Aus den Boxen scheppert Walzer. Elegant kurvt das Mädchen im schwarzen Trainingsanzug übers Eis. Hier eine Pirouette, da ein Sprung. Sport und Musik fügen sich harmonisch zusammen. Zwischendurch ein Lächeln, rüber zur Trainerin, die nicht zurück lächelt. Stattdessen beobachtet Dagmar Buchholz-Köhler ganz genau jeden Schritt von Jana Maksimov. Die 13-Jährige ist derzeit die größte Hoffnung der Eiskunstlauf-Abteilung des ERV Schweinfurt.
Wenn alles gut geht, darf Maksimov nächstes Jahr zur bayerischen Meisterschaft. Das schafft aktuell von den rund 50 Schweinfurter Eisprinzessinnen keine andere, auch wenn es bei den ganz Kleinen zwei, drei vielversprechende Talente gibt. Und von den Jungs? „Welche Jungs?“, fragt Buchholz-Köhler, die seit 25 Jahren Abteilung und Training leitet. Jungs gibt's schon lange keine mehr beim Kunstlauf. „Mädchen sind weniger wehleidig als kleine Buben. Wenn ein Mädchen hinfällt, schüttelt es sich und läuft weiter. Wenn ein Bub hinfällt, schaut er, wo die Mama ist, und fängt an zu weinen.“ Dann würden sie lieber gleich zum Eishockey gehen, da gibt's ja die Schutzausrüstung, da tut's nicht so weh.
„Lächeln und Kleidchen können schon mal 20 Prozent ausmachen.“
Dagmar Buchholz-Köhler weiß, wie man Preisrichter überzeugt
Jana Maksimov hat sich durchgebissen, auch wenn sie mehr blaue Flecken gesammelt hat, als ihr Preisrichter je in ihrer Laufbahn Punkte geben können. Wie lange diese Laufbahn, die im Idealfall im Alter von vier, fünf Jahren beginnen sollte, dauern wird, das steht in den Sternen. „Einige halten durch, bis sie etwa 20 sind und dann studieren oder in den Beruf einsteigen. Andere hören aber schon eher auf, weil sie es mit der Schule parallel nicht mehr schaffen“, weiß die 59-jährige Trainerin ihr Klagelied zu singen.
Eiskunstlaufsport ist beim ERV ein Kinder- und Jugendsport. Erwachsene Läuferinnen hat es praktisch keine mehr, dazu bräuchte es obendrein eigene Trainingszeiten („das gäbe auf dem Eis Mord und Totschlag“). Doch in Schweinfurt gibt es eben nur die eine Eisfläche. Auf der es für Erwachsene aber am Dienstagabend wenigstens Anfängerkurse gibt.
Doch Buchholz-Köhler wirkt nicht sonderlich gefrustet. Sie könnte ohnehin überdurchschnittlich talentierte Kinder nicht zu sportlich ambitionierten Aktiven-Sportlern formen. Die müssten, so vorhanden, spätestens im Alter von 13, 14 Jahren weg aus Schweinfurt – doch der nächste Anlaufpunkt für leistungsorientiertes Training wäre Oberstdorf, wo es neben ausreichend Eisflächen und -zeiten auch ein Sportinternat gibt. „Aber nach Oberstdorf zu gehen, würde auch sehr, sehr viel Geld kosten, das ist finanziell eigentlich gar nicht machbar“, sagt die Trainerin. „Und bei uns ist eine intensive Förderung schwer realisierbar, wir bräuchten Einzel- und Ballett-Training, sowie das Geld für entsprechende Trainer.“
Die Berlinerin, die 1991 über den Umweg Stuttgart nach Schweinfurt gekommen ist und schon ein Jahr später die Eiskunstlauf-Abteilung beim ERV belebt hat, schätzt ihre Möglichkeiten realistisch ein. Mit drei Stunden am Montag, dreieinhalb am Dienstag, einer am Donnerstag, dreieinhalb am Freitag und drei (ohne die Wettkämpfe) am Wochenende sind ihre Kapazitäten ausgeschöpft. Fast: Denn am Mittwoch trainiert sie noch die Kinder beim ESC Haßfurt, eine Rivalität wie beim Eishockey ist da nämlich nicht üblich.
