Die Änderung der Spitzensportförderung in Deutschland wird konkret. Am Montag treffen sich die Sportverbände zur Diskussion in Frankfurt, am Dienstag reden sie mit den Vertreten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des Bundesinnenministeriums (BMI), am Mittwoch findet im Sportausschuss des Bundestages in Berlin eine Expertenanhörung statt. Als gewählter Sprecher der Sportspitzenverbände ist Siegfried Kaidel (65), der Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes aus Schweinfurt, eine wichtige Figur im Ringen um die Details des neuen Konzepts, das mehr Medaillen bei Großereignissen abwerfen soll.
Frage: Herr Kaidel, was bekommen Sie derzeit mehr aus den Verbänden, Anfragen oder Hilferufe?
Siegfried Kaidel: Es ist eine Mischung aus beidem. Einerseits Hilferufe nach dem Motto „So kann's nicht gehen“. Das hängt damit zusammen, dass nicht alle Einzelpunkte bisher klar rübergebracht wurden. Dafür werden wir uns nächste Woche treffen. Es gibt aber gleichzeitig auch Anregungen und Fragen, die berechtigt sind.
Wie stehen Sie der Reform grundsätzlich gegenüber?
Kaidel: Man muss eine Änderung herbeiführen. Wenn Deutschland in der Weltspitze weiter vorne dabei sein will, muss es ein klares Bekenntnis zum Leistungssport geben. Und das Signal muss, wie es jetzt geschieht, aus der Politik kommen. England ist ein sehr gutes Beispiel, wie man den olympischen Sport anders aufstellen kann. Dort hat man sich nach 2008 allerdings auf wenige Sportarten konzentriert. In Deutschland ist das vom System her komplett anders.
Wo sind für Sie die wesentlichen Punkte des sehr komplexen Reformwerks?
Kaidel: Man will den Sportler und sein Umfeld in den Mittelpunkt stellen. Olympiastützpunkte sollen konzentrierter aufgestellt werden und dadurch besser zu steuern sein, auch wenn gerade das noch sehr stark diskutiert wird. Neu ist der Anspruch, Bundesstützpunkte mit hauptamtlichen Leitern auszustatten. Der Beruf des Trainers soll aufgewertet werden. Die Förderung für Sportler mit Potenzial soll künftig von Landesebene bis zum Bund durchgängig geregelt werden.
Es wurde ein Analysesystem namens Potas entwickelt, das die Zukunftschancen von Sportlern jeweils zwei Olympiazyklen vorausberechnen soll. Da scheint am meisten im Dunkeln zu liegen.
Kaidel: Einzelsportarten haben da ganz andere Kriterien als Mannschaftssportarten. Deshalb ist das auch schwierig. Wie bewerte ich wirklich Potenzial? Über die Auswahl der vorgeschlagenen Attribute wird nächste Woche sehr viel diskutiert werden. Da findet sich bisher nicht jeder Verband wieder.
Die Furcht geht um, dass an dem Konzept nicht mehr viel zu ändern sein wird.
Kaidel: Man muss sich von dem Gedanken lösen, dass diese Ergebnisse aus Potas bereits entscheidend sind. In der Diskussion wird man sicher darauf kommen, dass man Bereiche nachjustieren oder ändern muss. Wenn wir am kommenden Dienstag da Punkte finden, werden wir sie am Mittwoch im Sportausschuss bereits berücksichtigen. Jeder Verband wird auch noch in Strukturgespräche mit dem DOSB gehen und muss dann natürlich darlegen, wie er sich die Zukunft vorstellt. Bei der einen oder anderen Forderung fühlen sich die Verbände in ihrer Autonomie eingeschränkt. Aber daran werden die Gespräche nicht scheitern. Aus Forderungen lassen sich auch Empfehlungen machen.
Lässt der Zeitrahmen es wirklich zu, noch viele Änderungen durchzuführen?
Kaidel: Der DOSB hat in der letzten Sitzung des Beratungsgremiums darauf gedrängt, dass man nichts übers Knie brechen darf. Die endgültige Umstellung soll zum 1. Januar 2019 erreicht sein. Das heißt aber nicht, dass nicht jetzt schon Dinge beginnen können. Vieles wird bereits in den nächsten Wochen angeschoben werden. Das Thema Olympiastützpunkte und was mit ihrem Umfeld passiert, braucht sicher die meiste Zeit. Nur der Grundstock sollte bis Ende des Jahres stehen.
Um die Reform anschieben zu können, sollen laut den DOSB-Vorstellungen bereits 2017 zusätzliche Gelder aus Steuermitteln bereitgestellt werden.
Kaidel: Ich bin froh, dass man jetzt auch langsam mal über Geld spricht. Eine gewisse Summe müsste bereits jetzt in einem Nachtragshaushalt bereitgestellt werden. Generell wird es sicher nicht bei den bisherigen 160 Millionen Euro bleiben können. Welche Summe konkret nötig ist, um dieses System umzusetzen, ist noch gar nicht berechnet. Mir ist dabei aber auch wichtig: Man muss die Spitze fördern, darf darüber aber die Breite nicht vergessen. Das Spektrum der olympischen Sportarten ändert sich ständig. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn alle Bereiche weiter eine Grundförderung erhalten.
