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TRAUNSTEIN: Alois Glück und der Missbrauchs-Schock

TRAUNSTEIN

Alois Glück und der Missbrauchs-Schock

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    Macht Platz: Alois Glück hat sich als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) verabschiedet, zu seinem Nachfolger wurde am Freitag Thomas Sternberg gewählt.
    Macht Platz: Alois Glück hat sich als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) verabschiedet, zu seinem Nachfolger wurde am Freitag Thomas Sternberg gewählt. Foto: Foto: Oliver Berg, dpa

    Alois Glücks Handy klingelt unentwegt. Wie im November 2009, als er zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) wurde, dem höchsten Gremium des Laien-Katholizismus. Am Donnerstag schied er nach sechs Jahren aus dem Amt. Er wollte es so. Sein Nachfolger wurde bei der Vollversammlung des ZdK in Bonn der nordrhein-westfälische CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg. Er setzte sich durch gegen Maria Flachsbarth, parlamentarische Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium (CDU).

    Glück erlebte in seinem Amt einen Ansturm der Medien. Ende Januar 2010 wurde öffentlich, dass Ordensbrüder Schüler am Berliner Canisius-Kolleg sexuell missbraucht hatten. Bald wurde Ähnliches über das Benediktinerkloster Ettal bekannt. Die deutsche katholische Kirche stürzte in eine tiefe Krise. Und was tat Glück?

    Ein noch nie erlebter Ansturm

    Er verfolgte eine Zeit lang die Nachrichten, war unsicher. Anfang Februar äußerte er sich schließlich – im Gegensatz zu den Bischöfen, die schwiegen oder beschwichtigten. Glück sagte: Es dürfe „keine falsch verstandene Solidarität“ mit der Kirche geben, „keine Mentalität des Wegsehens“.

    Er wurde zu dem Ansprechpartner auf kirchlicher Seite und musste sich als Krisenmanager bewähren, was ihm auch gelang.

    „Der Ansturm der Medien war so groß, wie ich es in meiner gesamten politischen Laufbahn nicht erlebt habe“, erinnert er sich. Das will etwas heißen: 1970 zog Glück für die CSU in den Bayerischen Landtag ein, von 2003 bis 2008 war er dessen Präsident. Zuvor stand er 15 Jahre der CSU-Landtagsfraktion vor. Er hat vieles in seiner Karriere gesehen, galt als „Strippenzieher“ und sagte über sich, er sei ein „wandelnder Vermittlungsausschuss“. Denn eine seiner Aufgaben war es, Streitigkeiten zu schlichten. Das kann er.

    Nicht ahnen konnte er, wie fordernd sein Ehrenamt als ZdK-Präsident werden würde. Er hatte es nie angestrebt, zweimal sogar abgelehnt. Er wollte ein ruhigeres Leben und mehr Zeit für seinen schwerbehinderten Sohn. 2009 konnte sich dann der vorgesehene Kandidat überraschend nicht durchsetzen, Glück ließ sich auf das Amt ein. Aus Pflichtgefühl. Seit 1983 gehörte er dem ZdK an, nun war er dessen Präsident – und zutiefst erschüttert über die Missbrauchsfälle. „Mir war klar, dass es Abgründiges in der Kirche gibt, aber das hatte eine Dimension, die mich schlicht fassungslos gemacht hat“, erzählt er.

    Glück redet gewöhnlich mit leiser Stimme, jetzt wird er lauter. Der einzige Weg aus der Krise sei für ihn der der totalen Offenheit gewesen. „Kein Verdrängen, kein Vertuschen – selbst wenn die Kirche dabei beschädigt wird.“ Diese Erkenntnis habe sich allmählich auch bei den Bischöfen verbreitet, Glück spricht von einer „Zäsur“. Er spricht vom „Dialogprozess“, der sich ohne den „Schock des Missbrauchsskandals“ nicht ergeben hätte; davon, dass sich die Gesprächskultur zwischen Klerus und Laien verbessert habe.

    Zu Beginn seiner Amtszeit sei ihm bewusst geworden, dass zahlreiche engagierte Katholiken „verletzt und frustriert“ seien von den Erfahrungen, die sie gemacht hätten. Sie hätten gar nicht mehr daran geglaubt, etwas verändern zu können. „Sie träumten von einer angstfreien Kommunikation innerhalb der Kirche.“ Die Debatten seien mittlerweile offener geworden. Auch dank Papst Franziskus.

    Alois Glück sagt mit einer durchaus bewundernswerten Offenheit: „Mir tun die Katholiken leid, die der leider falschen Einschätzung unterliegen, dass sich die Menschen in der Kirche alle wunderbar verhalten.“ Er sagt: „Eine differenzierte Einstellung zu den Würdenträgern hatte ich schon immer.“

    Diese Einstellung mag ihn vor einer Vereinnahmung geschützt haben, nicht vor Kritik. Zum Bruch mit den Bischöfen ist es dennoch nicht gekommen. Nicht einmal, als die Vollversammlung des ZdK im Mai 2015 einstimmig beschloss, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften und „neue Partnerschaften Geschiedener“ einen kirchlichen Segen erhalten sollten. Traditionalistische Katholiken schäumten; der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, erklärte, dies sei „theologisch so nicht akzeptabel“. Glück empfand das als legitime Kritik. Was ihn schmerzte, waren Attacken erzkonservativer Kreise. Diffamierungen.

    Spannungen verschärft

    Auf der einen Seite hat sich seiner Ansicht nach die Gesprächskultur verbessert, auf der anderen Seite haben sich die Spannungen zwischen traditionalistischen und reformorientierten Katholiken verschärft.

    Die letzten sechs Jahre waren schwierige Jahre für die deutsche katholische Kirche. Alois Glück, der Bauernsohn aus dem oberbayerischen Hörzing, hat sie mitgeprägt – als Stimme der Vernunft. Der 75-Jährige freut sich nun auf eine neue Lebensphase ohne Termine, Sitzungen, Reisen durchs ganze Land. Er will sich stärker für den Ausbau der Palliativmedizin einsetzen. Einer wie er, der sich stets engagierte für die Bergwacht oder in Stiftungen, kann gar nicht anders.

    Der neue ZdK-Präsident

    Thomas Sternberg leitet das renommierte Franz-Hitze-Haus, die katholisch-soziale Akademie des Bistums Münster. Sternberg holte nach einer Bäckerlehre das Abitur nach, ehe er Germanistik, Kunstgeschichte und Theologie studierte. Am Bonner Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte promovierte er über die Sozialeinrichtungen des 4. bis 7. Jahrhunderts. Seit 2005 sitzt Sternberg für die CDU im nordrhein-westfälischen Landtag. Dort ist er unter anderem Sprecher des Kulturausschusses, seine weiteren Schwerpunkte sieht er in der Finanz- und Bildungspolitik.

    Die Leitlinien seiner politischen Arbeit beschreibt der 63-Jährige als „sachorientiert, verantwortungsvoll und am christlichen Menschenbild orientiert“. Sternberg ist verheiratet, hat fünf erwachsene Kinder und lebt in Münster. Text: dpa

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