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„Blindflug bei der Energiewende“

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„Blindflug bei der Energiewende“

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    Keine Windräder, keine Stromtrassen, kein Energiewende-Plan: Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt SPD-Energieexpertin Natascha Kohnen, warum sie die Energiepolitik von Horst Seehofer für brandgefährlich für Bayerns Wirtschaft hält, wieso ohne neue Leitungen der Strom in Bayern bald teurer werden könnte – und dass man Elektronen nicht nach ihrer Farbe fragen kann.

    Frage: Ein überarbeiteter Plan zur Energiewende in Bayern wurde von der Staatsregierung bereits mehrfach angekündigt, kürzlich aber erneut verschoben. Kann Energieministerin Ilse Aigner den Plan nicht vorlegen? Oder darf sie nicht?

    Natascha Kohnen: Das ist in der Tat die große Frage. Richtig ist, dass Frau Aigner zuletzt vorsichtig vorwärtsgegangen ist und gesagt hat: Wir brauchen Lösungen. Das ist gut, weil uns der Populismus des Ministerpräsidenten in der Energiepolitik nirgendwohin führt. Herr Seehofer hat dann aber umgehend einen Maulkorb verhängt. Deshalb ist Bayern nun seit über einem Jahr im Blindflug, was die Energiewende betrifft. Seit dem Landtagswahlkampf mit Seehofers Kurswechseln gibt es kein gültiges Energiekonzept mehr. Keiner weiß, wohin die Reise geht. Und das ist brandgefährlich – vor allem für die Wirtschaft in Bayern.

    Der Verband der bayerischen Wirtschaft warnt vor Versorgungslücken ab 2017 und vor „partiellen Stromausfällen“. Ist die Lage wirklich so ernst?

    Kohnen: Die Versorgungslücke ist gar nicht das größte Problem. Viel schlimmer ist die Instabilität des Stromnetzes. Das bestehende Netz ist nicht auf die erneuerbaren Energien ausgerichtet, was immer wieder zu Überlastungen führt – übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen oder Tschechien. Für viele Hightech-Industriebetriebe gerade in Bayern ist das fatal. Denn hier können schon kleine Schwankungen bei der Stromversorgung enorme Schäden verursachen.

    Was wäre denn aus Ihrer Sicht jetzt nötig, um die Energiewende voranzubringen?

    Kohnen: Wir brauchen in Bayern vor allen Dingen mehr Ehrlichkeit in der Energiedebatte. Wir hatten ja nach Fukushima parteiübergreifend ein Energiekonzept für Bayern entwickelt, hinter dem auch die SPD ganz klar gestanden hat. Da gab es etwa genaue Planungen, wie erneuerbare Energien ausgebaut werden sollen. Alles war ganz klar strukturiert, bis Horst Seehofer im Wahlkampf diesen Konsens aufgekündigt hat. Jetzt tritt mit dem 1. August bundesweit das reformierte EEG-Gesetz in Kraft. Und Bayern hat immer noch keinen Plan, wie es jetzt weitergehen soll. Damit ist das Chaos endgültig perfekt.

    Ein Hin und Her gibt es beim Streit um neue Stromtrassen. Die CSU will den Bedarf neuer Stromleitungen noch einmal prüfen lassen. Gibt es denn noch eine Chance, auf neue Leitungen zu verzichten?

    Kohnen: Wenn Seehofer den Fehler macht und die erneuerbaren Energien ausbremst – zum Beispiel mit der Abstandsregelung für Windkraftanlagen – und gleichzeitig die Atomkraftwerke vom Netz nimmt, dann stellt sich schon die Frage, wie Bayern künftig mit Strom versorgt werden soll. Und die Realität in Deutschland ist doch, dass im Norden der erneuerbare Strom überläuft, weil er nicht in den Süden geleitet werden kann. In Bayern droht gleichzeitig mit der Abschaltung der nächsten Atomkraftwerke der Versorgungsnotstand. Ich kann nicht sehen, wie sich dieses Problem ohne neue Trassen lösen lässt. Und so wie der Strommarkt in Europa strukturiert ist, wird sich die EU so eine Situation auch nicht auf Dauer anschauen können.