Wer zahlt, schafft an? Hat das BMI künftig stärkeren Einfluss auf den Spitzensport?
Kaidel: Das BMI hat auch heute überall, wo es um öffentliche Gelder geht, zu Recht die Hand drauf. Aber das BMI hat nicht den Anspruch, die sportfachliche Führung zu übernehmen.
Und die Rolle des DOSB? Nimmt er die Fachverbände künftig mehr an der Leine?
Kaidel: Nein, da würden die Verbände auch nicht mitmachen. Es ist ein Miteinander, wir müssen an einem Strang ziehen, auch in der Position gegenüber der Politik.
Sie sind Chef des Deutschen Ruderverbandes. Was würde sich durch die Reform für die Ruderer ändern? Würde es zum Beispiel einfacher als in der Vergangenheit für Sie, eine marktgerechte Dotierung für einen interessanten Kandidaten zum Bundestrainer hinzubekommen?
Kaidel: Es ist so, dass wir bei der Trainerfrage manchmal an finanzielle Grenzen gestoßen sind. Da ist in dem Papier ein guter Weg vorgesehen. Andererseits wissen wir auch, dass wir die Ruder-Bundesstützpunkte konzentrieren müssen. Grundsätzlich fällt uns das nicht so schwer, weil wir unsere Olympia-Mannschaften schon in den letzten Jahren an bestimmten Punkten zusammengezogen haben. Wir selbst erarbeiten gerade eine neue Führungsstruktur.
Der Sportdirektor soll in den Vorstand aufrücken, damit der Leistungssport mit in der Verantwortung ist. Damit würden wir eine der Forderungen des Papiers nach Professionalisierung der Verbände erfüllen.
Seit einer Aussage von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere grassiert bei Gewichthebern und Ringern die Angst, wegen der internationalen Dopingbelastung ihrer Sportarten von der Förderung ausgeschlossen zu werden.
Kaidel: Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Man darf deutsche Gewichtheber und Ringer nicht dafür abstrafen, dass sie im Wettbewerb mit Dopingsündern stehen. Wir haben in Deutschland ein sehr gutes System mit der Nada, die sehr professionell arbeitet. Ich bin im Aufsichtsrat und kann das, denke ich, gut beurteilen. Die Kontrollen werden den Sportlern manchmal zu viel, aber wir können sagen, wir tun alles gegen Doping. Wir wünschen uns über die Wada, dass internationale Kontrollen verstärkt werden.
Fühlten Sie sich als Sprecher der 62 Spitzenverbände in die Entstehung des Konzepts ausreichend einbezogen?
Kaidel: Acht Arbeitsgruppen haben das Gerüst gebaut. Wir im Beratungsgremium mit den Landesportbünden und Experten haben dann die Ergebnisse verdichtet vorgestellt bekommen und zu einzelnen Punkten unsere Meinung abgegeben. Wir haben schließlich alle Verbände informiert. Sowohl BMI und DOSB suchen jetzt die offene Diskussion. Es war ein sinnvoller Weg.
Wenn man den Veröffentlichungen glauben darf, dann gab es im Sommer in der Lenkungsgruppe für die Reform erhebliche Reibungen zwischen Ihnen und DOSB-Präsident Alfons Hörmann Er warf ihnen Verhinderungsstrategien vor und stellte sogar die Vertrauensfrage.
Kaidel: Die Sache ist zwischen uns aus der Welt geräumt. Wir haben ausführlich miteinander gesprochen, wir tun das auch jetzt im Vorfeld der Sitzungen nächste Woche. Natürlich gibt es unterschiedliche Standpunkte, die müssen dann offen diskutiert werden. Zudem bin ich auch gewählt worden, um die Interessen der Verbände zu vertreten. Wir wissen aber, worum es geht: Wir alle wollen diese Neustrukturierung und so gehen wir jetzt gemeinsam weiter.
Spross einer Ruder-Familie Er ist ein freundlicher Mensch ohne Allüren. Aber wenn es um die Sache geht, dann sollte man die Härte von Siegfried Kaidel nicht unterschätzen. Die Mitgestaltung der Reform der Spitzensportförderung ist seine Aufgabe, nachdem er 2014 zum Sprecher der deutschen Sportspitzenverbände gewählt wurde. Der 65-jährige Ruheständler kommt aus einer Schweinfurter Ruder-Familie. Sein Vater Willi hatte 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin die Silbermedaille im Doppelzweier geholt. Beim RC Franken Schweinfurt war Siegfried Kaidel bis 2015 18 Jahre lang Vorsitzender. 2008 wurde er erstmals zum Präsidenten des Deutschen Ruder-Verbandes (DRV) gewählt, im November wird er sich zum fünften Mal zur Wiederwahl stellen. Unter Kaidel entwickelte sich der DRV zum zweiterfolgreichsten Ruderverband nach Großbritannien und schaffte es, über Sponsoren mehr Mittel für den Breitensport bereitzustellen. hst