Wenn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stimmen, gibt es einen fränkischen Inzestfall mit Assoziationen zum österreichischen „Fall Fritzl“: 34 Jahre lang soll ein Vater seine Tochter von der Außenwelt abgeschirmt, immer wieder vergewaltigt und dabei drei Söhne mit ihr gezeugt haben. Ein System aus Angst, Kontrolle und Abhängigkeit scheint verhindert zu haben, dass die heute 46-Jährige aus ihrem Martyrium ausbrach.
Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft war das Opfer zwölf oder 13 Jahre alt, als sein Vater es zum ersten Mal mit Schlägen zum Geschlechtsverkehr zwang. Es war der Auftakt zu einem jahrzehntelangen Leidensweg: Seitdem vergewaltigte der heute 69-Jährige seine Tochter den Ermittlungen zufolge mehrmals in der Woche – mal im Schlafzimmer, mal in ihrem Kinderzimmer. Nachdem die junge Frau den Führerschein gemacht hatte, musste sie ihren Vater laut Anklage zudem regelmäßig zu einsamen Stellen im Wald fahren, wo er sie auf der Rückbank des Pkw missbrauchte.
Als Erwachsene wurde sie schwanger, gebar im Laufe der Zeit drei Söhne. „Alle drei Kinder sind beziehungsweise waren behindert“, sagt Antje Gabriels-Gorsolke von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Zwei der Jungen starben schon im Kindesalter, dennoch scheint aufgrund von genetischen Tests klar: Der Vater der Kinder ist zugleich ihr Großvater. „Eines lebt noch, bei einem war noch genetisches Material vorhanden“, erklärt die Oberstaatsanwältin. Nach zwei positiven Tests habe man auf die Exhumierung des dritten Kindes verzichtet.
Doch warum suchte das Opfer keine Hilfe? Warum lebte die Frau bis zuletzt im Hause ihrer Eltern im nördlichen Mittelfranken? Schließlich sperrte ihr Vater sie nicht ein wie der Österreicher Josef Fritzl seine Tochter, um den jahrzehntelangen Missbrauch zu ermöglichen. „Das ist sehr schwer nachvollziehbar, aber der Vater soll sehr autoritär gewesen sein und die Frau ständig beim Einkaufen und Autofahren begleitet und soziale Kontakte unterbunden haben“, versucht Gabriels-Gorsolke eine Erklärung für das Stillhalten.
Ein Glücksfall scheint daher im Rückblick eine gerichtliche Verurteilung der Frau zu sein. Weil sie versucht hatte, die Ehefrau eines Arztes zu erpressen, den sie für die Behinderung eines ihrer Söhne verantwortlich machte, bekam sie eine Bewährungsstrafe – und eine Bewährungshelferin. „Die halten regelmäßig Kontakt zu ihren Probanden“, erklärt Gabriels-Gorsolke. Dadurch fasste das Opfer Vertrauen in die Frau und offenbarte sich.
Seit März sitzt der 69-jährige Vater in Untersuchungshaft. „Der Mutter lag auch zur Last, dass sie einige Vorfälle mitbekommen hat“, ergänzt Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke. Allerdings seien diese Straftaten bereits verjährt. Die Anklage richtet sich deshalb nur gegen den Vater – unter anderem werden ihm rund 500 Vergewaltigungen allein in den vergangenen 20 Jahren zur Last gelegt. Den Sex mit seiner Tochter gibt der Rentner zu, doch beharrt er auf „stets einvernehmlichen“ Kontakten.
Juristisch wiegt der Vorwurf der Vergewaltigung schwerer als der des Inzests: Bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe gibt es für Beischlaf zwischen Verwandten, schwere Vergewaltigung hingegen wird mit zwei bis 15 Jahren Gefängnis geahndet. Gabriels-Gorsolke rechnet damit, dass das Nürnberger Landgericht die Hauptverhandlung „relativ zeitnah“ zulassen wird. Im Prozess wird auch die Frage gestellt werden, ob wirklich niemand etwas mitbekommen hat. Den Namen der Heimatgemeinde der Familie will die Staatsanwaltschaft bis dahin jedenfalls nicht nennen.
Väter als Täter
März 2011: Ein 48-jähriger Rheinland-Pfälzer muss vierzehneinhalb Jahre hinter Gitter, weil er seine heute 18-jährige Tochter und seine 28 Jahre alte Adoptivtochter jahrelang missbraucht hatte. Mit der Stieftochter soll er acht Kinder gezeugt haben. November 2010: In Argentinien wird ein 62-Jähriger verhaftet, der seine Tochter 30 Jahre lang vergewaltigt und mit ihr neun Kinder gezeugt haben soll. Die Frau ging erst zur Polizei, als der Vater wegen Viehdiebstahls verhaftet worden war. Juni 2010: In Brasilien missbraucht ein Vater über 16 Jahre seine Tochter und zeugt mit ihr sieben Kinder. Mithäftlinge töten ihn im Gefängnis. Februar 2010: Ein Australier hat seine Tochter 30 Jahre eingesperrt, missbraucht und mit ihr vier Kinder gezeugt. Der Mann aus Melbourne wird zu 18 Jahren Haft verurteilt. März 2009: Der Inzesttäter von Amstetten in Österreich, Josef Fritzl, muss lebenslang hinter Gitter. Er hatte seine Tochter jahrelang in einem Keller gefangen gehalten und tausendfach vergewaltigt. Sie gebar sieben Kinder, sechs überlebten. DPA