Leonie Beck kann nicht genau sagen, was es war. Sie kann auch nicht genau sagen, wann es war. Aber es gab in der jungen Vergangenheit eine Phase bei dem Schwimm-Talent des SV 05 Würzburg, da hing die Karriere am seidenen Faden. In den Trainingsrhythmus, diesem ständigen Bahnen ziehen, hatten sich leise Zweifel eingeschlichen. Der Schulstress rund ums Abitur, die körperlichen Veränderungen einer heranwachsenden jungen Frau, minimal schlechtere Zeiten, „irgendwann habe ich an mir gezweifelt“, sagt die 18-Jährige heute.
Die Haare sind noch nass, aber die Anstrengungen des Trainings sind ihr nicht mehr anzusehen. Leonie Becks Augen leuchten wieder. „Es war keine leichte Zeit“, sagt sie, „ich habe versucht, die Zweifel zu überspielen und gehofft, dass es irgendwann wieder klappt.“ Sie sprach viel mit der Familie, mit Trainer Stefan Lurz, „alle haben mich unterstützt, und seit Silvester ging es tatsächlich stetig bergauf“. Fast sei es gewesen, wie wenn ein Schalter umgelegt worden wäre. Der Ehrgeiz ist zurück. Schließlich lockt am Ende der kommenden Trainingssaison die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Ein Traum? Sie fragt zurück: „Von wem ist das kein Kindheitstraum?“
Das Frühjahr hat auf Leonie gewirkt wie ein Turbo. Sie schraubte ihre Bestzeiten über 800 m Freistil auf 8:27,37 Minuten und über 1500 m Freistil auf 16:07,70 Minuten – über beide Strecken wird sie auch bei der Weltmeisterschaft im russischen Kasan an den Start gehen, wo am Sonntag die Wettbewerbe der Beckenschwimmer beginnen. Dazu schaffte sie das Abitur und befreite sich damit von einer Last. Sie gehörte der Sportleistungsklasse des Würzburger Deutschhaus-Gymnasiums an, die jungen Spitzenathleten beispielhaft die Möglichkeit gewährt, den schwierigen Spagat zwischen Sport und Schule hinzubekommen.
„Die Schule hat mich maximal unterstützt“, sagt sie. Oft wurden Prüfungstermine wegen Wettkämpfen verschoben. „Ich weiß nicht, ob ich das woanders so hinbekommen hätte.“ Die Erleichterung ist ihr anzusehen, doch während ihre Abiturkollegen nun den Sommer genießen, konzentriert sich Leonie Beck voll aufs Schwimmen: „Die Feierei hat mir noch nie gefehlt“, sagt sie. Nach der WM wird sie vielleicht ein paar Tage mit Freunden aus dem Schwimmverein auf Mallorca ausspannen, ab dem Wintersemester möchte sie in Würzburg ein Studium der Medienkommunikation beginnen.
Ziel: Zwei Mal ins Finale
Mit ihren Bestzeiten gehört die Schwimmerin auf beiden Strecken zu den Top Ten der aktuellen Weltjahresbestenliste, ihr Ziel für Kasan ist klar definiert: „Ich will zweimal ins Finale der besten Acht.“ Das sei im Bereich des Möglichen, so ihr Trainer Stefan Lurz. „Sie ist körperlich in Topform und schwimmt hervorragende Trainingszeiten.“ Jetzt muss sie ihre Leistung im Wettkampf bestätigen, schwer genug. Sie nimmt sich ein Beispiel am zwölfmaligen Weltmeister Thomas Lurz, mit dem sie jahrelang die Trainingsbahn im Wolfgang-Adami-Bad teilte. „Welchen Fleiß und welchen Ehrgeiz er immer an den Tag legte, war beeindruckend.“
Für Leonie Beck ist Kasan bereits die zweite Schwimm-WM nach Barcelona 2013. Damals debütierte sie in der Nationalmannschaft und musste im Trainingslager in Sardinien, wie alle Rookies, eine Versteigerung am sogenannten „Sklavenabend“ über sich ergehen lassen. Die Schwimmer Christian von Lehn und Hendrik Feldwehr legten am meisten auf den Tisch und erkauften sich Becks Dienste, die von Frühstück machen bis Schwimmtasche tragen reichten. „Es war lustig“, sagt sie rückblickend.
Seitdem gehört sie dazu – und gilt nach ihrer Wiedererstarkung im Frühjahr gar als eine Hoffnungsträgerin im Deutschen Schwimm-Verband. Mit ihren 1,84 m Größe, den langen Armen und Beinen, verfügt Leonie Beck über perfekte Hebelverhältnisse für eine Schwimmerin. An der Technik indes kann sie noch feilen. Das sieht auch Stefan Lurz so, der jedoch optimistisch ist: Auf der olympischen 1500-m-Strecke „kann Leonie die erste deutsche Frau sein, die es schafft, unter 16 Minuten zu schwimmen“.