Harald Lange leitet an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg den Bereich Sportwissenschaft. Schon lange beschäftigt er sich mit Fußball-Anhängern, ihrer besonderen Liebesbeziehung zum Spiel mit dem runden Leder und den gesellschaftlichen Zusammenhängen rund um die Kicker-Branche. Einen solchen Gegenwind wie derzeit habe der Fußball hierzulande noch nicht erlebt, glaubt er.
Frage: Die Fußball-Bundesliga wird mit Geisterspielen fortgesetzt. Was passiert mit dem Fußball ohne Fans?
Harald Lange: Das wird spannend zu sehen. Auf jeden Fall ist der Fußball in Deutschland in einer schwierigen Situation. Die Stimmung ist in den letzten Wochen spürbar gegen den Fußball gekippt. Der Imageschaden ist nach der Diskussion der letzten Tage enorm und es besteht tatsächlich die Gefahr, dass dem Fußball die Fanbasis wegbricht.
Tatsächlich? Nur wegen der Geisterspiele? Es gibt doch immerhin bald Fußball im Fernsehen zu gucken, von anderen Sportarten sieht man derweil nichts.
Lange: Stimmt. Und andere Sportler äußern sich zum Teil auch sehr deutlich darüber. Das fördert noch zusätzlich das negative Bild vom Fußball. Die Stimmung gegenüber der Bundesliga war selten so ablehnend wie derzeit. Das Thema Geisterspiele war und bleibt auch unter den Politikern offensichtlich umstritten. Der Protest dagegen, der zu Anfang ganz entscheidend von Ultras und anderen aktiven Fangruppierungen ausging, hat Gehör gefunden. Laut seriöser Umfragen ist rund die Hälfte der Bürger gegen eine Fortsetzung der Bundesliga. Dabei kostet das die Leute ja gar nichts und es gibt sogar noch Spiele frei empfangbar zu sehen. Aber die Politiker merken plötzlich, dass sie auch um die Wählergunst kämpfen können, indem sie sich gegen den Fußball positionieren. Und einige tun das auch. Das gab es so noch nie. Nicht nach dem Wettskandal, nicht nach der WM-Vergabe nach Katar und auch nicht nach den Enthüllungen rund um das Sommermärchen. Da bröckelt etwas gewaltig. Und das ist für die Deutsche Fußball-Liga ein Alarmsignal.

Der Chef der Fußball-Liga Christian Seifert gab sich bei seinen öffentlichen Auftritten auch schon sehr demütig...
Lange: Stimmt. Er sprach auch davon, dass sich der Fußball verändern müsse. Da bin ich aber mal gespannt! Das erste, was ihm da einfiel, war offenbar eine Gehaltsobergrenze für Spieler. Die ist freilich schon nach EU-Recht nicht möglich.

Ist das alles nicht vergessen, wenn der Ball erst einmal wieder rollt?
Lange: Natürlich wird sich dann einiges relativieren. Dann wird wieder über fachliche Themen diskutiert. Aber der gesellschaftliche Gegenwind, den der Fußball nun erfahren hat, der hat etwas verändert. Und es ist ja längst nicht alles normal: Dass die Fans im Stadion jetzt fehlen, verändert auch den Charakter des Spiels. Herr Seifert dürfte hoffen, dass unter den neuen Bedingungen vielleicht das ein oder andere völlig Überraschende passiert, weil zum Beispiel die Bayern-Spieler oder die Dortmunder mit der Situation ohne Publikum nicht so gut klar kommen. Dann werden diese Geisterspiele ja vielleicht doch noch ein Erfolg. Die Sponsoren werden in den nächsten Monaten genau hinschauen: Ist es tatsächlich noch ein Image-Gewinn bei einem Bundesliga-Klub zu werben?

Nehmen wir die Ultras viel zu wichtig? Der Fernsehmoderator Marcel Reif hat das gerade in einem Interview mit unserer Redaktion so geäußert.
Lange: Ich glaube, da hat er nicht Recht. Es stimmt: die Ultras sind nur ein Teil des Fußball-Publikums. Aber sie haben eine besonders enge Bindung zu ihrem Verein. Sie geben diesem Geschäft eine gesellschaftliche Bedeutung. Und genau von dieser Bedeutung lebt der Fußball als Volkssport Nummer eins schon immer. Daran wirken natürlich noch viele andere mit. Aber die Ultras stellen eben immer wieder wichtige Frage: Welchen Fußball wollen wir eigentlich? Den Volkssport oder eine Unterhaltungsindustrie?
Reif meint, dass es schon bald eine Superliga der Superreichen geben wird...
Lange: Ja, und ich habe auch gelesen, er glaubt, dass niemand Paderborn gegen Bayern spielen sehen will. Ich finde, gerade das macht den Fußball aus. Dass womöglich in ein paar Jahren die Bayern auch gegen Würzburg spielen müssen. Von dieser Durchlässigkeit lebt der Fußball. Und davon, dass er eine gesellschaftliche Relevanz hat, dass er für bestimmte Werte steht, dass sich die Menschen mit ihren Vereinen und Mannschaften identifizieren. Deshalb ist er doch auch für Sponsoren so interessant. Deshalb fließt so viel Geld in den Fußball hinein. In der Unterhaltungsindustrie sind die Inhalte austauschbar. Da gibt es keine emotionalen Bindungen. Irgendwann wendet sich das Publikum ab. Selbst "Wetten, dass..." wurde irgendwann einmal abgesetzt. So könnte es auch dem Fußball gehen, wenn er nicht aufpasst.
Sie glauben tatsächlich, dass sich die Entwicklung hin zu immer mehr Kommerz umkehren könnte?
Lange: Ja. Weil sich da gesellschaftlich einiges verändert. Darauf wird der Fußball eine Antwort finden müssen. Die entscheidende Stellschraube ist das Geld. Wenn das nicht mehr fließt, weil die Sponsoren sich anderen Bereichen zuwenden, dann wird sich im Fußball etwas ändern.