Gabriele Pauli – das ist die, die sich in Latex und auch mal eingewickelt in die bayerische Rautenflagge hat fotografieren lassen. Ja, und sie war auch die, die mit großem Trara Edmund Stoiber als bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef zu Fall gebracht hat. Jetzt, acht Jahre später, ploppt Gabriele Pauli im hohen Norden wieder auf. Die „rote Rebellin“, oft als die „schöne Landrätin“ von Fürth tituliert, dann ausgebuht und rausgejagt aus der CSU, will diesmal Bürgermeisterin von Sylt werden. Am 14. Dezember. Die Insel polarisiert wie einst die unerschrockene Frau Pauli: Einerseits zieht sie mit dem Zurschaustellen eines reichen Egos die Blicke auf sich, andererseits vertreibt sie ihre „Kinder“, denen die Heimat verloren geht. Unter sechs Bürgermeisterkandidaten ist Pauli die einzige Frau und auf jeden Fall die prominenteste Bewerberin um das Amt.
Viele Reizthemen gibt es zu besprechen, aber lieber sich erst vortasten. Ein erstes Gespräch kommt zustande, als Gabriele Pauli nachts mit dem Zug von Sylt nach Bayern fährt. Sie hat noch eine Wohnung in ihrer Heimat Zirndorf, ihre Mutter betreibt dort einen Schmuckladen. Im Hintergrund während des Telefonats Rauschen und Stimmengewirr, abgebrochene Sätze.
Frage: Frau Pauli, wie kommen Sie dazu, auf Sylt zu kandidieren?
Gabriele Pauli: Ich wurde angesprochen von Syltern, die dringend einen Kandidaten brauchten. Sie brauchten jemanden, der unbefangen an die Verwaltung rangeht.
Dann ist die Leitung tot. In der Woche darauf klappt es auch nicht, Gabriele Pauli ist ständig beschäftigt. Auf die Mailbox spricht sie einmal mitten in der Nacht, erstaunlich entschuldigend: „Ich bin normalerweise nicht so. Ich habe echt viel zu tun.“ Also einigen wir uns auf ein Interview per E-Mail – auf die Gefahr hin, dass die Antworten nicht spontan, sondern sehr wohl durchdacht sind. Aber Gabriele Pauli, die bis 2013 parteilos im Bayerischen Landtag saß, plaudert nicht drum herum. Allerdings: Fragen, die sich um Selbstkritik drehen, umschifft sie gekonnt.
Gibt es Fehler, die Sie zugeben würden?
Pauli: Ich schiebe 1000 Dinge an und bin dann im Hamsterrad, weil ich nicht fertig werde. Aber das Ergebnis macht mich glücklich.
Ihre Stimme in den kurzen Telefonaten überrascht: samtig und beruhigend, trotz hektischem Gebrabbel im Hintergrund. Sie sagt: „Ich bin ziemlich stressresistent, weil ich mich geerdet fühle.“ Der Versuch, sie aus der Reserve zu locken, beeindruckt Gabriele Pauli auf den ersten Blick nicht; bei genauem Hinschauen aber ist noch gewisse Enttäuschung über das Damals zu spüren. Wenn es um ihre Widersacher geht, nennt sie diese auch beim Namen. Vielleicht etwas trotzig. Aber – warum eigentlich nicht?
2006 kritisierten sie öffentlich Edmund Stoiber, den CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten. Gingen Sie die Sache nicht zu blauäugig an?
Pauli: Ich wollte einen Ministerpräsidenten, der innovativ denkt und der die CSU modern führen und stabilisieren kann. Da die CSU die Zeichen der Zeit nicht erkannte, handelte sie sich die Wahlschlappe ein.
