Die Sonne scheint, der Rasen auf dem Putting Green des Golf Club Würzburg ist saftig grün. Céline Kolberg hat die perfekte Position eingenommen, um den kleinen weißen Ball ins Loch zu schlagen. Doch eines ist bei der schlanken Frau anders als bei den vielen Golfern, die an diesem Nachmittag ihre Runden drehen. Céline Kolberg kann ihre schöne Umgebung nicht sehen, sie ist fast blind. Zusammen mit sieben anderen Blinden und Sehbehinderten aus dem Würzburger Berufsförderungswerk (BFW) in Veitshöchheim nimmt sie an einem Golf-Schnupperkurs teil.
Bevor Céline Kolberg mit loslegen kann, macht sie sich erstmal mit den Gegebenheiten und ihrem Spielgerät vertraut. Behutsam tastet die 31-Jährige den Rasen ab, erfühlt die Form des Schlägers und greift ins Loch hinein, um sich eine Vorstellung von ihrem Ziel zu verschaffen. Zuletzt streift sie mit ihren Fingern langsam über die Einbuchtungen des kleinen weißen Hartplastik-Balls.
„Jetzt kann's losgehen. Immer her mit den Bällen“, sagt Céline Kolberg gespannt. Zuvor muss Paul Rösch, ein Spieler der ersten Mannschaft des Golfclubs, der Kolberg beim Spielen unterstützt, noch den Schläger in Position bringen. Vor dem ersten Schlag zeigt der Abiturient den Schwung, der nötig ist, um das Loch zu treffen und empfiehlt ihr „ganz locker“ zu bleiben.
Kolberg, die auf beiden Augen nur noch fünf Prozent Sehkraft besitzt, trifft den Ball prompt beim ersten Schlag. „Jetzt warte ich nur noch auf das Plopp, wenn der Ball ins Loch fällt.“ Das Geräusch hört sie oft an diesem Tag. Schließlich trifft die Golf-Anfängerin „80 Prozent besser als Sehende beim Schnupperkurs“, sagt zumindest ihr Partner Paul Rösch, der schon Hunderte Grünschnäbel bei ihren ersten Schlägen beobachtet hat.
Der angehende Kunststofftechnik-Student habe sich eigentlich gar nicht auf den Nachmittag mit der schwer Sehbehinderten vorbereitet. „Wir haben zwar eine Broschüre bekommen, wie wir mit den Leuten vom Berufsförderungswerk umgehen sollen. Da habe ich aber gar nicht reingeschaut. Céline ist schließlich ein Mensch, mit dem man sich unterhalten kann. Sie sagt mir schon, was geht – und was nicht“, erklärt der Golfer.
Damit Kolberg ihre Schläge besser ausrichten kann, klopft Paul Rösch mit einem Golfball gegen das Metallschild, das im Loch auf dem Putting Green steckt. Außerdem sagt er der Frau, die ein knallrotes T-Shirt trägt, an, wie die Bälle, die ihr Ziel verfehlt haben, geschlagen wurden. Die Anweisungen „zu weit rechts, weiter links oder zu feste“ setzt Céline Kolberg schnell um und locht die folgenden Bälle fast durchgängig ein.
Nach einer Stunde auf dem Putting Green gehen die Trainings-Partner zu Loch 18 des Würzburger Parcours. Auf dem Weg lässt sich die schwer Sehbehinderte von ihrem Helfer die Umgebung beschreiben. Vorbei an einem kleinen See und an einem Wasserfall geht es direkt auf den „richtigen“ Golfplatz. Als Paul Rösch anmerkt, dass es auch Flächen auf dem Platz gibt, die nur aus Sand bestehen, ist Céline Kolberg verwundert: „Spielt man dann etwa direkt aus dem Sand?“
Auch Paul Rösch darf sich an Loch 18 mit einer Schwarzbrille als blinder Golfer versuchen. Anders als bei Kolberg gehen bei ihm jede Menge Bälle daneben. „Das ist wirklich verdammt schwer“, gesteht sich der 19-Jährige ein. Kolberg dagegen findet das kleine Experiment „richtig klasse“. „Schließlich kann sich Paul so besser in meine Lage versetzen.“
Nach eineinhalb Stunden Putten lässt bei der gebürtigen Bielefelderin die Konzentration nach. Ein Pläuschchen mit den anderen Schnupper-Golfern trägt schnell zur Erholung bei. „Ich bin mir sicher, dass ich blind besser spiele, als wenn ich sehen könnte. Dann würde ich mich wohl zu sehr aufs Ziel konzentrieren und gar nicht mehr treffen.“ Über diese Aussage sind besonders die sehenden Golfer verwundert, was sich an einem sekundenlangen Schweigen zeigt. „Ich habe eben schon vergessen, wie es ist zu sehen“, schiebt Céline Kolberg verlegen nach.
