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MÜNCHEN: Politikerderblecken: Eine bierernste Angelegenheit

MÜNCHEN

Politikerderblecken: Eine bierernste Angelegenheit

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    Bruno Jonas als Bruder Barnabas: Der Kabarettist sprach aus, was sich sonst, Auge in Auge mit dem Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, kaum einer traute.
    Bruno Jonas als Bruder Barnabas: Der Kabarettist sprach aus, was sich sonst, Auge in Auge mit dem Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, kaum einer traute. Foto: Foto: Peter Kneffel, PA

    Mitunter fällt am Nockherberg schon die Begrüßung relativ deftig aus. 1987 zum Beispiel. Originalton Walter Sedlmayr:

    „Sehr verehrte Herren Verbrecher und Verleumder, werte Lügner und Lügnerinnen, liebe müde und kalte Krieger, blutige Stümper, Dilettanten, Gaukler, hochgeschätzte geistige Bürgerkrieger, Brandstifter, Brunnenvergifter, ehrenwerte Erpresser, Klimavergifter und Klassenkämpfer, liebe Handlanger Moskaus, mittelmäßige Spießbürger und reaktionäre Maulhelden, linke Landsknechte und rot-grüne Chaoten, ich begrüße Sie alle auch in Begleitung Ihrer ahnungslosen Engel und nützlichen Idioten.“

    Na ja, gut, damals, so mag man an dieser Stelle einwenden, da gab's noch kein Internet als Bolzplatz für rhetorische Dreschflegler. Da saß am Nockherberg noch Franz Josef Strauß, der wohl wirkmächtigste und kreativste politische Haudrauf Bayerns, höchstselbst als Ministerpräsident und CSU-Chef in der ersten Reihe. Da war die Welt noch in Ordnung: links und rechts, gut und böse, Ost und West, Amis und Russen. Da galt ein Bordellbesuch eines bayerischen Spitzenpolitikers in New York noch als Beweis dafür, dass er schon ein Hund ist, ein verreckter.

    Aber heute? Was ist der Nockherberg heute noch wert, da jeder Depp im Fernsehen Comedy macht, die „heute-Show“ wöchentlich auch noch die billigsten Gags abräumt und die Prunksitzungen selbst der kleinsten Faschingsgesellschaft bundesweit ausgestrahlt werden? Und ist das Politikerderblecken, das uns heute Abend wieder einmal bevorsteht, wirklich ein so bedeutendes Ereignis?

    Von Bräuchen und Mönchen

    Also, nur mal angenommen, wir sollten einem fernen Südseeinsulaner, der sein ganzes Leben nicht mehr gesehen hat als Bora Bora und das Meer drum herum, erklären, was es mit dem Derblecken auf dem Nockherberg auf sich hat – wie würden wir das anstellen? Und geht das überhaupt, wo doch schon mancher Franke und erst recht die Preußen nicht wirklich verstehen, was das Besondere am Nockherberg ist?

    Wir könnten dem Herrn aus Bora Bora sagen: Auch wir haben so eine Art Häuptlinge und die müssen einmal im Jahr alle antreten, sich hinsetzen, den Mund halten und demütig ertragen, dass ihnen in spöttischer, oft hundsgemeiner Weise ihre Schwächen vorgehalten werden. Sie müssen dabei brav lächeln und dürfen sich keinesfalls dabei erwischen lassen, verärgert oder beleidigt zu sein. Im Gegenteil: Sie müssen möglichst geistreich und humorvoll Fastenpredigt und Singspiel loben und dankbar sein, dass sie des Spotts für würdig befunden und nicht ignoriert wurden. Ob ein Südsee-Häuptling das mitmachen würde?

    Dass derlei Erklärungsversuche scheitern müssen, liegt auf der Hand. Was weiß der Herr aus Bora Bora schon vom Abendland und vom allzumenschlichen Christenleben unter weiß-blauem Himmel, von Starkbier und Fastenzeit und von den listigen Mönchen, die den frommen Rausch als gottesfürchtigen Verzicht zelebrierten? Die katholische Raffinesse der Mönche, die ein Fass Starkbier über den Brenner bis nach Rom transportierten, um sich mit dem sauer gewordenen Gesöff beim Papst die Erlaubnis dafür zu holen, mit diesem Trunk den Fleischverzicht zwischen Aschermittwoch und österlicher Auferstehungsfeier erträglicher zu gestalten, ist für einen Fremden nicht ohne Weiteres durchschaubar.

