Die Sonne scheint Robin Schlesiger ins Gesicht, während er sich auf dem ETSV-Sportplatz an der Mergentheimer Straße den Ball hochwirft. Doch das scheint den 2003er-Jahrgang bei seinem Aufwärmprogramm nicht sonderlich zu stören. Robin ist ohnehin Härteres gewohnt als ein paar Sonnenstrahlen. Er ist Torwart bei der punktlosen U 15 der JFG Mainfranken Würzburg, einer zu Ende gehenden Jugendfördergemeinschaft zwischen dem ETSV Würzburg und dem Post SV Sieboldshöhe.
Robins Aufenthaltsort im Fußball ist die Schießbude der unterfrankenweiten Bezirksoberliga. In 18 bisherigen Spielen musste er bereits 184 Mal hinter sich greifen, also im Durchschnitt etwa zehnmal je Partie. Doch der Spaß an seinem noch jungen Torwart-Dasein scheint ihm deshalb nicht abhandengekommen zu sein. „Man gewöhnt sich an die Gegentreffer, auch wenn mich jeder Einzelne nervt“, sagt der Leidgeprüfte, der in dieser Saison erstmals das Tor mit den großen Ausmaßen hütet.
Robin ist ein Phänomen – genau wie seine Vorderleute und Trainer Sebastian Keller. Vermutlich hätten 99 Prozent aller Vereine ihre Mannschaft in einer solch vermeintlich demütigenden Situation längst zurückgezogen – wenn nicht schon vor Saisonbeginn, dann spätestens zur Winterpause. Auch der Aufwand ist schließlich kein kleiner, wenn man allein schon die Entfernungen zu den gegnerischen Klubs betrachtet.
Unverhoffte Kapitänsehre
Doch Aufgeben gibt es bei den Mainfranken nicht. Die Nachwuchsspieler sitzen vor dem Heimspiel gegen die U 14 des FC Schweinfurt 05 in der stickigen Kabine in dem in die Jahre gekommenen Zweckbau, Sebastian Keller steht vor ihnen. Schnell wird klar: Der 21-jährige Sportstudent spricht die Sprache seiner Jungs – und nimmt jeden Einzelnen ernst, indem er ihm seine Rolle namentlich zuteilt.
Einer kommt sogar unverhofft zu Kapitänsehren, weil die beiden etatmäßigen Spielführer ausgefallen sind. Paul Scheurer ist erst im Winter zum abgeschlagenen Schlusslicht gewechselt – und hat seither praktisch keine einzige Trainingseinheit verpasst. „Der Gegner mag die besseren Fußballer in seinen Reihen haben. Doch wir sind trotz oder gerade wegen der ganzen Niederlagen längst zu einer geschlossenen Einheit geworden“, schwört der in Lengfeld beheimatete Coach seine Mannschaft ein: „Mir müsst ihr nichts mehr beweisen. Ich kenne euch. Aber heute könnt ihr euch vor einer breiteren Öffentlichkeit für euren unermüdlichen Einsatz in dieser Saison belohnen.“
Keller weist auf die rund 40 Zuschauer, aber auch die anwesende Presse hin. „Es ist heute richtig heiß da draußen. Doch die ersten fünf Minuten gehören uns, da macht der Gegner keinen Stich. Das müsst ihr mir versprechen. Danach nehmen wir uns etwas zurück und teilen unsere Kräfte ein.“ Gesagt, getan. Die Würzburger legen trotz der Temperaturen alles in die Waagschale, verzeichnen den ersten Torschuss nach gerade mal 50 Sekunden.
Das ist insoweit schon bemerkenswert, als dass die JFGler bislang erst drei eigene Treffer geschafft haben – in der gesamten Saison wohlgemerkt. Zunächst wird's nichts mit dem vierten. Stattdessen kommt die Spielstärke der laufstarken und technisch versierteren Schweinfurter immer stärker zum Tragen; so treffen sie binnen kürzester Zeit zweimal. Doch dann bleibt die JFG Mainfranken fast 20 Minuten lang ohne Gegentreffer. Robin, der Torwart, entschärft mehrere Schüsse auf seinen Kasten, das 0:3 und 0:4 kann er dennoch nicht verhindern.
Keine hängenden Köpfe
Ein Rückzug der Mannschaft wäre das falsche Signal gewesen, sagt während der Partie ein Spielervater zu einem anderen. Eine bessere Schule fürs Leben könne es nicht geben. Da sind sich beide einig. Diese Schule scheint ihre Wirkung auch nicht verfehlt zu haben. Kein JFGler läuft mit hängendem Kopf in die Kabine, wo Sebastian Keller zur Halbzeitansprache ansetzt. Er lobt den Einsatz und den Willen seiner Jungs, dann kritisiert er den einen oder anderen Punkt, ehe er der Mannschaft noch mit auf den Weg gibt, wie man die Schweinfurter in der zweiten Hälfte vielleicht noch knacken könnte. Die ersten fünf Minuten sollen „wieder uns gehören“; diesmal hält der Riegel nicht so lange – 0:5 (38.).
Nun rückt der Moment näher, indem die Mainfranken tatsächlich für ihre sportliche Schufterei belohnt werden. Interimskapitän Paul Scheurer bedient in der 47. Minute Max Heinickel, der aus gut und gerne 16 Metern ins Schwarze trifft. Es ist sein dritter Treffer, das andere JFG-Tor steuerte Johannes Kneitz Anfang März bei.
Nach den Pfingstferien dürfen die Würzburger Nachwuchskicker noch zweimal ihr Glück versuchen. Dann ist eine Saison Geschichte, die die Jungs und ihr Trainer ziemlich sicher nie mehr vergessen werden – und die womöglich erst im Rückblick so richtig wertvoll ist. Weil sie eines Tages feststellen werden, dass sie in diesem einen Jahr menschlich dermaßen gereift sind wie vielleicht nie mehr in ihrem Leben.