Auf einmal war er da, dieser Moment, den er irgendwie ja auch in weiser Voraussicht erwartet hatte. Er war darauf vorbereitet, dachte er. Doch damit umzugehen, funktioniert halt auch nur dann, wenn es so weit ist. Da nutzt all die akribische Vorbereitung für den Fall der Fälle nichts. Gedanklich ist er dieses Szenario immer wieder durchgegangen, er hatte Respekt davor gezeigt, doch jetzt in diesem Augenblick spielt der Kopf verrückt, tun Arme und Beine nicht mehr das, was sie sollen und können, lässt sich die trockene Theorie nicht so einfach in die Tat umsetzen. Simon Rösner hadert. Mit sich. Mit seinem Gegner. Mit dem Schiedsrichter. Alle um ihn herum erwarten nur eines: einen Sieg. Was auch sonst? Der 27-jährige Würzburger Squash-Profi dominiert seine Sportart hierzulande wie kein anderer. Vor neun Jahren hat er zum letzten Mal gegen einen Deutschen verloren, rekordträchtige achtmal in Serie hat er sich den nationalen Einzeltitel geholt. Der Druck ist enorm, zumal Simon Rösner daheim spielt. Daheim in Würzburg. „Wo es schon ein komisches Gefühl ist, plötzlich wieder daheim bei den Eltern zu schlafen“, sagt er, der längst in Paderborn wohnt und für den dortigen SC spielt: „Aber letztlich bin ich auch da nur alle zwei, drei Wochen, um die Blumen zu gießen.“
Jetzt, im Finale der deutschen Meisterschaften gegen Jens Schoor aus Worms, gerät der große Favorit ins Wanken. Ganz plötzlich. Den ersten Satz hat er glatt 11:1 gewonnen. In nur sechs Minuten. Im zweiten führt Lokalmatador Rösner im Glas-Court am Würzburger Heuchelhof 5:1 – alles in Butter. Alles normal, denken die knapp 500 Zuschauer. Für ihn aber ist auch das ein hartes Stück Arbeit. Er zeigt seine ganze Klasse, ist dabei, Schoor, in der Weltrangliste immerhin die Nummer 62, zu demontieren. „Simon hat mich überhaupt nicht ins Spiel kommen lassen. Ich wusste nicht, wo hinten und vorne ist. Ich konnte nichts machen“, sagt der ein Jahr ältere Schoor später. Doch dann passiert es, Rösner macht Fehler, verliert die Konzentration, schimpft mit sich. „Ich bin ganz plötzlich nervös geworden“, sagt der 27-Jährige, der drei Wochen zuvor an gleicher Stätte mit dem Paderborner SC deutscher Mannschaftsmeister geworden war. Für viele eine Selbstverständlichkeit. Nicht für Rösner. „Talent“, hat er erst kürzlich gesagt, „macht vielleicht fünf, maximal zehn Prozent aus. Der Rest ist harte Arbeit.“
Er hat viel geschuftet in dieser Saison, war ständig auf dem Erdball unterwegs, hat sich bis auf die Weltranglistenposition sieben vorgearbeitet. Kein Deutscher war je besser. Und plötzlich geht ihm daheim die Konzentration verloren, der Kopf beginnt, nachzudenken, was wäre, würde er ausgerechnet hier in Würzburg erstmals seit neun Jahren ein deutsch-deutsches Duell verlieren. Für diesen Moment sieht es fast so aus, als gäbe es für Schoor diese einmalige Gelegenheit, Rösners Rekordserie zu knacken. Der 28-Jährige findet in sein Spiel, gewinnt den zweiten Satz 11:9 und ringt mit dem unzufriedenen Rösner im dritten Durchgang bis zum 9:9. Die Partie steht auf der Kippe. Vater Steffen Rösner hätte im Normalfall jetzt den Ausschalter betätigt. Er sieht seinen Sohn sonst eigentlich nur im Livestream spielen, das Internet lässt sich abschalten. „Ich kann so etwas normal nicht sehen, mache in engen Situationen dann einfach aus und schaue mir später das Ergebnis in Ruhe an“, sagt der Bäckermeister. Jetzt aber gibt es keinen Schalter. Steffen Rösner ist selbst Schuld. Er hat die Meisterschaften nach Würzburg zum TSC Heuchelhof geholt, sich einen Traum erfüllt, seinen Sohn daheim spielen zu sehen. Dem Squash eine Bühne bieten wollen. „Auf“, ruft er dem Sohnemann zu, „weiter geht's, Simon!“ Der Druck ist enorm. Für alle Rösners. Bruder Benjamin sitzt in der ersten Reihe, Schwester Stefanie, die nach dem Erstrunden-Aus im Frauen-Wettbewerb die Nebenrunde gewonnen hat, drücken die Daumen ebenso wie Mutter Christine – den Druck spüren auch sie alle.
„Eine absolut enge Sache. Ich habe nach dieser kräftezehrenden Saison meinen Körper gespürt“, sagt Rösner, der sich aber mit all seiner Routine und seiner Klasse aus der engen Situation und vom Druck befreit. Er gewinnt den dritten Satz 11:9 und findet im vierten Durchgang seine Normalform wieder – 11:2. Zum neunten Mal in Serie deutscher Meister. „Ich bin mega-glücklich, hier in Würzburg gewonnen zu haben. Das ist etwas Besonderes, etwas, das ich nicht vergessen werde“, ruft er dem Publikum zu und macht seinem Vater so etwas wie eine Liebeserklärung: „Das, was er hier mit Leuten wie Jürgen Sroka, Robert Schmitt oder Helmut Urbon beim TSC Heuchelhof auf die Beine gestellt hat, ist fantastisch. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.“ Für Frauen-Titelgewinnerin Sina Wall vom Paderborner SC, „war das hier die perfekte Bühne für uns und unseren Sport. Das sollte immer so sein.“
Und am Ende, nach zwei Titeln daheim, bricht sich beim sonst in seinen Aussagen so sehr bedachten Simon Rösner die Emotion Bahn. „Das hier, dieser Glas-Court in Würzburg“, sagt er und blickt dabei stolz zu seiner Familie, „ist in den letzten Wochen zu meinem Wohnzimmer geworden.“ Daheim ist's doch am schönsten.
Deutsche Squash-Meisterschaften
Simon Rösners Weg zum neunten Triumph
1. Runde: Patrick Gässler (Stuttgart) 11:6, 11:3, 7:11, 11:2 2. Runde: Lucas Wirths (Paderborn) 11:1, 11:4, 11:2 Viertelfinale: Florian Silbernagl (Frankfurt) 11:4, 11:0, 11:4 Halbfinale: Valentin Rapp (Stuttgart) 11:1, 11:4, 11:3 Finale: Jens Schoor (Worms) 11:1, 9:11, 11:9, 11:2
Als erster und einziger Deutscher hat Simon Rösner die nationalen Einzel-Titelkämpfe neunmal hintereinander gewinnen können. Mit neun Erfolgen ist der Würzburger mit Hansi Wiens gleichgezogen. Der heute 47-Jährige gewann die Titel 1988 bis 1993, 1995, 1996 und 2002. Im Finale der Frauen setzte sich Simon Rösners Vereinskollegin Sina Wall in einem rein Paderborner Duell gegen Annika Wiese glatt in drei Sätzen 11:4, 11:6, 11:4 durch. Wall blieb während des Turniers beim TSC Heuchelhof ohne Satzverlust und wurde so nach 2011 zum zweiten Mal deutsche Einzelmeisterin!