Wenn alles mit allem vernetzt ist, Ihr Toaster mit Ihnen spricht und es keine Medien mehr gibt, weil alles und jeder ein Medium ist, dann könnten wir das Jahr 2050 schreiben. So jedenfalls sieht ein Szenario des Zukunftsforschers und Medienwissenschaftlers Bernd Flessner aus, das er bei den Münchner Medientagen vorstellte. Und weil Flessner nicht nur forscht, sondern auch Romane und Kinderbücher schreibt, kamen seine Szenarien sehr anschaulich daher. Doch es ging nicht nur um sprechende Toaster, intelligente T-Shirts und selbstfahrende, vernetzte Autos. Flessner sieht die bürgerliche Privatsphäre ersetzt durch eine „Observo-sphäre“. Das heißt: Egal, was wir tun, wir erzeugen dabei Daten, die gesammelt und ausgewertet werden. Und plötzlich sind wir mittendrin in der Gegenwart.
Algorithmen, Bots und künstliche Intelligenz dominieren schon heute das Internet. Sie wissen, was uns interessiert, wo wir gerne Urlaub machen, was wir im Internet kaufen, bei welchen Themen wir genauer hinsehen. Sie helfen bei der Auswahl der Nachrichten und beginnen, selbst Nachrichten zu schreiben.
Ersetzen Computer also den Journalisten? Im Szenarium von Flessner sind im Jahr 2050 Journalisten ungefähr so modern und zeitgemäß wie heute Schuster oder Schneider. Professor Andreas Graefe, der in den USA Roboter für Journalisten entwickelt und an künstlicher Intelligenz forscht, sieht es deutlich skeptischer: Roboter könnten uns sagen, was passiert ist – aber niemals, warum. Und „Zeit Online“-Chefredakteur Jochen Wegner fügt hinzu: „Es gibt Berufe, da wünsche ich mir auch 2050 noch einen Menschen als Ansprechpartner.“ Neben dem Arzt und Psychologen zählt er Journalisten dazu, wobei Technik in ihren Berufen dennoch eine immer dominierendere Rolle spiele.
Dafür müssten die Journalisten aber auch zu den Menschen gehen. „Haltet den Mund und hört den Menschen zu, sage ich zu meinen Journalismus-Schülern immer“, so der US-amerikanische Medienforscher Jeff Jarvis. Die Medien hätten den Zugang zu den Menschen verloren, sie interessierten sich zu wenig für das, was die Menschen wirklich bewegt, beklagt er. Nur so habe in den USA Donald Trump groß werden können, der US-Präsidentschaftskandidat der Republikaner. Der „wütende weiße Mann“ sei von den Medien nicht verstanden worden, seine sozialen Probleme, seine Angst vor Jobverlust. Stattdessen beschäftigten sie sich mit den Affären und Affärchen der Spitzenpolitiker.
Dabei gehe es um weit mehr als Politik. Inhalte seien im Guttenberg-Zeitalter zentral wichtig für die Medien gewesen, heute seien zunehmend Dienstleistungen relevant. „Wir müssen die Leute in ihrer Lebenswirklichkeit und ihrer Gemeinschaft abholen“, sagt Jarvis. Und die könne von Krankheiten, von einer Diät oder von vollen Windeln geprägt sein.
Mobile, personalisierte Angebote sieht auch der Vorsitzende des Verbands Bayerischer Zeitungsverleger und Geschäftsführer des Augsburger Pressedruck und Verlag, Andreas Scherer, als die große Herausforderung für seine Branche. Aber um die Menschen besser zu verstehen, um sie kennenzulernen, brauchen Medien die Daten ihrer Nutzer. Das Wort „Datenschutz“ sprach Jarvis in seinem englisch gehaltenen Vortrag stets deutsch aus. Es hat auch international Verbreitung gefunden.
Alle Innovationen für intelligente personalisierte mediale Kommunikation kommen aus den USA, kritisiert Mustafa Isik, der beim Bayerischen Rundfunk digitale Plattformen entwickelt. In Deutschland werde alles „viel zu groß“ gemacht, findet er – sowohl die Hoffnungen in neue Technologien als auch die Furcht davor. Und das wirke sich letztlich lähmend aus.
Müssen wir uns vor der zunehmenden Digitalisierung immer weiterer Lebensbereiche also gar nicht fürchten? „Zeit Online“-Chef Jochen Wegner entführt auf den Medientagen noch in eine ganz andere Zeitreise. Stellen Sie sich vor, ein Mann, der vor 200 Jahren gelebt hat, würde in die heutige Zeit gebracht und würde sich – getrennt durch einen Vorhang – mit einem Gesprächspartner unterhalten, der währenddessen die Antworten auf seine Fragen auf einem IPad googelt. Der Mann käme aus dem Staunen gar nicht heraus, wie intelligent und wissend die Menschen heute sind. Wir sind längst „prothetische Götter“, sagt Wegner: Smartphones und Tablets sind unsere geistigen Prothesen.
Bleibt noch die Frage, wie gute und personalisierte Medien an all die Informationen kommen, die ihre Adressaten im Netz zwangsläufig hinterlassen. „Kooperieren Sie mit Google“, sagt Jeff Jarvis da mantrahaft. Und er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Tauschen Sie Ihre Abonnenten-Listen gegen die Nutzungsgewohnheiten Ihrer Abonnenten, und Sie gewinnen beide.“ Doch da, Herr Jarvis, ist hierzulande Schluss mit „schöner neuer Welt“ – da ist der Datenschutz vor. Foto: Ole Spata, dpa
400 Referenten und mehr als 6000 Besucher waren bei den Münchner Medientagen von Dienstag bis Donnerstag. Gastgeber der 30. Auflage des Branchentreffens der Medienexperten war Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Das übergreifende Motto lautete „Mobile & Me. Wie das Ich die Medien steuert“.