Wenn am 23. August dieses Jahres mit dem VfL Gummerbach und dem THW Kiel der Dino der Liga und der deutsche Rekordmeister die 50. Saison der Handball-Bundesliga eröffnen werden, wird ein anderer deutscher Traditionsklub und Altmeister vermutlich von der Bundesliga-Landkarte verschwunden sein. Ausradiert wie ein Ort, der nicht mehr existiert. Als hätte es ihn nie gegeben. Dabei gab es vor allem zu seiner Hochzeit in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren keinen Ort in Deutschland, an dem erfolgreicher Handballball gespielt wurde als in Großwallstadt. Doch die ruhmreiche Ära des TVG ist lange her, sehr lange.
Am Donnerstag hat die Handball-Bundesliga (HBL) dem sechsfachen deutschen Hallenmeister und je viermaligen DHB- und Europapokalsieger (in drei verschiedenen Wettbewerben), der 2013 nach 44 Jahren im deutschen Oberhaus abgestiegen war, die Lizenz für die nächste Spielzeit verweigert. Die genauen Gründe nannte der Ligaverband nicht. Doch dem klammen Klub fehlt wie schon in den vergangenen Jahren Geld. Mutmaßlich viel Geld.
In der Mitteilung der HBL heißt es im Amtsdeutsch nur, der TVG habe die ihm in der Lizenzerteilung am 20. April erteilte aufschiebende Bedingung nicht erfüllt: „Somit sind die Voraussetzungen für eine Lizenzerteilung und die Teilnahme am Spielbetrieb in der zweiten Handball-Bundesliga für die Saison 2015/2016 nicht erfüllt.“ Die Unterfranken, aktueller Tabellensechster, sind damit zum Zwangsabstieg in die Dritte Liga verurteilt.
TVG-Geschäftsführer Georg Ballmann bestätigte in einer ersten Presseerklärung lediglich die Tatsache: „Uns wurde heute Morgen telefonisch mitgeteilt, dass wir die Lizenz nicht erhalten werden.“ Gleichzeitig ließ er offen, wie der Klub reagieren wird. „Uns liegt aktuell weder eine schriftliche Bestätigung noch eine Begründung vor, daher können wir noch nicht detailliert Stellung beziehen.“ Offen ist auch, ob die „Wällster“ juristisch gegen die Entscheidung vorgehen und mit welchem Kader sie in der kommenden Runde an den Start gehen werden. „Stand heute werden die aktuellen Spieler nach dieser Saison wohl erst mal arbeitslos sein und sich neue Vereine suchen müssen“, meint Trainer Maik Handschke, dessen eigener Vertrag erst im April bis 2017 verlängert worden war – für die zweite Liga. „Und dann wird man sehen, was passiert und ob ein Neuaufbau stattfindet.“
Handschke zeigte sich im Gespräch mit dieser Redaktion „geschockt und frustriert. Dass uns einige Gehälter fehlen, ist ja ein offenes Geheimnis, aber dass es scheinbar so schlimm steht, wusste ich nicht“, so der Coach am Donnerstagnachmittag. Aus Insiderkreisen war zu erfahren, dass es bereits in der Hinrunde Probleme mit der Zahlung der Löhne gab. Das letzte Gehalt sollen die Spieler für Januar erhalten haben – jedoch erst kürzlich. Wie schon in der vergangenen Saison hatte es deswegen auch wieder Streiks gegeben, verlautete aus dem engen Umfeld des TVG.
Am Donnerstagabend trafen sich Handschke und sein Team mit der Geschäftsleitung. „Ich bin bereit, die Saison zu Ende zu spielen. Ich hoffe und gehe eigentlich davon aus, dass die Mannschaft auch diesen Charakter zeigt. Respekt an sie, dass sie sich trotz der Umstände sportlich überhaupt so gut geschlagen hat.“
Ballmann hatte vor einem Monat noch Zuversicht demonstriert, nachdem die HBL die Lizenz unter einer aufschiebenden Bedingung erteilt hatte. Er sei sicher, diese „fristgerecht erfüllen zu können“. Der Plan, mit jungen Spielern und ohne teure Stars neu anzufangen, ist nun allenfalls in der Dritten Liga möglich. Damit schreitet der Niedergang des Traditionsklubs weiter voran. Lange lebte der Altmeister, bei dem früher nationale und internationale Handballgrößen wie Kurt Klühspieß, Manfred Hofmann, Martin Schwalb, Carsten Lichtlein, Steffen Weinhold, Jackson Richardsson oder Nenad Kljaic spielten, noch von seinen Namen und Erfolgen – wie eine alternde Diva, die sich nicht abschminken und der ungnädigen Wahrheit ins Gesicht sehen will, dass die besten Zeiten nun mal vorbei sind. Vielleicht zu lange.
In der ewigen Tabelle der ersten Bundesliga wird der TVG hinter Kiel und Gummersbach mit einer Bilanz von 1210 Spielen, 600 Siegen und 132 Unentschieden immer noch auf Rang drei geführt. Doch was nützt der Name in der Chronik schon, wenn er von der aktuellen Landkarte verschwunden ist?