erfuhr.

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