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HIRSCHAID: Grüne euphorisch wie nie zuvor

HIRSCHAID

Grüne euphorisch wie nie zuvor

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    Die Grünen zählen Tage und Stunden bis zum erhofften Ende der absoluten CSU-Mehrheit in Bayern. Im Bild Spitzenkandidatin Katharina Schulze beim Landesparteitag in Hirschaid
    Die Grünen zählen Tage und Stunden bis zum erhofften Ende der absoluten CSU-Mehrheit in Bayern. Im Bild Spitzenkandidatin Katharina Schulze beim Landesparteitag in Hirschaid Foto: Foto: Michael Czygan

    Der Countdown im Foyer der Tagungshalle in Hirschaid (Lkr. Bamberg) läuft. Samstagnachmittag zeigt die Uhr 162 Tage, zwei Stunden, fünf Minuten und eine Sekunde. Bis zum 14. Oktober, 18 Uhr, soll sie abgelaufen sein. Und mit ihr die Alleinherrschaft der CSU in Bayern. So stellen sich die Grünen das jedenfalls vor. Die 14 Prozent, die die Umfrage des Bayerischen Rundfunks dieser Tage ergeben hat, und erst recht die Tatsache, dass man damit auf Platz zwei vor der SPD liegt, sorgen für geradezu euphorische Stimmung unter den 350 Delegierten beim Programmparteitag. Selten hat man die Grünen so entspannt, so einig erlebt. „Uns geht es richtig gut“, sagt Karl Breitenbücher, dritter Bürgermeister in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) und auch schon seit über 20 Jahren bei den Delegiertentreffen dabei. 9750 Mitglieder haben die bayerischen Grünen aktuell – so viele wie nie zuvor.

    Verkörpert wird die grüne Zuversicht von den beiden Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. „Nie waren wir besser aufgestellt“, sagen viele Delegierte über das Duo. Bemerkenswert in einer Partei, die mit ihrem Spitzenpersonal in der Vergangenheit regelmäßig gefremdelt hat. Schulze könnte jede Fernsehshow moderieren, sie sorgt für das große Gemeinschaftsgefühl in Hirschaid. „Ich freue mich, dass ihr da seid und ich freue mich, dass wir zusammen Wahlkampf machen dürfen.“ So streichelt frau die Delegierten-Seelen.

    Tränen der Rührung

    Am Sonntagmorgen überkommen die 32-Jährige dann auch noch Tränen der Rührung, als es den längsten Beifall ausgerechnet für den europapolitischen Teil ihrer Rede gibt, für ihr Bekenntnis zu offenen Grenzen in der EU. „Wir werden unser Europa nicht von konservativen, reaktionären CSU'lern kaputt machen lassen.“ Schulze kann auch ernst. Wenn es um die Benachteiligung von Frauen geht, wenn es gegen das neue von der CSU geplante Polizeiaufgabengesetz („ein Anschlag auf die Freiheit“) geht, dann wird die Innenpolitikerin zur knallharten Gegenspielerin von Markus Söder. Dass die Grünen gleichwohl gerne mit dem Ministerpräsidenten ab Herbst in einer Koalition reagieren wollen, ist für Schulze kein Widerspruch. Immer nur außen am Spielfeldrand zu stehen und zu meckern, sei zu wenig, wenn man das Land „zum Guten“ verändern möchte.

    Ludwig Hartmann, der zweite Spitzenkandidat, kommt nicht ganz so strahlend daher, die grünen Socken unter dem Anzug sieht man nur, wenn man ganz genau hinschaut. Gleichwohl hat auch der 39-Jährige  rhetorisch zugelegt. Mit Witzeleien über die Vollkornnudeln, die er als Kind von Ökoeltern essen musste („die haben beschissen geschmeckt“) gelingt es auch ihm, bei den Delegierten nicht nur als trockener Politprofi rüberzukommen. Seine Themen sind grüne DNA, er fordert den „dritten Nationalpark statt der dritten Startbahn“, er ist das Gesicht des Volksbegehrens „Betonflut eindämmen“, das der CSU im Wahlkampf noch einiges an Debatte über den Umgang mit den Lebensgrundlagen bescheren könnte. Auch Hartmann thematisiert mögliche Koalitionen. Warum er sich mit Söder ins Bett legen wolle, sei er gefragt worden. Auf diese Erfahrung könne er verzichten, sagt er lächelnd, aber falls die Möglichkeit bestehe, grüne Ideen tatsächlich in einer Regierung umzusetzen, müsse man miteinander reden.