    Welche Folgen hätte also ein Verzicht auf neue Stromtrassen für Bayern?

    Kohnen: Die EU könnte zur Sicherung der Netze in Europa Strompreiszonen einführen. Das heißt: Im Norden, wo viel Strom ist, wird der Strompreis günstiger. Und dort, wo wenig Strom ist – sprich in Bayern – wird es teurer. Den Preis dafür müssten dann Bayerns Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stromrechnung zahlen. Vor allem aber hätten Preiszonen enorme Folgen für den Industriestandort Bayern: Denn neue Industrieinvestitionen sind unter solchen Bedingungen unrealistisch. Und schlimmer noch: Auf mittlere Sicht würde Industrie aus Bayern abwandern. Seehofers Kurs ist deshalb der direkte Weg zur Deindustrialisierung Bayerns.

    Die Staatsregierung verhandelt in Berlin über eine neue Nord-Süd-Leitung – und lobt sich dafür, mit ihrem Widerstand bereits eine „Braunkohletrasse“ verhindert zu haben. Ist das denn kein Erfolg?

    Kohnen: Dieses Argument ist der hilflose Versuch, eine erneute Seehofer-Wende zu kaschieren. Seehofer selbst hat doch die Angst vor neuen Strommasten geschürt, anstatt zu erklären, warum diese vielleicht doch notwendig sind. Und jetzt will man die bösen braunen Strommasten mit dem Kohlestrom verhindern und die guten grünen Masten mit dem Ökostrom dann vielleicht doch irgendwie akzeptieren. Mit der Realität der Stromversorgung hat das jedenfalls nichts zu tun: Wir können doch nicht am Ende die Elektronen auszählen und fragen: Na, wo kommt ihr denn her?

    Seehofer hat sich mit Blick auf laufende Verhandlungen öffentliche Debatten über den Trassenbau verbeten. Warum kritisieren Sie das, obwohl Ihre Partei bei den Gesprächen in Berlin am Tisch sitzt?

    Kohnen: Sie können doch nach all den öffentlichen Diskussionen der letzten Monate jetzt nicht nach Berlin gehen, über eine neue Trasse diskutieren – und die Menschen in Bayern nicht darüber informieren. Niemand der Verantwortlichen der CSU will aber bis September mit den Betroffenen sprechen, sondern ihnen dann ein fertiges Konzept auf den Tisch knallen. Erst fordert die Staatsregierung mehr Bürgerbeteiligung und dann schlägt sie den Menschen die Tür vor der Nase zu. Ich halte das für fatal.

    Wenn der Windkraft-Ausbau ausbleibt: Wo kann der bayerische Strom stattdessen herkommen?

    Kohnen: Bayern wollte zehn Prozent des Strombedarfs aus Windkraft decken. Jetzt sind wir bei 1,6 Prozent. Gleichzeitig haben wir noch immer 47 Prozent Atomstrom, der ersetzt werden muss. Letztlich könnte die Lücke wohl nur mit fossilen Energieträgern geschlossen werden. Eine richtige Energiewende wäre das dann aber nicht. Es wäre ein Gebot der Ehrlichkeit, über diese Zusammenhänge offen zu diskutieren. Doch die CSU macht nullkommanull Vorschläge, wie die Energiewende funktionieren kann.

    Natascha Kohnen

    Mit hartnäckigen Fragen und gewitzten Formulierungen brachte die energiepolitische Sprecherin der SPD ihre CSU-Kollegen im Landtag zuletzt wiederholt in Argumentationsnöte. Die 46-jährige gebürtige Münchnerin hat in Regensburg Biologie studiert und vor ihrer politischen Karriere unter anderem in Paris gearbeitet. Seit Ende 2008 ist Kohnen im Landtag, seit Juli 2009 ist sie zudem Generalsekretärin der Bayern-SPD. Sie wohnt im Landkreis München und hat zwei Kinder. Text: Stern/Foto: Obermeier

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