Das dürfte allerdings die Leute verwundern, die wissen, dass sie erst mit 23 Jahren fast ganz erblindete. Die Krankheit „Morbus stargardt“ nahm ihr nach und nach die Sehfähigkeit. Nun ist sie nur noch in der Lage, ihre Umwelt in groben Umrissen zu unterscheiden. Farben empfindet sie allerdings sehr intensiv, weshalb sie meistens eine Sonnenbrille trägt. Ihren Beruf als Betriebswirtin für Marketing und Absatzwirtschaft musste sie aufgeben. Nach einer Grundausbildung im Berufsförderungswerk, in der die Teilnehmer alles Wichtige lernen, was sie für das Leben in einer sehenden Welt brauchen, nimmt die 31–Jährige nun noch an einer Maßnahme teil, die sie auf das Berufsleben vorbereiten soll. Danach möchte sie sich ein Praktikum in Hamburg suchen und so wieder in ihren alten Beruf einsteigen.
Von ihren Pflichten ist Céline Kolberg auf dem Golfplatz weit entfernt. Mit einem breiten Lächeln locht sie einen Ball nach dem anderen ein und darf deshalb auch ihr Glück auf der Driving Range versuchen, auf der die weiten Abschläge geübt werden. Vor ihren ersten Versuchen wirkt die große braunhaarige Frau skeptisch.„Ich weiß nicht, ob ich den Ball überhaupt treffe, wenn ich so weit ausholen muss.“ Doch auch diese Zweifel lösen sich nach den ersten Schlägen in Luft auf. Frau Kolberg trifft den Ball fast jedes mal und schlägt ihn letztendlich fast einhundert Meter weit. „Ich bin wirklich sprachlos“, sagt Paul Rösch, der seiner Schnupper-Golferin sogar rät, sich dem Deutschen Blinden Golf Verband anzuschließen und sich um einen Trainer zu kümmern. Auch Marcus Meier, Pressesprecher des Berufsförderungswerks Würzburg ist über die Fortschritte der „Schnupperer“ begeistert: „Ich hätte nie gedacht, dass das so gut klappt. Vor allem habe ich mir nie träumen lassen, dass wir sogar auf die Driving Range gehen. Das ist fantastisch.“
Auch Céline Kolberg ist vom Golfsport begeistert, allerdings auch ziemlich geschafft. Als die Sonne schon langsam verschwindet, lässt sie sich von Paul Rösch zum Clubhaus des Golf Clubs führen. Sie ist sich sicher, dass der Schnupper-Kurs nicht ihre einzige Golf-Erfahrung bleiben wird.
Blinde und Sehbehinderte
Wer maximal 30 Prozent Sehfähigkeit auf seinem besseren Auge mit Korrektur hat, gilt als sehbehindert. Personen, deren besseres Auge trotz Brille nur ein Sehvermögen von maximal zwei Prozent besitzt, gelten als blind.
In Deutschland leben etwa 155 000 Blinde und 345 000 Sehbehinderte. In Unterfranken sind 1750 Personen blind und 4250 sehbehindert.
Bisher gibt es nur wenige Sportarten, die blinde und sehbehinderte Menschen in Vereinen und Verbänden ausüben können. Eine dieser Sportarten ist zum Beispiel Goalball. Hier müssen Spieler einen Ball, in dem ein Glöckchen eingebaut ist, vom eigenen Tor fernhalten, oder andersherum gesehen, den Ball möglichst oft in das Tor des Gegners befördern.
Zum Trend unter blinden Sportlern wird langsam Fußball. Dieser Sport unterscheidet sich fast gar nicht von der Sportart, die sehende Kicker betreiben. Auch im Golfsport haben sich blinde und sehbehinderte Sportler mittlerweile organisiert. Der Deutsche Blinden Golf Verband versucht, mit speziellen Regeln den Sportlern mit Handicap eine normale Ausübung des Sports zu ermöglichen. Außerdem vermittelt der Verband Interessierten Vereine und Trainer und richtet sogar eigene Meisterschaften aus, in denen sich die Golfer im Rahmen ihrer Möglichkeiten miteinander messen können.