Er ist ein Fighter mit langem Atem. Drei Jahre versuchte Robert Stieglitz aus der Schattenwelt des Profiboxens aufzusteigen ins glänzende WM-Licht. Zweimal scheiterte er, am 22. August 2009 in Budapest war er am Ziel seiner Träume. Mit einem Sensationssieg holt er sich den goldenen Gürtel im WBO-Supermittelgewicht. Den Weltmeister schickte er vom Ring in die Klinik. Seitdem ist der 28-jährige Magdeburger als Hauptkämpfer bei ZDF-Boxabenden zu sehen, wie vor drei Wochen bei der ersten Pflichtverteidigung. Ein Interview mit dem Boxaufsteiger am Rande eines Besuchs in Schweinfurt am Bergl.
Herr Stieglitz, ein Boxkampf hat Sie nicht nach Schweinfurt gelockt.
Robert Stieglitz: Nein, es handelt sich um einen Familienbesuch. Das ist während des Trainings kaum möglich. Wegen einer Handverletzung aus dem Titelverteidigungskampf kann ich momentan nicht trainieren, da bleibt mehr Zeit für die Familie. Und mein Cousin Vitali ist bei meinen Kämpfen immer live dabei. Er unterstützt mich auch mit seinem Einkaufsmarkt als Sponsor. Bei dieser ersten Pflichtverteidigung hat er sogar meinen WM-Gürtel im Ring präsentieren dürfen. (lacht)
Dabei haben sie die Nr. 1 der WBO-Rangliste, den bis dahin ungeschlagenen Eduard Gutknecht, nach Punkten besiegt. Wie ist es, nicht mehr Jäger, sondern Gejagter zu sein?
Stieglitz: Es war eine richtige Schlacht. Auch wenn wir Freunde sind, haben wir uns nichts geschenkt. Ich war nur etwas enttäuscht, weil Eduard nachgeschlagen hat, nachdem der Referee den Kampf unterbrochen hatte. Da habe ich kurz Sternchen gesehen. Solche Sachen sind nicht in Ordnung, es muss trotz allem fair bleiben.
Spricht man danach darüber?
Stieglitz: Die Sache ist geklärt, wir haben uns ausgesprochen. Nächste Woche trainieren wir sogar gemeinsam und machen einen Showkampf.
Sie gelten als schlagkräftiger Boxer, der oft in den letzten Runden gewinnt.
Stieglitz: Ich mag es, offensiv zu boxen, mit Tempo. Das ist mein Charakter, das ist meine Stärke. Da kommt mir meine Kondition entgegen. Nur so kann ich die Gegner zwölf Runden lang ständig unter Druck setzen, wie eben Eduard. Der konnte zehn Runden mitgehen, das war‘s dann. Wenn jemand den Titel will, dann muss er extrem gegenhalten. Im Moment bin ich der Stärkste.
Das hat im August auch der damalige Weltmeister Karoly Balszay aus Ungarn vor eigenem Publikum zu spüren bekommen, als Sie sich völlig überraschend den Titel holten.
Stieglitz: Die Taktik meines Trainers Torsten Schmitz ging auf: Acht Runden habe ich den Ungarn laufen lassen, dann habe ich Gas gegeben. Zwei Runden später war er platt.
Was war das für ein Gefühl, endlich den WM-Gürtel in die Höhe zu halten?
Stieglitz: Ein einmaliges Gefühl, und das im Heimatland des Weltmeisters! Da muss man schon eindeutig besser sein. Es war doppelt schön, da es der erste WM-Titel für meinen Boxstall und mein Team war. Das war die Anerkennung für lange Jahre harter Arbeit. Die Euphorie auch im Umfeld ist riesig. In Magdeburg haben Sie mich als 'Ihren Weltmeister' mit einem Stein für immer auf der Straße verewigt – das ist fast schon so wie in Hollywood.
Ihre Profikarriere stand zu dieser Zeit am Scheideweg. Zuvor hatten Sie einen WM-Ausscheidungskampf und einen Titelkampf verloren.
Stieglitz: Ganz klar, es war die letzte Chance für mich, Weltmeister zu werden. Aber ich gebe nie auf. Und man muss mit Druck richtig umgehen können. Deshalb bin ich damals mit einer recht lockeren Einstellung in diesen Kampf reingegangen. Schließlich hatte der Ungar zu Hause viel mehr zu verlieren als ich – und so ist es dann auch passiert.
Warum klappte es mit dem Titel ausgerechnet gegen einen so starken Gegner?
Stieglitz: Ich habe härter als sonst trainiert und die richtigen Sparringspartner ausgewählt, auch die Kommunikation zwischen meinem Trainer, Manager und mir passte perfekt.
Wie geht es jetzt weiter?
Stieglitz: Ab nächster Woche werde ich wieder mit dem Training beginnen können, die Handverletzung ist fast ausgeheilt. Eventuell werde ich dann im August boxen. Ganz sicher wird es eine freiwillige Titelverteidigung sein, auf alle Fälle in Deutschland. Wer meinen Titel will, der muss ihn sich hier holen.
Gibt's einen Wunschgegner?
Stieglitz: Natürlich Artur Abraham. Er liegt in der aktuellen WBO-Rangliste auf Platz 2 und ist jetzt der erste Herausforderer. Da er zurzeit im Super-Six-Turnier antritt, ist ein Kampf erst nächstes Jahr möglich.
Ist die Vereinigung aller vier Boxverbände-Titel ein Ziel für Sie?
Stieglitz: Es ist natürlich ein Traum, alle Gürtel zu besitzen. Aber einen Titel zu behalten, ist schwer genug. Boxer, die das erreichen, gibt es sehr selten. Ich denke da lieber an meinen nächsten Kampf. Und vielleicht an einen zweiten WM-Gürtel. Das sind realistische Ziele.
Letztes Jahr kam der Titel
Robert Stieglitz (28), geboren 1981 in der Sowjetunion mit deutschen Vorfahren, kam als Jugendlicher über Ringen und Karate zum Boxsport. Mit 19 Jahren wurde er russischer Meister. Anfang des Jahrtausends siedelte er nach Deutschland über. Der ausgebildete Sportlehrer (verheiratet, ein Sohn) ist seit 2001 beim SES-Boxstall in Magdeburg unter Vertrag und gewann für diesen als erster Boxer einen WM-Titel. 2009 holte sich der Supermittelgewichtler (bis 76 Kilo) den WM-Gürtel gegen den amtierenden Champion Karoly Balzsay aus Ungarn. Seine Profibilanz: 40 Kämpfe, 38 Siege.