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TENNIS: Jochen Grosse und die ersten Dosenbälle

TENNIS

Jochen Grosse und die ersten Dosenbälle

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    Es ist Ende Juni 1947. Die Menschen in Würzburg haben etwas anderes zu tun als an Sport zu denken. Gerade mal zwei Jahre sind vergangen, seit der zweite Weltkrieg sein Ende gefunden hat und die Tage und Nächte mit Bomben und Geschützlärm endlich vorüber sind. Würzburg ist längst nicht wieder aufgebaut nach den Zerstörungen, da hat ein Offizier der Besatzungsarmee, US-Captain Preussker, die Idee, das erste große Tennisturnier in Deutschland zu veranstalten. Austragungsort soll der Tennisclub Weiß Blau Würzburg sein und es soll im wiedergewonnenen Frieden um das „Goldene Racket“ gespielt werden.

    Nun ist es zu jener Zeit ein leichtes, die Idee für ein Tennisturnier in den Nachkriegsjahren zu haben, schwer dagegen, selbiges durchzuführen – denn es mangelt an allem. US-Captain Preussker gibt die Zusage, mit Hilfe seiner Landsleute für Verpflegung zu sorgen. Denn es ist noch alles rationiert in Deutschland, Fleisch, Butter, Brot – einfach alles gibt es auf Lebensmittelkarten. Die jeweiligen Portionen sind nicht etwa in Pfund oder Kilo zugeteilt, sondern in Gramm. Vor allem gibt es noch keine Tennisbälle in Deutschland. Nur wer Beziehungen hat, schafft es hier und da, mal ein paar Bälle zu ergattern. Doch der amerikanische Tennis-Enthusiast stellt eine ausreichende Menge von Bällen in „Dosen“ bereit. „Dosenbälle“ – das hatte es in Deutschland bislang noch nie gegeben.

    „Ich weiß zwar nicht mehr, auf welche Weise ich von diesem ersten großen Tennisturnier Kenntnis erhielt, ich wusste nur: Da bin ich dabei.“

    Jochen Grosse

    Von diesem Turnier erfährt Jochen Grosse. Der inzwischen 86-jährige erinnert sich: „Ich war damals 22, lebte und spielte für den Hamburger THC. Ich weiß zwar nicht mehr, auf welche Weise ich von diesem ersten großen Tennisturnier Kenntnis erhielt, ich wusste nur: Da bin ich dabei.“ Nicht leicht, nach Würzburg zu kommen: Ein älterer Freund bot dem jungen Sportler, der später als Tennisspieler gar deutsche Meisterschaften feiern durfte, an, auf der Ladefläche eines LKW mitzufahren. „An einem Dienstag um 22 Uhr startete der Lastwagen in Hamburg. Die erste Etappe ging bis Göttingen. Dort musste das kriegsgeschädigte Gefährt erst einmal einen vollen Tag repariert werden, ehe am Mittwochabend um 18 Uhr die Fahrt fortgesetzt werden konnte. Zwei Nächte in einem LKW, um schließlich am Donnerstagabend in Würzburg einzutreffen.“ Die Stadt war immer noch zerstört. Doch unermüdliche Organisatoren aus Würzburg und einige Amerikaner hatten private Unterkünfte besorgt. Denn Hotels gab es noch nicht.

    Alles war dennoch vorbildlich gerichtet, um das erste große Turnier in der Stadt am Main über die rote Asche an der Mergentheimer Straße über die Bühne gehen zu lassen.

    Für den Wahlhamburger Jochen Grosse (geboren in Halle/Saale) war das erste Spiel auch gleich das letzte: „Mein Gegner hieß Dr. Henke, und ehe ich einigermaßen wach wurde, hatte ich bereits 0:6 4:6 verloren. Aber was bedeutete das schon? Ich war dabei und sah zum ersten Mal die gesamte deutsche Spitzenklasse, mit Ausnahme von Gottfried von Cramm, der in Schweden weilte. Beutner, Göpfert, Buchholz, Gulcz, Roderich Menzel – alle hatten sich eingefunden, um erstmals nach dem Krieg in einem großen Turnier mitzuspielen.“

    Die amerikanischen Bälle, die in diesen Dosen angeliefert wurden, waren das erste Problem. „Soweit wir nicht gezwungen waren, mit 'alten Kartoffeln', die mit teilweise fantastischen Methoden renoviert waren, zu spielen, gab es gelegentlich Ballmarken allmöglicher Herkunft. „Pirelli“ und „Slazenger“ sind mir in Erinnerung geblieben.“