Nach ihrem Angriff auf Stoiber spitzte sich der Streit durch die „Bespitzelungsaffäre“ zu. Es kam heraus, dass der Büroleiter des Ministerpräsidenten üble Gerüchte über Pauli streuen wollte. Von Alkoholproblemen und Männergeschichten war die Rede. Die Diskussion um Stoiber verschärfte sich dann doch, letztlich trat er von seinen Ämtern zurück. Erinnert an diese Zeit, schreibt Gabriele Pauli in ihrer E-Mail nicht über ihre Gefühle, sie lassen sich aber erahnen: „Niveaulos war der Politische Aschermittwoch 2007 in Passau, ein Kesseltreiben.“ Die folgenden Sätze erinnern an die der CSU oft unterstellte „Mia san mia“-Hochmütigkeit. Gabriele Pauli: „Keinen Respekt mehr habe ich vor Markus Söder (heute bayerischer Finanzminister), der damals als Generalsekretär die Stimmung noch aufheizte und mit der Menge 'Pauli raus' rief. Er und die anderen 'da oben' betrieben von da an heftiges Mobbing. Weil sie sich von mir bedroht fühlten.“ Eindeutig Töne, die mit Spitzen versehen sind. Vor allem ein Satz von Gabriele Pauli lässt den Frust damals und den durchaus noch vorhandenen Unfrieden heute in diesem Zusammenhang spüren. Sie sagt: „Ich verzieh ihnen, denn sie waren betrunken.“
In Ihrer Dissertation, die sich hauptsächlich mit der PR-Praxis der CSU beschäftigt, stellt Pauli fest, dass diese Partei letztlich keine Kritiker duldet. Was hat sie selbst dann mehr als 30 Jahre in der CSU gehalten? Sie sei angetan gewesen von der Art von Franz Josef Strauß, sagt sie. Sie sieht ihn als „offen für die Moderne und Vertreter von Grundpositionen, bei denen sich viele Bürger wiederfanden“. Allerdings: „Kritiklos habe ich ihm nicht gehuldigt.“ Der aktuellen Parteiführung bescheinigt sie „viele graue Männer“, die Personaldecke sei dünn. Und wo steht sie selbst? „Ich bin auch heute noch christlich und sozial. Dafür muss man nicht in der CSU sein.“
Wie haben Sie diese bewegte Zeit überstanden?
Pauli: Ich hatte nie etwas Unrechtes getan – im Gegensatz zu inzwischen leider sehr vielen entgleisten CSU-Politikern. Ich stand zu meinen Forderungen und habe sie auch bei meiner Kandidatur um den Parteivorsitz noch mal deutlich vertreten. Wovor sollte ich Angst haben?
Stand eigentlich auch jemand hinter Ihnen?
Pauli: Barbara Stamm (die Landtagspräsidentin, Anm. der Red.) hat sich nicht von aufgehetzten CSU-Frauen zu einer Unterschrift gegen mich überreden lassen. Das rechne ich ihr hoch an. Gerne erinnere ich mich an Christian Schmidt (Bundesminister für Landwirtschaft, Anm. der Red.). Beim CSU-Ball hatte er mich demonstrativ zum Tanz aufgefordert. Wir kennen uns seit der Schulzeit. Er hat Rückgrat.
Gabriele Pauli ist unerschrocken; sie macht, was sie für richtig hält. Rücksichtslos fanden es die einen, mutig die anderen. 2007 verlor sie erwartungsgemäß die Wahl um den Vorsitz und trat dann aus der CSU aus. 2008 zog sie für die Freien Wähler in den Bayerischen Landtag. 2009 gründete sie ihre eigene Partei, die Freie Union. 2010 verließ Pauli die Partei im Streit und blieb bis 2013 als fraktionslose Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Beachtlich verbrannte Erde im Süden, nun also Sylt.
Frau Pauli, nehmen Sie eigentlich Kritik an?
Pauli: Manche kritisieren, um sich zur Geltung zu bringen. Solche Kritik kann ich von mitfühlenden und empathiegetragenen Vorschlägen unterscheiden.
Haben Sie einen Berater?
Pauli: Bei meiner Tochter ist alles echt. Ihre Worte nehme ich sehr ernst.
