Mit einer privaten Trauerfeier haben die Eltern der in Krailling bei München ermordeten Mädchen am Freitag Abschied von ihren Kindern genommen. „In stiller Trauer für zwei liebe Engel“, stand auf einem Blumenband von einem der Trauergäste. Chiara (8) und Sharon (11) waren vor einer Woche von einem bislang Unbekannten in ihrem Kinderzimmer ermordet worden. Die Mutter fand die Mädchen, als sie zusammen mit ihrem Freund am frühen Morgen nach Hause kam. Die Polizei sucht unterdessen weiter fieberhaft nach dem Täter. Eine heiße Spur gibt es derzeit noch nicht.
Bei der Trauerfeier im Familien- und Freundeskreis in München waren mehrere Dutzend Gäste anwesend. Sie hielten Andacht vor den bunt bemalten Särgen der beiden Mädchen. Klassenkameraden von Chiara und Sharon durften sie mit Acrylfarben bemalen. Blumen und ein Löwenkopf sind darauf zu sehen sowie Sprüche wie „Keiner wird dich je vergessen“ und „Shroni, wir hoffen, dass es dir, dort wo du jetzt bist, sehr gut geht“. Am Freitag hatten auch die Schulen der beiden Mädchen in Münchner Tageszeitungen Anzeigen geschaltet. „Erschüttert und fassungslos müssen wir erkennen, dass es auf viele Fragen keine Antwort gibt“, heißt es darin.
„So was gab es vorher nie“
Dass eine Mutter oder ein Vater das eigene Kind tötet, ist schrecklich, aber es kommt vor. Viel rätselhafter und äußerst selten sind dagegen Verbrechen wie das von Krailling: Kinder werden im eigenen Elternhaus brutal ermordet – und niemand scheint den Täter zu kennen.
„Das ist so eine spezielle Konstellation, so was gab es vorher fast nie“, sagt Professor Dieter Dölling vom Institut für Kriminologie der Uni Heidelberg über den Doppelmord von Krailling. Auch Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, ist überzeugt: „Eine Tat in dieser Form ist noch nie da gewesen.“ Ein wenig vergleichbar scheint nur der Fall Vanessa aus Gersthofen bei Augsburg: In der Nacht zum Faschingsdienstag 2002 wird sie das zufällige Opfer eines damals 19-Jährigen. Er schleicht sich ins Kinderzimmer und sticht mit einem Küchenmesser mehr als 20-mal auf das Mädchen ein. Die Eltern, die nachts von einem Faschingsball nach Hause kommen, finden ihr Kind blutüberströmt und leblos neben seinem Bett. Erst nach kriminalistischer Feinarbeit findet die Polizei die heiße Spur. Am Tatmesser war DNA des Täters.
Der Mörder von Vanessa kannte sein Opfer nicht. Doch solche Fälle sind äußerst selten. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes werden die meisten Morde innerhalb der Familie begangen. Im Jahr 2009 wurden 365 Menschen Opfer eines solchen Verbrechens – davon 46 Kinder unter 14 Jahren. 137 der Opfer wurden von Verwandten oder Lebenspartnern getötet, 84 von Bekannten.
Racheakt oder Hassdelikt?
Nur in 50 Fällen gab es keine Vorbeziehung zwischen Opfer und Täter. „Es würde mich überraschen, wenn es im Fall Krailling ein Wildfremder war“, sagt Kriminologe Christian Pfeiffer. Er vermutet, dass ein gezielter Racheakt hinter der Tat steckt. „Jemand hatte es genau auf diese beiden Kinder abgesehen. Er wusste, wie er reinkommt, und dass die Mutter nachts arbeitet.“ Vielleicht sei es ein „Hassdelikt“ gewesen, mit dem jemand die Mutter treffen wollte.
Manchmal bleibt das Motiv solcher Taten aber auch für immer im Dunkeln. Im August 2006 bringt ein damals 19-Jähriger die 15-jährige Nadine aus Wetter an der Ruhr in Nordrhein-Westfalen um. Der frühere Mitschüler von Nadines Schwester wusste, dass das Mädchen allein ist, die Eltern auf einer Feier. Tage vorher hatte er dies von Nadine selbst erfahren: Im Internet-Chat horchte er sie unter anonymer Identität aus. Auch im Fall Krailling waren die beiden Mädchen im Internet unterwegs. Vielleicht wusste ihr Mörder daher, dass sie alleine waren.