N ach sechs Minuten ist alles vorbei. Sechs Minuten, in denen Wellen nun wirklich nicht zu gebrauchen sind. Sechs Minuten Körperspannung - sechs Minuten treten. Dann wird sich entscheiden, ob wieder mal die vier Mädels aus Herzogenaurach feiern oder ob endlich Theresa, Christina, Sibylle und Katharina jubeln dürfen. Für diesen Jubel trainiert das Quartett aus Randersacker. Seit fünf Jahren schon. Auch heute wieder.
Wir sind in der Sporthalle am Sonnenstuhl in Randersacker. Die Kunstradabteilung der Solidarität Randersacker übt. 14 Mädels und junge Damen im Alter von sechs bis 18 Jahren schleppen aus dem Geräteschuppen ihre "Saalmaschinen" an. So nennen zumindest die Fachleute diese Kunsträder ohne Bremsen, Licht und Schaltung. Die Kleinsten halten sich erst gar nicht mit den edlen, freilich auch schmucklosen Zweirädern auf - sie greifen sich im Geräteschuppen gleich die Einräder und - zack, sitzen sie drauf. Nicht schlecht. Acht, vielleicht neun Jahre jung sind diese vier Randersackerinnen, die sich den Sattel unter den Po klemmen und ohne jede Hilfe und Stütze auf einem Rad herumkurven.
"Bei uns beginnen die Einsteiger dieser Sportart eigentlich erst auf dem Kunstrad, dem Gefährt mit den zwei Rädern. Wenn es dann aber zu schwer wird, wechseln sie zum Einrad", klärt Tina Vogel auf. Tina Vogel ist neben Anna-Spatzing Bardorf und dem diesmal heute erkrankten Wilhelm Ott eine der drei Trainer der insgesamt 19 Lizenzfahrerinnen der Soli Randersacker. Fahrerinnen - denn Jungs haben sie nicht in ihren Reihen. "Einige fangen an, aber dann lockt irgendwann der Fußball - und weg sind sie", bedauert Anna Spatzig-Bardorf, die erfahrene Übungsleiterin, die früher mal deutsche Meisterin im Zweier-Kunstradfahren war.
Zusammenhalt ist wichtig
Da sind die Mädels in Randersacker schon hartnäckiger. Die 18-Jährigen Eva und Lisa Bardorf, Verena Höfer und Hanna Behrendt radeln immerhin schon zehn Jahre - als 4er Einradmannschaft haben sie es bereits zu bayerischen Meisterschaften und einer deutschen Vizemeisterschaft gebracht. Dafür trainieren sie zweimal in der Woche. Und wenn sie mal keine Lust haben? "Das geht nicht", sagt Lisa, "denn du kannst schlecht zu dritt oder zu zweit die Kür trainieren. Da muss jede Bewegung sitzen. Wenn nicht alle mitmachen, hast Du im Wettbewerb keine Chance. Da ist der Zusammenhalt schon sehr wichtig".
Diese Zusammenhalt ist beim Training augenscheinlich: Auf der Fahrfläche rechts hinten übt der Nachwuchs - das sind die ganz jungen Sportlerinnen, die einfache Gruppenfahrten schon beherrschen und jetzt eine Kür für den Wettkampf zusammenbauen. "Körperspannung - Hände waagrecht - Kopf gerade - ja, so ist's super". Nicht eine der beiden Trainerinnen der Randersackerer Radler-Equipe gibt die kurzen Befehle, sondern die älteren Radartisten aus dem Vorort Würzburgs betrachten mit kritischen Augen die Leistungen ihrer Nachfolger und verbessern schlechte Haltungen lautstark. "Das ist üblich bei uns, dass die Großen den Kleinen helfen," sagt Tina Vogel. Die Großen helfen nicht nur, sie sprechen auch Mut zu: Denn Überwindung kostet der Sport auf einem oder zwei Rädern zweifelsfrei. "Auf dem Einrad sind Stürze weniger gefährlich, da kommt Gleichgewichtssinn vor Überwindung. Beim Kunstradfahren allerdings brauchst Du schon jede Menge Mut," meint Tina Vogel, "je besser die Sportlerinnen fahren, je höher werden die Schwierigkeitsgrade. Dann sind Stürze durchaus möglich. Bänderrisse und Knochenbrüche sind zwar nicht die Regel, kommen aber schon mal vor. Schließlich fallen die Mädels manchmal auf die stabilen Räder."
Das ist auch heute in Randersacker zu sehen. Doch diesmal trennen sich Fahrerin und Sportgerät friedlich - Verletzungen gibt es nicht. Schließlich sind die Mädels nicht nur geschickt beim Radeln, sondern auch im Hinfallen. "Eine Fallschulung zählt natürlich zu unserem Trainingsprogramm", sagt Tina Vogel, die weit mehr noch an Sicherheiten eingebaut hat: Um neue, schwere Übungen zu lernen, setzen sich die Sportlerinnen nicht einfach aufs Rad und düsen los: Ein Standfahrrad lässt exakte Ausführungen zu: Erst wird der Handstand auf dem Lenker in Ruhe und mit Hilfestellungen auf diesem Fahrradgestell trainiert, dann erst geht's auf die Roll-Tour. Während des Fahrens wird ein Sicherheitsgurt angeschnallt, den die Trainer mit einem Seil sichern. Diese Lounge wird erst entfernt, wenn die Übung sitzt.
Nicht auf andere angewiesen sein
Es scheppert in der Halle: Stefanie Ott hat sich soeben unfreiwillig von ihrem Arbeitsgerät entfernt. Schon ein bisschen zornig schnappt sie sich das Rad, schwingt sich auf den Sattel und führt ihre Kür als Solistin fort. Die 18-Jährige übt für die Europameisterschafts-Qualifikation. Wer in solchen Dimensionen fährt, hat schon einiges geleistet, hat schon an den großen Erfolgen geschnuppert. Mannschaft fährt Stefanie Ott nicht: "Da ist man zu sehr auf andere angewiesen. Wenn andere in der Mannschaft schlechter sind, dann kann man nicht mehr gewinnen. Deshalb fahre ich lieber Einer." Dann schwingt sie sich wieder auf's Kunstrad und dreht ihre Kreise. Sie ganz alleine, auf der Fläche daneben fahren Theresa, Christina, Sibylle und Katharina auf ihren Einrädern - sechs Minuten lang. Ob Einzel oder Mannschaft - alle haben das gleiche Ziel: Sechs Minuten lang Konzentration, Körperspannung - und ja keine Wellen. Denn Wellen (Wackler) bringen Abzüge. Die dürfen nicht sein. schließlich sollen die Mädels aus Herzogenaurach das nächste Mal nicht wieder gewinnen.