    Szenario für den Fall der Fälle

    Und weil die Grünen da nichts dem Zufall überlassen wollen, beschließt der Parteitag am Sonntag gleich mal ein Szenario, wie es nach dem 14. Oktober weitergehen könnte. Falls der Fall der Fälle eintritt...

    Anders als im Bund muss der Regierungschef in Bayern spätestens vier Wochen nach dem Urnengang vom Landtag gewählt werden. Keine Zeit also für schriftliche Urabstimmungen nach Sondierungs- und Koalitionsgesprächen. Stattdessen hatte der Parteivorstand vor der endgültigen Zustimmung zu einer Koalition einen Online-Mitgliederentscheid erwogen. Der Mehrheit in Hirschaid ist das dann doch zu heiß. Russische Hacker könnten das Ergebnis manipulieren, glaubt gar ein Delegierter. Nun soll es ein Sonderparteitag am 10. November in Rosenheim richten.

    Aktuell schaut es ja eher so aus, als würden die Grünen zu stark werden, um von der CSU als Koalitionspartner gefragt zu werden. Ist nicht ein Bündnis CSU/Freie Wähler oder CSU/FDP wahrscheinlicher? Droht den Grünen da ein Scheitern am eigenen Erfolg? „Quatsch“, sagt Patrick Friedl. Der Würzburger ist Spitzenkandidat in Unterfranken. „Die anderen werden immer billiger zu haben sein“, ist er sicher. Die Frage aber sei, was gut für Bayern ist, so der Klimaexperte selbstbewusst. Und da setze sich weit über traditionell grüne Milieus hinweg die Einsicht durch, dass es dringend einer anderen, ökologischer Energie-, Landwirtschafts- und Verkehrspolitik bedürfe.

    Themen, die denn auch im Mittelpunkt des Programms stehen, das die Delegierten am Wochenende beraten. 440 Änderungsanträge hat die Basis formuliert, die meisten eher redaktioneller Natur. Spannend wird's, als es am Samstag um ein kostenloses ÖPNV-Ticket für alle bayerischen Schüler, Azubis und Studenten geht. Ein Vorschlag der Programm-Kommission, der der Landtagsfraktion zu weit geht. Sie will das Schülerticket für 365 Euro im Jahr anbieten – und die Einnahmen in den ÖPNV-Ausbau in der Fläche investieren. Man dürfe Kostenfreiheit nicht gegen den Ausbau ausspielen, warnt Eva Lettenbauer, Landesprecherin der Grünen Jugend aus dem schwäbischen Neuburg (Lkr. Donau-Ries). Und gewinnt die Abstimmung.

    74 Änderungsanträge eingereicht

    Jens Backert hat allein 74 Änderungsanträge eingereicht. Meistens geht es dem Lichtenfelser um Sprache, die Übernahme vieler seiner Verbesserungsvorschläge ist nur Formsache. Ab und an muss der 39-Jährige aus Lichtenfels aber schon ans Mikrofon – und seine Einwände begründen. „Wir dramatisieren manchmal zu stark“, sagt er im Gespräch. Statt über schmelzende Pole und sterbende Insekten zu schreiben, sollten wir lieber in den Mittelpunkt stellen, „was wir konkret dagegen tun möchten“.

    Der grüne Realismus hat längst auch die Basis erreicht. Und der Countdown zur Landtagswahl läuft weiter. Sonntagabend sind es nur noch 161 Tage.

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