„Bei uns wird neben klassischem auch leistungsorientierter Breitensport angeboten“, sagt Dagmar Buchholz-Köhler. Die Mädchen trainieren drei bis vier Mal die Woche und gehen mitunter im Sommer zu zusätzlichen freiwilligen Einheiten nach Oberstdorf – oder ein Teil macht zu Hause beim ERV Rollkunstlauf, um sich fit zu halten. Mitbringen müssten die Mädchen eine gewisse Gelenkigkeit, Musikalität und eine tänzerische Begabung. Figürlich tun sich Kinder, die nicht zu langbeinig werden, leichter. Buchholz-Köhler: „Zu lang oder zu breit ist von Nachteil. Wenn die Glieder zu lang sind, ist es schwer, alles zu koordinieren. Aber zu viel Gewicht macht es auch schwierig. Das allerwichtigste ist aber eh, dass die Mädchen Freude am Eiskunstlauf haben.“
Freude, die nicht nur gezeigt werden darf auf dem Eis, nein, auch soll. „Eine positive Ausstrahlung überzeugt die Preisrichter“, sagt die Trainerin, die in ihrer aktiven Zeit in den Sechzigern und Anfang der Siebziger immerhin bei Berliner Stadtturnieren auch mal gewann. Lächeln, Frisur, Kleidchen – „das kann schon mal bis zu 20 Prozent ausmachen.
“ Die Kleidchen sind natürlich ein typisches Mädchen-Ding. Da ist die Mama als Schneiderin gefragt, oder der Papa muss den Geldbeutel aufmachen: 200 Euro sind da ruck-zuck weg für so einen knappen Traum aus Tüll.
Die größten Zeiten des ERV Schweinfurt in diesem Sport sind fürs Erste freilich vorbei. Trainer-Tochter Antonia Buchholz-Köhler war mal eine ambitionierte Läuferin, dann kam das Studium, der Lehrer-Job in Marktheidenfeld; sie ist dem Eiskunstlaufen dennoch treu geblieben, machte selbst den Trainerschein, unterstützt die Mutter, wenn sie mal in Schweinfurt ist und Zeit hat. Die erfolgreichste Sportlerin der jüngeren Vergangenheit jedoch war Anna Dittmann, die vor fünf Jahren im Alter von 16 Jahren die Schlittschuhe an den Nagel gehängt hatte. Sie hatte es immerhin bis in die zweithöchste Leistungskategorie, die Kürklasse 2, gebracht. Heute macht sie eine Ausbildung zur Preisrichterin.
Die Prüfungen, um in der acht Kürklassen (1 bis 8) umfassenden Hierarchie aufzusteigen, gestalten sich mitunter zu kleinen Dramen. Schrittfolgen, Pirouetten und Sprünge stehen auf dem Programm. „Jedes Mädchen hat zwei Versuche, klappen die nicht, geht es nach Hause. Und es kann vorkommen, dass 50 Prozent durchfallen. Dann gibt es Tränen“ – und dann wird aus der Trainerin Buchholz-Köhler schnell die Ersatz-Mama. Die weiß, dass sie aktuell die Ansprüche etwas runter schrauben muss: Doppel-Sprünge können schon ein paar Mädchen, den Doppelaxel, mit seinen vorwärts abgesprungenen zweieinhalb Drehungen, oder Dreifache jedoch nicht.
Dabei ist Buchholz-Köhler, die sich selbst als nicht hart, aber streng („es fällt schon mal ein Schrei, aber das ist nie böse gemeint“) bezeichnet, schon auch auf Sprungtraining aus. Sie weiß aber auch, dass sportliche Akrobatik ohne Choreographie nicht zieht beim Kampfgericht. Und, klar: Auch die Choreographien entwickelt sie in Heimarbeit, für jedes leistungsorientierte Kind eine eigene. „Die Kiddies können gerne Musik-Ideen beibringen, dann sieht man, ob das geht oder nicht. Tempo und Rhythmus sind wichtig.“ Nur die Kleinen und reinen Freizeit-Läuferinnen laufen allesamt zur gleichen Trainings-Musik: Walzer.
„Mädchen sind weniger wehleidig als kleine Buben.“
Buchholz-Köhler erklärt, warum sie aktuell nur Mädchen trainiert
Bei den Wettkämpfen – der ERV nimmt neben der Bezirksmeisterschaft vor allem an Turnieren in der fränkischen Region teil – wird dann noch nach dem aus früheren Olympia-Zeiten bekannten System mit A- und B-Note gewertet. Was vor allem beim künstlerischen Ausdruck diskussionswürdige Preisrichter-Entscheidungen beinhaltet. „Angelegt habe ich mich da aber noch nie mit Preisrichtern, das bringt ja nichts“, gibt sich Buchholz-Köhler cooler, als sie es im Eifer des Gefechts sicherlich manchmal ist. Das inzwischen bei großen Meisterschaften eingeführte neue, sehr technisch angelegte Bewertungssystem scheitert auf Regionalebene an mangelndem Personal und fehlendem Computer-Equipment.
So wird's auch bei der unterfränkischen Meisterschaft am 4. März in Schweinfurt wieder die bekannten Täfelchen mit der Höchstnote 6,0 geben. Und Dagmar Buchholz-Köhler wird da längst nicht zum letzten Mal ihre Schützlinge ins Rennen führen. „Mein Mann hört zwar nächstes Jahr auf zu arbeiten, und wir müssen dann sehen, wie sich bei uns die Mühlen drehen – aber so zwei, drei Jahre mache ich sicher noch weiter.“