    Da nun die zur Verfügung gestellten Bälle ungewohnt hart waren, einigten sich vor jedem Spiel die Teilnehmer, ob der Ball nun „präpariert“ werden solle oder nicht. In fast allen Fällen einigte man sich, in die Bälle hineinzustechen, um die Kompression geringfügig zu mindern. Dabei ist Grosse eine Situation in Erinnerung geblieben. Helmuth Gulcz aus Wuppertal, für Rot-Weiß Köln spielend, und wenige Monate zuvor aus Gefangenschaft zurückgekehrt, trifft in der Vorschlussrunde auf Roderich Menzel. Vorschlag von Gulcz, wie in fast allen Fällen: „Bälle präparieren“. Widerspruch Menzel: „Bälle wie von der Fabrik geliefert“.

    Nun muss man die Voraussetzungen kennen: Gulcz, ca. 1,70 Meter groß mit klassisch geraden Grundschlägen. Menzel ein Riese von gut 1,90 Metern, mit für damalige Verhältnisse unglaublich überrissenen Schlägen, die den Bällen einen hohen Absprung gaben. Gift für den kleinen Gulcz, den Menzel für seinen stärksten Gegner hielt. Wie nicht anders zu erwarten, Menzel entschied: „nagelneue Bälle ohne Manipulation“. Der Schiedsrichter brachte die Bälle. „Nein“, beharrte Menzel, „ich möchte, dass die Dose vor meinen Augen geöffnet wird“. Befohlen, getan. Und erst als Menzel das „Pffff“ beim Öffnen der Dose hörte, konnte es losgehen. Menzel gewinnt 6:3 6:4 und holt später den Turniersieg gegen Rolf Göpfert (später Davis-Cup-Doppel-Spieler mit Gottfried von Cramm) mit 6:4, 6:1.

    Weil beim ersten Turnier nur Einzel und Doppel gespielt wurde und auf die Durchführung des Gemischten Doppels verzichtet wurde, war jeder interessiert, wenigstens zwei Konkurrenzen zu spielen. So ging es Helmuth Gulcz und Grosse. Beide hatten jedoch keinen Partner. Während Gulcz älter als Grosse und bereits ein Star war, kannte den Hamburger niemand. Was konnte der schon vorweisen? Leipziger Meister, Sachsenmeister, Finalist bei deutschen Jugendmeisterschaften (im Doppel) – aber alles nur als Jugendlicher. Was war das schon?

    Gulcz suchte verständlicherweise einen namhaften, starken Partner. „Aber ich hatte Glück“, erzählt Grosse: „Für Gulcz fand sich kein Partner, wie die mir sehr gewogene Turnierleitung auf ständiges Befragen erklärte. Also standen wir, ohne ein Wort miteinander gesprochen zu haben, plötzlich als ein Doppelpaar auf dem Platz. Wahrscheinlich wurde noch abgesprochen, wer Vor- und wer Rückhand spielt. Ich hab's vergessen! Wir gewannen die erste Runde, dann die zweite und fanden uns zum dritten Match gegen die hohen Favoriten und alsbaldiges Davis-Cup-Doppel Ernst Buchholz/Horst Hermann ein. Und das Unglaubliche geschah: wir siegten 1:6 6:4 6:1 und standen in der Vorschlussrunde.“

    Gulcz/Grosse trafen also auf die späteren Turniersieger Werner Beuthner und Rolf Göpfert. „Bis 0:6 10:8 und „zwei zu zwei“ im dritten Satz haben wir uns mit aller Kraft gewehrt, um schließlich den letzten Satz mit 2:6 zu verlieren“, erzählt Grosse.

    „Am gleichen Abend um 20 Uhr verließ ich Würzburg, dieses Mal mit dem Zug, um am nächsten Morgen um 9.30 Uhr in Hamburg einzutreffen. Das 'Wohnungsamt' erwartete mich. Dort musste ich die 'Zuzugsgenehmigung' abholen, die mir das Recht gab, in Hamburg zu wohnen“, berichtet Grosse weiter, der auch noch eine andere Erinnerung an das Turnier in Würzburg behalten hat: „Etwas ganz besonderes gab es noch in Würzburg. Die Teilnehmer durften bei der Schlägerfirma einkaufen. Schläger zu Friedenspreisen mit Naturdarmsaiten waren zu kaufen. Aus Dank bin ich bei dieser Marke so lange geblieben, wie es Holzrahmen gab.“

    Für Grosse war das Turnier der Start einer durchaus sehenswerten Karriere, für Weiß Blau Würzburg blieb immerhin die geschichtliche Notiz, das erste große Tennisturnier in Deutschland nach dem Krieg durchgeführt zu haben.

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