Als Spieler brachte es Björn Schlicke von 2000 bis 2015 für die Vereine Greuther Fürth, Hamburger SV, 1. FC Köln, MSV Duisburg und FSV Frankfurt auf 340 Erst- und Zweitliga-Einsätze. Seit Anfang 2019 ist der 38-Jährige, der bei der SpVgg Greuther Fürth II seiner Verteidiger-Karriere ausklingen ließ und die des Sportleiters startete, verantwortlich für den Kader des Fußball-Regionalligisten FC 05 Schweinfurt. Im Sommer sorgten seine Transfers für den Austausch der halben Mannschaft, Anfang November zeichnete er für den Wechsel auf der Trainerposition von Timo Wenzel zu Tobias Strobl verantwortlich. Schlicke hält trotz der acht Punkte Rückstand auf Spitzenreiter Türkgücü München am Saisonziel Meisterschaft fest.
Frage: Herr Schlicke, Sie sind jetzt ein Jahr in Schweinfurt. Zeit für eine persönliche Bilanz.
Björn Schlicke: Es ist ja Einiges passiert. Als ich angefangen habe, war die Stimmung ziemlich down. Es war vergleichbar mit der Phase vor der Trainerentlassung. Damals hatten wir zwölf Punkte Rückstand auf Bayern II, das Ziel Aufstieg war vorbei. Ich konnte also in Ruhe entschließen, was uns weiter hilft und wie die Ausrichtung im Sommer sein sollte. Es folgte eine spannende Transferperiode mit vielen Stunden über Notizblöcken: Was ist möglich? Was macht keinen Sinn? Und schließlich kam eine Konkurrenz ins Haus, mit der man sich beschäftigen musste: Türkgücü München ist kein gewöhnlicher Aufsteiger. Das interessanteste aber war: Wie greifen die vielen Veränderungen in der Mannschaft? Das klappte schnell und bis Oktober, als die Ergebniskrise kam. Mit der Trainerentlassung habe ich dann auch eine unpopuläre Entscheidung treffen müssen. Ein turbulentes Jahr also.
Bereuen Sie es vielleicht schon, sich ausgerechnet den FC 05 mit seinem anspruchsvollen Umfeld ausgesucht zu haben für die erste hauptverantwortliche Sportleiter-Station?
Schlicke: Nein. Ich sehe Schweinfurt als Herausforderung auf meinem Weg, etwas zu lernen, etwas zu kreieren und entstehen zu lassen. Ich bin ja noch nicht so erfahren in diesem Job, ich weiß nicht alles, ich kann nicht alles.
Was würden Sie mit dem Erfahrungsschatz des einen Jahres anders machen?
Schlicke: Kleinigkeiten. Vielleicht mal da eine Ansprache etwas lauter, Themen vielleicht früher, vielleicht auch erst später ansprechen. Es ist ja meistens ein Momentum, in dem es gilt, die richtige Wortwahl zu finden. Aber Grundlegendes würde ich nicht anders machen.
Wäre der FC 05 ein Schüler, stünde im Halbjahreszeugnis vermutlich: Versetzung gefährdet.
Schlicke: Im Schulbereich betrifft das ja die Schlechten. Aber es ist schon so. Man kann die aktuelle Situation aus zwei Perspektiven sehen. Einerseits sind wir Zweiter und wollen Erster werden. Aber man muss auch die Fakten sehen. Wir haben zehn Punkte mehr als letztes Jahr um diese Zeit und zwölf Tore mehr geschossen. Unser Konkurrent steht besser da als der FC Bayern München II damals, obwohl Jeder gesagt hat, dass dies die Übermannschaft wäre. Man sollte es in der Relation sehen: Man kann eine sehr gute Saison spielen und das geht trotzdem unter. Wir sind noch nicht bei einer sehr guten Saison, aber irgendwo zwischen gut und sehr gut. Sehr gut ist man halt nur, wenn man Erster ist. Wir haben einen Gegner, der bisher konstanter war.

Am für den FC 05 katastrophalen Oktober mit nur einem Punkt und dem Pokal-Aus hatte dieser Gegner aber keine Schuld.
Schlicke: Woran das genau lag, ist schwer zu sagen. Man kann da nicht einfach Plan B aus der Schublade ziehen und es läuft wieder. Wir waren in einer guten Ausgangsposition, in der Liga vorn und im Pokal dabei. Ich glaube, die Entscheidung, vor dem Pokalspiel in Aschaffenburg bisschen die Luft rauszunehmen, war zwar nicht die falsche, aber die schlechtere. Wir dachten, der Kader ist ausgeglichen genug, die arrivierten Spieler für das anstehende Nürnberg-Spiel zu schonen. Nun, das Resultat ist bekannt, beide Spiele sind in die Hose gegangen. Und dann fangen Spieler und Verantwortliche an, zu rätseln, ob der Kader wirklich so gut ist wie eingeschätzt. Wir waren letztlich nicht so gefestigt, einfach wieder auf Temperatur zu schalten. Aus dieser Situation konnten wir uns nicht mehr herausholen, so blieb nur als Reaktion der Trainerwechsel. Auch weil ich beim 2:2 in Aubstadt nicht das Gefühl hatte, dass wir das nächste Spiel gewinnen werden.
Da hätte ein Klub mit dem Ziel Meisterschaft und der Gewissheit, dass am Ende ein Punkt entscheiden kann, womöglich noch schneller einen neuen Impuls geben müssen.
