Pokal – bei dem Wort bekommen die Anhänger der Viktoria glänzende Augen. Am 24. Oktober 1987 schlug der damalige Hessenligist den Bundesligaspitzenreiter 1. FC Köln im Achtelfinale des DFB-Pokals mit 1:0. Es war einer der Höhepunkte der Vereinsgeschichte und krönte die insgesamt drei Zweitliga-Spielzeiten in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre.
1990 wollte der mittlerweile abgestiegene Verein dorthin zurück. Aus Schweinfurt kam Trainer Werner Lorant, die Mannschaft wurde prominent verstärkt. Rund 650 000 Mark gab der Oberligist in zwei Jahren für Transfers aus: Rudi Bommer, Werner Dreßel oder Christian Hock (heute Sportchef des SV Wehen Wiesbaden) gehörten dem Kader an. Aber in der Aufstiegsrunde 1992 scheiterte die Viktoria an der SpVgg Unterhaching. Lorant ging zum TSV 1860 München.
Wilde und erfolglose Jahre
Erst 1998 sah sich der Verein soweit erholt, um einen neuen Angriff zu starten. Jetzt agierte Rudi Bommer als Trainer und verpflichtete zahlreiche Spieler die nicht unbedingt gut, aber kostspielig waren. Zum Kader gehörte damals der gebürtige Ochsenfurter Thomas Oral, heute Trainer des FC Ingolstadt 04.
Die gleichermaßen wilden wie erfolglosen Jahre forderten ihren Preis. 2003 stürzte der Verein in die Landesliga ab, kam aber postwendend zurück. Weihnachten 2006 bestaunten die Fans ein besonderes Geschenk. Weltmeister Andreas Möller ließ sich von seinem Golfkumpel Hans-Peter Knecht überreden, am Schönbusch als Trainer anzufangen. Damit begann eine Phase voller schwindelerregender Kapriolen.
Mit Andy Möller im Soll
Sportlich war Möller im Soll und schaffte mit der Viktoria die Qualifikation für die neu geschaffene Regionalliga. Weil aber selbst sein prominenter Name keine Sponsoren anlockte, warf er mit dem Aufstieg 2008 das Handtuch. Ronny Borchers übernahm, ein weiterer Ex-Eintracht-Frankfurt-Profi. Auch der erfüllte das sportliche Ziel, hatte den Klassenerhalt in der Regionalliga-Süd vor Augen – und wurde unvermittelt vom Präsidium ausgebremst.
Der im Fußball völlig unbedarfte Michael Schuch war dorthin rotiert und entschied, der Verein könne sich die vierte Liga nicht länger leisten. Dafür stellte er in der Hessenliga eine neue Mannschaft zusammen, die erheblich teurer war. Das Verwirrspiel endete im November 2009 in der Insolvenz.
In letzter Sekunde
Lange stand das Schicksal des Traditionsvereins auf der Kippe, in letzter Sekunde erfolgte die Rettung. Plötzlich winkte sogar neuer Ruhm. Rainer Koch, der Vorsitzende des BFV, war bei der Suche nach attraktiven Vereinen für die von ihm durchgeboxte Regionalliga Bayern auf den Traditionsverein vom Untermain gestoßen und lockte mit einem „Sonderangebot“. Platz neun in der Hessenliga 2012 reichte, um in die Viertklassigkeit aufzusteigen. So verließ Aschaffenburg das Nachbarland, die fußballerische Heimat seit der Nachkriegszeit.
Dreßel als Kurzeitcoach
Aber schon im ersten Jahr unter weiß-blauer Flagge machte die Viktoria im alten Stil weiter. Vier Trainer verschliss der Verein. Besonders bizarr war das Kapitel Werner Dreßel. Der heuerte im Winter 2012/13 an, benötigte nur wenige Wochen, um die ganze Mannschaft mit seinen taktischen Vorstellungen gegen sich aufzubringen, und wurde nach neun Spielen gefeuert. Die Entlassung bekam er schriftlich auf eine Papierserviette aus dem VIP-Zelt gekritzelt, überreicht unmittelbar vor dem Spiel gegen Heimstetten.
Außerdem steckte die Viktoria schon wieder in ernsten finanziellen Problemen. Nur eine Geldspritze von Hans Nolte konnte eine neuerliche Insolvenz abwenden. Der Geschäftsmann, Chef einer Charterflugfirma, hatte Großes vor. Als aber auch er keine weitere Unterstützung in der Aschaffenburger Geschäftswelt fand, kehrte er nach Hessen zurück.
Joe Cocker-Double Stenger
Immerhin nutzte die Viktoria die Chance, am Ende der der Ära Nolte schuldenfrei zu sein. Eine neue Vereinsführung etablierte sich, angeführt von Holger Stenger. „Joe Shocker“ nennt er sich, wenn er als nahezu perfektes Double von Joe Cocker auftritt. Am Schönbusch steht Stenger seit sechs Jahren an der Spitze, hat seriöse Mitstreiter im Vorstand gefunden und einen Verwaltungsrat mit lokalen Persönlichkeiten installiert.
Vor allem: Stenger hat keine neuen Schulden aufgetürmt, obwohl große Geldgeber weiterhin fehlen. Der Preis ist eine sportliche Berg-und-Talfahrt. Seit sieben Jahren pendelt die Viktoria zwischen Bayern- und Regionalliga. Derzeit steht das Barometer auf Hoch. Unter Trainer Jochen Seitz, früher Profi unter anderem in Unterhaching, Stuttgart und beim HSV, gelangen vor einem Jahr die Meisterschaft in der Bayernliga, aktuell der Klassenerhalt in der Regionalliga und der Sprung ins Pokalfinale.
Fans strömen in Massen
Die Fans nehmen das an. Über 20 000 Besucher strömten zu den 17 Heimspielen – in keinem anderen bayerischen Regionalligastadion waren es mehr. 5850 Zuschauer sahen das Totopokal-Halbfinale, im Endspiel am Samstag (14.15 Uhr gegen die Würzburger Kickers sollen sämtliche 6650 Plätze ausverkauft sein. Und dann warten alle, dass sich beim Wort Pokal wieder dieser Glanz in den Augen einstellt.