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MÜNCHEN/WÜRZBURG: Lehrer auf der Warteliste

MÜNCHEN/WÜRZBURG

Lehrer auf der Warteliste

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    Mit einem Flashmob mitten in Münchens Inntenstadt machten junge Lehrer am Samstag auf ihre Situation auferksam. Dabei stellten sie sich hinter einer roten Linie auf, die den Einstellungsstopp symbolisieren sollte, und zertraten bunte Kreide.
    Mit einem Flashmob mitten in Münchens Inntenstadt machten junge Lehrer am Samstag auf ihre Situation auferksam. Dabei stellten sie sich hinter einer roten Linie auf, die den Einstellungsstopp symbolisieren sollte, und zertraten bunte Kreide. Foto: Schick

    Im ersten Moment klingt es ganz gut, was der CSU-Landtagsabgeordnete Manfred Ländner da vor einigen Tagen via Pressemitteilung bekanntgab. „Über 3800 Lehrkräfte für die staatlichen Schulen in allen Schularten im kommenden Schuljahr können neu angestellt werden“, so der Politiker aus Würzburg, „die allermeisten davon in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen – und zwar meist als Beamte.“ Eine Zahl, die das Schreiben nicht nennt: Rund 5200 Lehrer in Bayern stehen dagegen auch im kommenden Schuljahr auf der Straße – ausgebildet vom Freistaat und jetzt nicht gebraucht.

    "Keine vernünftige Personalplanung"

    Besonders prekär ist in diesem Jahr die Lage für Gymnasial- und Realschullehrer: Hier lag die Einstellungsquote bei unter 20 bzw. zehn Prozent. Im Kultusministerium geht man dennoch davon aus, „dass eine ausreichende Unterrichtsversorgung an den Schulen in Bayern“ damit sichergestellt sei. Und zwar auch vor dem Hintergrund der ambitionierten Ziele, die sich die Staatsregierung für die laufende Legislaturperiode gesteckt hat: Ausbau des Ganztagsangebots, Umsetzung der Inklusion, individuelle Förderung.

    Die Oppositionsparteien im Landtag sehen das anders. Unisono werfen sie dem Kultusministerium vor, „keine vernünftige Personalplanung“ zu betreiben. „Das Ministerium versagt hier seit Jahren“, schimpft der Gemündener Freie-Wähler-Abgeordnete Günther Felbinger. Der schulpolitische Sprecher der Grünen, Thomas Gehring, nennt die Stellenvergabe ein „alljährliches Lotteriespiel“. Und der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag, Martin Güll (SPD), sieht die Schuld an der Situation „einzig und allein“ bei der Staatsregierung, „die immer noch nicht verstanden hat, dass wir jede Lehrkraft gut gebrauchen können“.  

     "Das Kultusministerium muss aufwachen": Ein Kommentar von Redaktionsmitglied Benjamin Stahl.

    Aus Sicht des Freistaats nicht gebraucht wird im kommenden Schuljahr Katja R.* Die 28-Jährige beendet gerade ihr Referendariat, war zuletzt an einem Gymnasium in der Region als Lehrerin für Deutsch und Geografie eingesetzt. Aussicht auf eine Planstelle hat sie trotz Einser-Abschlusses nicht. „Deswegen habe ich etwa 60 Bewerbungen an staatliche Schulen geschickt. Ergebnis: keine Chance, auch in den kommenden Jahren nicht.“ Wenn nichts mehr passiert, landet sie auf der Warteliste (siehe Infobox) und lebt ab Oktober von Hartz IV.

    Dabei sei Bedarf vorhandenen: Katja R. erzählt, sie selbst habe an ihrer Seminarschule eine Dauervertretung für einen Kollegen in Elternzeit übernommen. Und: „In meiner letzten Schule wurden im Laufe des Schuljahres Stellen wegen Mutterschutz und Pensionierungen frei.“ Neueinstellungen habe es allerdings keine gegeben. „Zum Halbjahr kamen sieben neue Referendare, die dann die Vertretungen übernommen haben.“

    „Referendare sind einfach billige Arbeitskräfte.“

    Dass Referendare regelmäßig und dauerhaft Lücken stopfen, bestätigten in Gesprächen mit der Redaktion zahlreiche Betroffene. Dabei ist das ein heikles Thema, denn wie das Kultusministerium selbst erklärt, sollen Referendare – egal in welcher Schulart – nur in Ausnahmefällen zu Vertretungsstunden herangezogen werden; Zusatzstunden würden dann gesondert vergütet.