Ihre Antworten sind klar, aber vorsichtig. Sie hat mit der Politik und den Menschen, die sich ihr verschrieben haben, manche Enttäuschung erlebt. Wenn es um ihre Familie geht, gibt sie sich zwar sanftmütiger, aber nicht viel preis. Auf die Frage nach ihrem Ruhepol spricht Gabriele Pauli von „lieben Menschen“. Gemeint sind ihre Tochter und ihre Mutter. Außerdem sagt sie: „Ich albere gerne rum, das geht aber nur mit wenigen Menschen so richtig.“ Und über wen oder was kann sie richtig lachen? „Immer lachen kann ich über Karl Valentin, Woody Allen, Gerhard Polt und Manfred Degen.“
Direkt zugeben möchte Gabriele Pauli eigene Fehler nicht – aber wer mag das schon? Kann Sie verstehen, dass ihre Person spaltet? Spielt sie womöglich mit dieser Erkenntnis? Ein letzter Vorstoß . . .
Frau Pauli, Sie müssen zugeben, Sylt reizt. Mögen Sie die Provokation?
Pauli: Das mag die etwas oberflächliche Sicht aus Bayern sein. Sylt ist nicht nur die Insel der Reichen und Schönen, die der Unterfranke Gunter Sachs mit Brigitte Bardot geprägt hat. Sylt ist mehr als Glamour. Hier arbeiten die Leute hart, um die Weltmarke Sylt mit Leben zu füllen. Nirgendwo in Deutschland kann man sich besser erholen. Wir haben viel mehr als Meer. Und dann noch mal so ein Satz, der ein eindeutig zweideutiges „Vergelt's Gott“ in den Süden schleudert: „Wenn Bayern, wie Horst Seehofer immer wieder beteuert, die Vorstufe zum Paradies ist, dann ist man auf Sylt vielleicht schon angekommen.“
Gabriele Pauli und Sylt
Geboren wurde Gabriele Maud Pauli am 26. Juni 1957 in Schweich bei Trier. Bereits mit 16 Jahren war sie mittelfränkische Bezirksschülersprecherin, mit 32 Jahren wurde sie Landrätin von Fürth (CSU), damals die jüngste Amtsträgerin Deutschlands. Nach ihrem BWL-Studium in Erlangen promovierte sie 1986 zum Dr. rer. pol. mit dem Thema „Polit-PR – strategische Öffentlichkeitsarbeit politischer Parteien – zur PR-Praxis der CSU“. 1983 gründete sie den Pauli-Balleis-Verlag in Nürnberg, von 1988 bis 1990 war sie Stadträtin in Zirndorf, bis 2008 Landrätin. Gabriele Pauli war zweimal verheiratet: von 1984 bis 1994 mit dem ehemaligen Erlanger Oberbürgermeister Siegfried Balleis, mit dem sie eine Tochter hat. Von 2000 bis 2007 mit dem Unternehmer Florian Dickopp. Sie lebt heute auf Sylt und in Zirndorf. Sylt leidet unter Einheimischenschwund. Der Grund: Die unaufhörlich steigenden Immobilienpreise machen das Wohnen für Normalverbraucher unbezahlbar. Ein Quadratmeter Grund zum Beispiel in Kampen wird mit mindestens 35 000 Euro gehandelt. Also wandern viele Sylter aufs Festland ab. Von insgesamt 27 126 Einwohnern auf Sylt sind knapp 8000 Saison-Bewohner. Weniger Dauerbewohner bedeutet eine schrumpfende Infrastruktur: Die Geburtsstation musste bereits schließen, innerhalb der letzten zehn Jahre schlossen drei von sechs Grundschulen. Den Steuersatz für Zweitwohnsitze, der bei 14 Prozent liegt, möchte Pauli als Bürgermeisterin auf 20 Prozent anheben. Und sie will, „dass die Abwanderung von der Insel gestoppt wird und sich mehr berufliche Perspektiven für junge Menschen auftun". Text: vero