Rudi Reißmann hat sich einen Lebenstraum erfüllt. Von Mitte Juni bis Mitte September ist der Würzburger Rentner in 13 Wochen mit dem Kajak von der Quelle in Donaueschingen bis zur Mündung am Schwarzen Meer entlang gepaddelt.
Rudi Reißmann kann es nicht lassen. Er nutzt die herbstlichen Sonnenstunden an einem Vormittag Ende September für einen letzten Ausflug auf dem Main. Sein persönliches Fahrtenbuch verrät ihm, dass er noch ein Stück zurücklegen muss, um auf eine Jahresleistung von 4450 Kilometern zu kommen. Der Ehrgeiz packt den Rentner aus der Dürrbachau, und so macht er das, was er in den letzten Monaten praktisch jeden Tag getan hat. Er schnappt sich sein fast 30 Kilo schweres Kajak, lässt es ins Wasser und paddelt los. Man sieht Reißmann an, dass er mit sich und der Welt im Reinen ist. Er hat in diesem Jahr geschafft, was er sich Zeit seines Lebens vorgenommen hat: Einmal in einem Guss einen größeren Fluss von der Mündung bis zur Quelle zu paddeln. Reißmann hat sich die Donau ausgesucht, mit 2845 Kilometern den zweitlängsten Fluss Europas nach der Wolga (3534 km).
Stolz breitet er in seinem blauen Transporter, den er einst in ein fahrbares Zuhause umgebaut hat, einen Teil der entwickelten Fotos aus. Sie zeigen Pelikane, die offizielle Donauquelle in Donaueschingen – und ihn selbst, braun gebrannt, auf dem offenen Meer. Es ist das Schwarze Meer. Dort ist Reißmann gemeinsam mit acht Mitstreitern nach 13 Wochen Fahrt Mitte September angekommen. Für Reißmann war die Ankunft etwas ganz Besonderes. Schließlich durfte er just an diesem Tag auch seinen 66. Geburtstag feiern.
Jahrzehnte arbeitete er in einem Würzburger Elektrogroßhandel. Ein Ausstieg für ein Vierteljahr war nicht drin. Also musste Reißmann auf die Erfüllung seines Traumes warten und warten und hoffen, dass sein Körper in Schuss bleibt. Im Herbst 2007 war es dann soweit. Reißmann ging in Rente. Von nun an widmete er sich der Erfüllung seines Traumes, der Mitte Juni endlich begann. Es fällt nicht schwer, Reißmann zu glauben, dass er jeden Morgen gerne mit 50 Kilo Gepäck in sein Kajak gestiegen ist und zwischen 25 und 60 Kilometer zurückgelegt hat. Neun Länder passsierten die Paddler auf ihrer langen Reise. In Serbien und Bulgarien stand die Gruppe in einigen Regionen zum Schutz vor Raubüberfällen unter Polizeischutz, sobald sie das Ufer betrat. „Bedroht haben wir uns aber zu keinem Zeitpunkt gefühlt“, betont Reißmann.
Ein Übel waren selbst für den abgehärteten Camper dagegen die Bedingungen auf manchem sehr weit östlich gelegenen Donauteilstück. Umweltschutz ist vielerorts ein Fremdwort. Auch die Zeltplätze und die sanitären Anlagen waren ihrer Bezeichnung nicht immer würdig. Positiv wird Reißmann – neben den schönen, naturbelassenen Donau-Abschnitten – die Gastfreundschaft in Erinnerung bleiben. Hätte die Gruppe jede Einladung eines Anglers auf ein kühles Bier angenommen, wäre sie wohl niemals im rumänischen Sf. Gheorge angekommen, wo der südlichste der drei Donau-Ärme ins Schwarze Meer mündet. Knapp 13 Wochen dauerte die Tour; zurück ging es mit Schiff und Auto quasi ohne Stopp. Denn zu Hause wartete seine Familie, die Reißmann am meisten vermisst hat: seine Frau, seinen Sohn und seinen Enkel, der während seiner Abwesenheit das Laufen lernte. Zumindest auf seine Ehegattin muss Reißmann in Zukunft nicht mehr verzichten. Sie geht demnächst in Rente und paddelt auch leidenschaftlich gerne.