    Dennoch gewinnt man in München den von Referendaren gehaltenen Vertretungsstunden auch etwas Positives ab: „Die Übernahme von Vertretungsstunden“ gehöre zur „Berufswirklichkeit“, auf die die Ausbildung vorbereiten solle. Wie viele Stundenausfälle dabei tatsächlich von Referendaren kompensiert werden, weiß das Ministerium allerdings nicht: Zwar gibt man sich auf Anfrage dieser Zeitung sicher, dass es sich um Ausnahmen handle, räumt aber gleichzeitig ein, dass hierzu „keine gesonderte Erhebung von Daten“ erfolge.

    „Referendare sind einfach billige Arbeitskräfte“, glaubt Felbinger. Gleiches gelte für angestellte Lehrer ohne Planstelle. Denn Lehrer mit Planstelle verdienen mehr: „Der Einkommensunterschied liegt je nach Schulart und Einstufung im mittleren dreistelligen Bereich netto“, schätzt Florian Fink, Zweiter Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Junglehrer beim BLLV. Die Differenz resultiert aus der für Lehrer mit Planstelle geltenden Beamtenbesoldung und der tariflichen Arbeitnehmervergütung für ihre Kollegen.

    „Die tarifliche Vergütung ist – im Gegensatz zur Beamtenbesoldung – keine rein landesrechtliche Angelegenheit“, betont das Ministerium. Der Freistaat sei hier an Vereinbarungen der Länder gebunden. Ein schwacher Trost für Lehrer, die für dieselbe Arbeit weniger als ihre Kollegen verdienen. Denn hinzu kommt mitunter noch eine gute Portion Ungewissheit.

    Immer mehr befristete Anstellungen

    Franziska B. ist seit November 2013 an einer unterfränkischen Realschule angestellt, befristet bis Schuljahresende. „Mit befristeten Verträgen kann man keine Zukunft oder Familie planen. Nach den Umzügen während des Referendariats und der unsicheren Situation danach ist man irgendwann leer“, sagt die 27-Jährige.

    Im Schuljahr 2012/13 waren laut Kultusministerium an Grund-, Mittel-, Haupt- und Realschulen sowie an Gymnasien insgesamt 1740 Lehrer befristet angestellt. Tendenz in den letzten Jahren: steigend. Vor allem im Grund-, Mittel- und Hauptschulbereich. Dort verdoppelte sich die Anzahl von 404 im Jahr 2010 auf 818 im Jahr 2012.

    Franziska B. hatte Glück. Sie kann ab September für ein weiteres Schuljahr an ihrer Schule unterrichten. Doch auch der Freistaat Bayern darf sich freuen: Denn erstens spart er während der Sommerferien Franziskas Gehalt – schließlich endet ihr alter Vertrag Ende Juli und ihr neuer beginnt erst im September – und zweitens zählt sie – obwohl sie schon im ausgehenden Schuljahr an derselben Schule unterrichtete – zu den schon erwähnten 3800 Neueingestellten. Wie hoch der Anteil solcher Fälle in der aktuellen Statistik ist, verrät das Ministerium nicht. Auf eine entsprechende Frage der Redaktion heißt es lediglich: „Die überwiegende Mehrheit der Neueinstellungen erfolgt unbefristet, in der Regel im Beamtenverhältnis.“

    Sehen Betroffene, Lehrerverbände und Oppositionsparteien also nur das Schlechte und ignorieren die positiven Aspekte? „Nein“, findet Lisa Fuchs, Vorsitzende der Referendar- und Jungphilologenvertretung im Bayerischen Philologenverband. „Der Ärger ist verständlich, weil die Situation in vielen Fällen aussichtslos ist.“

    „Die langfristigen Bedarfsprognosen sind immer falsch.“

    Schuld daran sei auch die Lehrerbedarfsprognose des Kultusministeriums. Die jährlich herausgegebene Studie soll Abiturienten, die sich für den Lehrerberuf interessieren, zeigen, wie viele Lehrer künftig gebraucht werden. Aber: „Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr“, sagt Fuchs. „Die langfristigen Bedarfsprognosen sind immer falsch“, glaubt auch Gehring. „Daher gehen viele mit falschen Erwartungen in ihr Studium.“

    Auf Anfrage dieser Zeitung erklärt das Ministerium, man sei per Landtagsbeschluss im Februar zu einer Evaluierung der Lehrerbedarfsprognosen aufgefordert worden; derzeit arbeite man noch an dem Bericht. Beim Bayerischen Philologenverband war man schneller: „Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass man 2010 noch von einem Bedarf von 820 Neueinstellungen am Gymnasium im Jahr 2015 ausging“, erklärt Fuchs. In der aktuellen Prognose geht man nur noch von 600 Stellen aus.

