„Darf der das?“, fragt Thomas Berthold leicht irritiert seinen Verteidiger, als Fotograf Thomas Obermeier ihn im Würzburger Strafjustizzentrum ablichtet. Der Anwalt erklärt ihm, dass der Journalist das darf. Es ist eine ganz normale öffentliche Verhandlung, Berthold ist angeklagt – und wie alle Angeklagten muss er auch persönlich zu seinem Prozess erscheinen.
Dass er von seinem Wohnort Wertheim nach Würzburg fahren musste, liegt an einem Vorfall, der sich im Juni 2008 abgespielt haben soll. Um 16.45 Uhr habe der Fußball-Weltmeister von 1990 auf der Autobahn A 3 in einer Baustelle ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen „durch dichtes Auffahren“ bedrängt und den Wagen der Rentner rechts überholt um kurz vor ihm wieder einzuscheren, heißt es in der Anklage. Der Pensionär habe so „stark abbremsen müssen“, dass das Antiblockiersystem seines Autos angesprochen habe.
„Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs“ nennt die Justiz so etwas, verhängte ein einmonatiges Fahrverbot und schickte Berthold einen Strafbefehl über 35 Tagessätze ? 100 Euro, gegen den der Sportler Widerspruch einlegte.
Nachdem ein Tagessatz einem Dreißigstel des geschätzten Netto-Monatseinkommen entspricht, lässt der Strafbefehl darauf schließen, dass man beim Würzburger Amtsgericht davon ausgeht, der 44-Jährige, der einst vom FC Bayern München mit hohem Salär vom Training freigestellt wurde, müsse im Monat mit 3000 Euro netto auskommen.
„Ich habe nichts gemacht.“
Thomas Berthold
Ob dem so ist, wird in der Verhandlung nicht geklärt, weil der Ex-Nationalspieler, der im offenem dunkellila Hemd, mit Jackett, Edel-Jeans und Prada-Schuhen daher kommt, keine Angaben zu seinem Einkommen macht. „Geordnet“ seien seine finanziellen Verhältnisse, tut der ehemalige Fußball-Profi, Vater von zwei Kindern und Ehemann einer „Moderatorin“ kund. Als Berufsbezeichnung gibt er „selbstständiger Kaufmann“ an. Dann sagt er, dass er hier sei, „um dazu beizutragen, dass die Wahrheit auf den Tisch kommt“.
Berthold gibt zu, am späten Nachmittag des 15. Juni mit seinem Audi mit TBB-Kennzeichen auf der A 3 in Richtung Nürnberg unterwegs gewesen zu sein. „Ich hatte mir in Tauberbischofsheim ein Grundstück angesehen, bin in Kist auf die Autobahn aufgefahren und an der Anschlussstelle Heidingsfeld wieder runter.“ Er weiß auch noch, dass damals dort eine Baustelle war. Allerdings ist er ganz sicher, dass es während seiner Fahrt keine besonderen Vorfälle gab. „Ich habe nichts gemacht.“
Die beiden Rentner, die sich durch den Angeklagten gefährdet fühlten, wissen nicht mehr so genau, wo der schwarze Audi ihren Wagen rechts überholte. Aber dass sie „so was Riskantes noch nie erlebt hatten“ – da sind sie sich sicher.
„Haarsträubend, unglaublich rücksichtslos und gefährlich“, nennt der pensionierte Ingenieur im Zeugenstand das Verhalten des Audi-Fahrers. Seine Frau, die auf dem Beifahrersitz saß, erzählt dem Gericht, dass der schwarze Wagen „in einem Abstand von etwa 60 Zentimetern auf der Standspur rechts“ an ihrem Auto vorbei gerast sei. Und beide erinnern sich daran, dass auf der Autobahn „Betonbarken“ die Baustelle begrenzten.
Tatsache ist aber, dass es damals in der Baustelle keinen Randstreifen gab. Ein Bauingenieur der Autobahnpolizei zeigt dem Gericht die Verkehrsführungspläne, die das belegen. Nach seinen Worten gab es dort auch keine Betonbarken.
Nach knapp zweistündiger Verhandlung fordern sowohl der Staatsanwalt als auch Bertholds Verteidiger einen Freispruch für den Angeklagten. Und der Ex-Fußballer formuliert in seinem letzten Wort Überlegungen, die beiden Rentner „wegen Falschaussage anzuzeigen“.
Nachdem das Gericht ihn freigesprochen hat, hat der 44-Jährige es sehr eilig, das Strafjustizzentrum zu verlassen. Er rauscht an den Justizwachtmeistern, die sich andächtig im Foyer versammelt haben, mit dem Handy am Ohr vorbei.
Zur Person
Thomas Berthold Der gebürtige Hanauer (12. November 1964) absolvierte in der Fußball-Bundesliga als Profi bei Eintracht Frankfurt, Bayern München und dem VfB Stuttgart zwischen 1982 und 2000 insgesamt 322 Spiele. Von 1987 bis 1991 war er in Italien für Hellas Verona und den AS Rom aktiv. Seine Karriere beendete der 62-malige Nationalspieler 2001 beim türkischen Klub Adanaspor. Berthold nahm an drei Weltmeisterschaften teil (18 WM-Spiele) und holte mit der Nationalelf 1990 in Italien den Titel. Nach Meinungsverschiedenheiten mit Trainer Erich Ribbeck wurde der technisch versierte Abwehrspieler in der Saison 1992/93 bei Bayern München vom Training freigestellt und erhielt von Bayern-Schatzmeister Kurt Hegerich die ironische Bezeichnung „Bestbezahlter deutscher Golfprofi nach Bernhard Langer“. 2003 bis 2005 war Berthold Manager bei Fortuna Düsseldorf. Seit einigen Jahren engagiert sich Hobbygolfer Berthold für caritative Projekte.