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UNTERFRANKEN: Hunderte gehen für Europa auf die Straße

UNTERFRANKEN

Hunderte gehen für Europa auf die Straße

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    In Aschaffenburg kamen am vergangenen Sonntag erstmals Europafreunde zu einer Kundgebung zusammen.
    In Aschaffenburg kamen am vergangenen Sonntag erstmals Europafreunde zu einer Kundgebung zusammen. Foto: Foto: Stefan Gregor

    Europa. Viele denken dabei an Glühbirnenverbot, Bananenkrümmungsregulierung und überbezahlte Abgeordnete, die nichts anderes tun, als ein gigantisches Bürokratiemonster am Laufen zu halten. Das Image der Europäischen Union ist in der Bevölkerung seit Jahren schlecht. Und seitdem populistische Parteien Zulauf bekommen, die Schwächen der Staatengemeinschaft im Angesicht der Flüchtlingskrise offenkundig wurden und die Briten ihr Ausscheiden aus der EU beschlossen haben, scheint das europäische Projekt mehr denn je infrage gestellt. Doch der Patient Europa ist nicht tot – noch schlägt das Herz. Deutlich sichtbar wird das derzeit jeden Sonntag. Auch in der Region.

    Rund 700 Menschen versammelten sich am vergangenen Sonntag auf dem Theaterplatz in Aschaffenburg. Über ihren Köpfen wehten blaue Europafahnen. Es war die erste „Pulse of Europe“-Kundgebung in Unterfranken. Die Veranstalter um den Aschaffenburger Bildhauer Helmut Hirte hatten ursprünglich mit zwei Dutzend teilnehmenden Europafreunden gerechnet. „Dass so viele kamen, war gigantisch“, sagt Hirte. „Das hätte ich nie gedacht.“

    „Auch ich habe vieles an Europa auszusetzen, aber die Grundidee ist hervorragend.“

    Theodor Berchem, ehemaliger Präsident der Uni Würzburg

    Die Bewegung „Pulse of Europe“ kommt aus dem gut 50 Kilometer entfernten Frankfurt. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und der Brexit leisteten Ende 2016 Geburtshilfe: Aus Angst, dass Europa auseinanderfallen könnte und Populisten die Deutungshoheit gewinnen, hatte ein Anwaltsehepaar beschlossen, nicht tatenlos zuzusehen.

    „Wir sind überzeugt“, heißt es auf der Internetseite der Initiatoren, „dass die Mehrzahl der Menschen an die Grundidee der Europäischen Union“ glaubt. Leider seien aber in der Öffentlichkeit „vor allem die destruktiven und zerstörerischen Stimmen zu hören“. Ihre Forderung: „Lasst uns lauter und sichtbarer werden“, um „den aktuellen Tendenzen“ entgegenzuwirken.

    Zu einer ersten Kundgebung am zweiten Advent kamen in Frankfurt rund 200 Menschen. Seitdem wächst die Bewegung – und expandiert. Inzwischen finden in über 90 Städten in zwölf europäischen Staaten „Pulse of Europe“-Veranstaltungen statt. Immer sonntags, immer um 14 Uhr.

    „Wir breiten uns aus wie ein Schwarm, das nennt man wohl Schwarmintelligenz“, sagt der Aschaffenburger Organisator Hirte. Anfang März hatte er Kontakt zu den Initiatoren aus Frankfurt aufgenommen. Drei Wochen später war Aschaffenburg offizielle „Pulse of Europe“-Stadt.

    Hirtes Organisationsteam besteht aus neun Personen. „Wir brauchen auch so viele“, sagt er. Anspruch sei es schließlich, die Leute durch interessante und kreative Aktionen mitzunehmen. Am vergangenen Sonntag formten die Teilnehmer in Aschaffenburg etwa zwölf Europasterne aus gelben Holzstreben.

    „Pulse of Europe“ ist keine unkritische Pro-EU-Bewegung. In zehn Punkten haben die Initiatoren ihr Credo zusammengefasst. Neben Punkten wie „Europa darf nicht scheitern“ oder „Die europäischen Grundfreiheiten sind nicht verhandelbar“ finden sich darin etwa auch die Aussagen „Reformen sind notwendig“ und „Misstrauen ernst nehmen“.

    „Wir sagen ja zu Europa, aber die EU muss auf die Bürger hören. Denn es gibt Unzufriedenheit mit der EU“, sagt Hirte. Nicht wenige Bürger fühlten sich hilflos, weil Europa eben manchmal ganz weit weg sei. „Vieles wird nicht verstanden, auch weil vieles falsch kommuniziert wird“, so Hirte weiter. Auch Medien tragen aus seiner Sicht hier eine Mitschuld: „Negatives – Gurkenverordnungen oder Geheimverhandlungen rund um TTIP – steht in der Berichterstattung im Vordergrund.“ Daraus resultiere eine Abwehrhaltung in der Bevölkerung. Wichtig sei es nun, noch mehr junge Leute für die Bewegung zu gewinnen, sagt der 68-Jährige. „Es geht schließlich um deren Zukunft.“

    Ähnlich sieht das der ehemalige Präsident der Universität Würzburg Theodor Berchem. Unabhängig von „Pulse of Europe“ hatte der 81-Jährige Mitte März gemeinsam mit 17 weiteren Akademikern und Hochschulvertretern aus ganz Deutschland in der „Zeit“ eine halbseitige Anzeige geschaltet. Darin fordern sie Studierende und Auszubildende auf, sich für „das Projekt eines in seiner Vielfalt geeinten Kontinents“ stark zu machen. „Lasst Euch nicht einschüchtern durch das Ausmaß an Zynismus und Lüge, mit denen ein offenes, friedliches und demokratisches Europa verhöhnt und bekämpft wird“, schreiben die Unterzeichner.

    „Auch ich habe vieles an Europa auszusetzen“, räumt Berchem im Gespräch mit der Redaktion ein. „Aber die Grundidee ist hervorragend. Europa ist mehr als Bananenkrümmung und Glühbirnenverbot.“ Man solle nur einmal darüber nachdenken, „warum wir seit über 70 Jahren in Frieden leben“. „Wir Älteren“, so Berchem weiter, „haben unseren Beitrag für Europa geleistet. Jetzt muss die Fackel an die Jugend übergeben werden.“

    Dass nun in so vielen Städten Menschen für Europa auf die Straße gehen, habe ihn überrascht. Auch in Aschaffenburg werden sich am Sonntag um 14 Uhr wieder Pro-Europäer treffen. Der Theaterplatz ist laut Helmut Hirte jede Woche bis zu den Bundestagswahlen im September reserviert.

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