    Zudem waren die Bedarfsstudien laut Fuchs zumindest noch vor einigen Jahren sehr vage gehalten, „weil nur der Gesamtbedarf abgebildet wurde, nicht aber konkrete Fächerkombinationen“. Die 26-jährige Veronica K. war zu Beginn ihres Studiums optimistisch, dass sie mit ihrer Fächerkombination Mathematik/Chemie eine Planstelle an einer Realschule bekommt. „Naturwissenschaften galten immer als aussichtsreich.“

    Im neuen Schuljahr ist Veronica K. nun an einer fränkischen Privatschule angestellt. An staatlichen Schulen sei der Bedarf inzwischen gedeckt, glaubt sie. „Dabei müsste es gerade in Fächern wie Chemie kleinere Klassen geben: Bei einer Klassenstärke von über 30 Schülern kann ich schon aus Sicherheitsgründen die Schüler keine Versuche selbst machen lassen.“

    Bewerbung in anderen Bundesländern

    Kein Wunder, dass die Betroffenen frustriert sind. Manche sogar verzweifelt. Wer dann auf Mitgefühl des Dienstherren aus München hofft, scheint enttäuscht zu werden. „Ich habe noch nicht ein Wort des Bedauerns von Spaenle gehört“, ärgert sich SPD-Mann Güll.

    Die Erzählungen von Betroffenen zeichnen bisweilen gar einen zynischen Umgang von Ministeriumsmitarbeitern mit den jungen Lehrern. „Während einer Infoveranstaltung des Ministeriums wurde ich von dem Mitarbeiter ausgelacht, als ich nach meinen Chancen auf eine Planstelle gefragt habe“, erzählt etwa eine 30-jährige Realschullehrerin aus Mittelfranken. In größerer Runde habe der Mann den Anwesenden geraten: „Ihr hättet euch eben vor dem Studium überlegen sollen, was ihr da macht.“

    Nicht zynisch, sondern eher gut gemeint ist der Hinweis aus München, dass sich die in Bayern ausgebildeten Lehrer ohne Stelle auch in anderen Bundesländern bewerben sollten. Doch selbst das ist nicht so einfach. „Ich hatte alleine aus Nordrhein-Westfalen sieben Zusagen für eine Planstelle“, erzählt der 28-jährige Realschullehrer Maximilian J., „konnte sie aber nicht annehmen.“

    Der Grund: „Ich hätte mein Zeugnis am 16. Juni vorlegen müssen. Das habe ich beim Ministerium angefragt.“ Obwohl die Noten seit Anfang Mai festgestanden hätten, wurde ihm seine Gesamtnote erst zum 1. Juli mitgeteilt. Das Kultusministerium argumentiert, dass in diesem Zusammenhang bestimmte Fristen „rechtlich so vorgeschrieben“ seien.

    Güll greift unterdessen zu einem für einen Politiker recht unorthodoxen Mittel: Per Pressemitteilung und Facebook hat er arbeitslose Lehrer dazu aufgefordert, ihm ihre Lage in einer E-Mail zu schildern. „Ich werde mich bei unserem Kultusminister für Sie einsetzen“, verspricht er. Im Gespräch mit dieser Zeitung erzählt er, dass er schon bis zum Wochenende über 100 Nachrichten bekommen hat. Auf ihn kommt sicher noch viel Arbeit zu . . .

    * Alle Namen der erwähnten Lehrer wurden von der Redaktion geändert, da sie Konsequenzen für ihre weitere Laufbahn befürchten, wenn sie sich kritisch in der Öffentlichkeit äußern.

    Die Warteliste

    Jedes Jahr werden 60 Prozent der Planstellen an Bayerns Schulen von Lehrern aus dem aktuellen Prüfungsjahrgang besetzt, also von angehenden Lehrern, die ihr Referendariat gerade beendet haben. Für die Vergabe gilt das Leistungsprinzip, also die Noten aus Erstem und Zweitem Staatsexamen, Lehrproben und Beurteilungen. Die schlechteste Note, mit der man noch eine Planstelle bekommt, ist die sogenannte Einstellungsnote.

    Wer keine Planstelle bekommt, landet auf einer sogenannten Warteliste. Für jede Schulart gibt es eine eigene, für Gymnasium und Realschule auch nach Fächerkombination getrennt. Lehrer auf den Wartelisten besetzen jedes Jahr die übrigen 40 Prozent der Planstellen, auch hier gilt das Leistungsprinzip. Hat man nach fünf Jahren keine Planstelle bekommen, wird man von der Warteliste gestrichen und kann sich dann nur noch als freier Bewerber um eine Planstelle bemühen. Dabei konkurriert man dann mit den Lehrern aus dem jeweils aktuellen Prüfungsjahrgang – ein schwieriges Unterfangen, da Lehrer, die von der Warteliste fallen, nur selten an die Einstellungsnoten herankommen. Die liegt nicht selten im „Einser-Bereich“, was bedeutet, dass auch Lehrer mit „guten“ oder „sehr guten“ Abschlüssen auf der Straße stehen.

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