Schlicke: Da waren natürlich unglückliche Sachen dabei. Gegen Nürnberg hatten wir auf ein Tor gespielt, doch nur der Gegner trifft. Wenn in Eichstätt der Schiedsrichter nach dem diskussionswürdigen Elfmeter und dem regulären Ende abpfeift, wäre es wenigstens ein Punkt gewesen, und keiner hätte was gesagt. Da sagt man, "wahrscheinlich war es nur Pech" und hält am Trainer fest. Aber es war wohl in Summe zu oft Pech, und dann hinterfragt man das. Zumal die ersten 50 Minuten in Aubstadt Augen öffnend waren für mich. Da war keine Selbstsicherheit zu sehen, kein Aufbäumen. Es musste etwas passieren, auch wenn man nie Gewissheit hat, dass es greift. Aber es hat ja gegriffen.
"Da hätte ich auf vier gestandene Spieler bei uns verzichten müssen, um ihn bezahlen zu können."
FC-05-Sportleiter Björn Schlicke über Türkgücü Münchens Verpflichtung von Marco Holz
Wenzel-Nachfolger Tobias Strobl wurde ja bereits zwei Tage später präsentiert. Lag das als Plan B schon länger in der Schublade?
Schlicke: Jetzt verrate ich ein Geheimnis: Nach der Trainerentlassung von Timo Wenzel bin ich fest davon ausgegangen, dass ich die Aufgabe für die nächsten vier Wochen übernehmen würde. Bis ich einen geeigneten Trainer finde, bei dessen Auswahl ich keinen Fehler machen wollte. Doch dann war der erste Kontakt mit Tobi so gut, dass wir sofort überzeugt waren, dass er in dieser Situation exakt der Richtige ist. Der Kontakt kam über unseren Präsidenten Markus Wolf zustande, der schon öfter im Austausch mit ihm war. Und Tobi hat gesagt: "Wenn ihr mich braucht, bin ich morgen da."
Die dann folgenden vier Siege in vier Spielen hatten viel mit Leidenschaft und einer sich neu entwickelnden Euphorie zu tun. Bei noch zwölf ausstehenden Partien werden aber wieder Qualität und Konstanz nötig sein. Was steckt noch drin in der Mannschaft?
Schlicke: Die Mannschaft hatte unter Tobi Strobl die Ausgangslage, sofort funktionieren und dann drei Spiele überleben zu müssen. Da konnte sie sich schwerlich auf 100 Prozent hin entwickeln. Man muss aber auch sehen, wer vor dem Winter angeschlagen war oder länger gefehlt hat. Wir bekommen sozusagen Christian Köppel, Lamar Yarbrough und Lukas Ramser als Zugänge zurück. Das sind Qualitätsschübe, die der Mannschaft gut tun werden. Und was die Leidenschaft betrifft: Die lässt sich konservieren, wenn man weiter gewinnt. Wenn wir unsere Punkte nicht holen und die anderen gewinnen, dann dürfte das freilich schnell abfallen.
Gesetzt den Fall, es klappt 2020 nicht mit dem Titel: Gibt es ein Ultimatum des Präsidenten?
Schlicke: Nein, wir planen zweigleisig. Und für den Fall eines weiteren Jahres Regionalliga hat er überhaupt nicht signalisiert, dass es dann mit dem Ziel Dritte Liga vorbei ist.

Türkgücü München hat in der Winterpause Sercan Sararer verpflichtet. Mit dem einstigen Kleeblatt-Torjäger Ilir Azemi ist weiterer Ex-Fürther vereinslos aus dem Markt. Hatten Sie den Namen noch nie im Kopf?
Schlicke: Doch. Doch! Ich war mit seinem Berater vor der Saison in Kontakt, aber es hat nicht gepasst.
Wenn Türkgücü am Ende Erster sein sollte, war zum dritten Mal in Folge eine Münchner Mannschaft besser. Der TSV 1860 und jetzt die Türken mit deutlich teurerem Personal. Nennen wir es mal Model M(ünchen). Möglicherweise braucht 2020/21 auch der FC 05 so ein Modell M.
Schlicke: Hätte ich gerne, das gebe ich zu. Wir haben uns damit beschäftigt. Aber das würde unser Gehaltsgefüge sprengen. Wenn ich den aus Saarbrücken nach München gewechselten Marco Holz nehme, den ich wirklich gerne im Sommer gehabt hätte: Da hätte ich auf vier gestandene Spieler bei uns verzichten müssen, um ihn bezahlen zu können. Auch wenn Viele glauben, wir hätten in Schweinfurt einen Dukaten-Esel, den haben wir nicht. Solche Spieler sind ganz andere Hausnummern. Und ich glaube nicht, dass bei uns noch zweimal ein Markus Wolf um die Ecke kommt.
Eine Personalie, mit der man sich beschäftigen wird müssen, ist Adam Jabiri mit seinen 35 Jahren. Sie dürften nach einem weiteren Top-Stürmer seines Formats Ausschau halten.
Schlicke: Definitiv. Nur: Den sucht wirklich jeder Verein. Wir haben Adam natürlich immer noch gerne in der Mannschaft und im Verein. Und er hat noch keine Lust auf Rentnerdasein. Er kann nicht mehr alle Spiele machen, das weiß er. Deswegen schauen wir uns um, in der Regionalliga, auch in der Dritten Liga. Aber: Außer Türkgücü konkurrieren wir bei dieser Suche mit keinem Verein der Regionalliga Bayern. Wir konkurrieren mit Ulm, Offenbach oder Saarbrücken. Und da kann leider mehr Geld verdient werden, der Westen und Südwesten bezahlt richtig gut.