    Von Fastnacht und Fastenpredigt

    Noch verzwickter wird es, wenn man den Unterschied zwischen Starkbieranstich und Fasching, Fastnacht oder Karneval in den Blick nimmt. Der Bayerische Rundfunk erfasst diesen Unterschied in erster Linie quantitativ, anhand der Einschaltquoten. Und der Schmerz in Oberbayern sitzt tief, dass mittlerweile mehr Zuschauer den Franken-Fasching aus Veitshöchheim als den Starkbieranstich vom Nockherberg sehen wollen. Einziger Trost für die altbayerische Seele ist, dass die eigentlichen Stars in Veitshöchheim, die rußigen Brüder von der Altneihauser Feuerwehr, aus der Oberpfalz und somit aus Altbayern stammen.

    Quantitative Vergleiche aber greifen zu kurz. Entscheidend ist der qualitative Unterschied. Der Narr äfft mit Prinz und Prinzessin, Elferrat und Garde die Obrigkeit nach. Er zieht den Herrschenden eine lange Nase, veräppelt ihre Rituale, versteckt sich hinter Maskeraden und befreit sich so für eine kleine Weile aus den Zwängen der Wirklichkeit. Der Fastenprediger Bruder Barnabas aber hält den Herrschenden, also im Wesentlichen der CSU, mit übergeordneter moralischer Autorität nicht nur einen Spiegel vor – so wie der eingangs zitierte Walter Sedlmayr, der in seiner Begrüßungstirade nur Schimpfwörter verwendete, die in den politischen Debatten seiner Zeit tatsächlich gefallen waren. Bruder Barnabas spricht im Idealfall auch tiefere Wahrheiten aus. Der Narr will nur eine Auszeit von der Wirklichkeit, der Fastenprediger aber fordert Einsicht in die Wirklichkeit und damit auch Besserung.

    Das kann, wenn es im entscheidenden Moment ins Schwarze trifft, herrlich komisch sein. Beispiel: Django Asül im Jahr 2007. Er gab über Erwin Huber, der damals im Rennen um den CSU-Vorsitz den in eine außereheliche Affäre verstrickten Horst Seehofer abhängte, folgende Sätze zum Besten:

    „Sein Karrieremotto hat er vor drei Wochen in einem Interview verraten: Luck ist when opportunity meets preparation. Also Huber das war ja aller tiefstes Niederbayerisch, das muss man schon sagen. Also auf gut deutsch heißt das so viel wie: Habe keine Affäre, wenn gerade Ämter zu vergeben sind.“

    Anders gesagt: Nicht die Affäre ist das Problem. Man darf sich nur nicht erwischen lassen. Schon gar nicht im falschen Moment. Eine sehr bayerisch-katholische Logik.

    Noch besser und vielleicht sogar der Höhepunkt des Nockherbergs in den vergangenen zehn Jahren war Bruno Jonas im Jahr 2006. Das Ende der Ära Edmund Stoiber an der Spitze von Partei und Staat zeichnete sich damals ab, nachdem der CSU-Chef zunächst verkündet hatte, ein Ministeramt in der Großen Koalition zu übernehmen, dann aber doch wieder nach München zurückgekehrt war. Jonas sagte:

    „Der Beckstein und der Huber, die waren ja schon auf Ihrem Ministerpräsidentensessel zum Probesitzen, Herr Stoiber. Da wär’s bald zum Raufen' worden. Und wenn Sie sich nicht erbarmt hätten und noch einmal Platz genommen hätten, ja dann hätten wir heute schon einen anderen Ministerpräsidenten. Das möchten wir uns ja gar nicht vorstellen. Und inzwischen werden Sie, Herr Ministerpräsident, schon wieder von einer Welle der Sympathie getragen. Aber, das wissen Sie ja selber, wie das ist mit den Wellen, da gibt’s Höhen und Tiefen und jede Welle kommt irgendwann am Strand an – und dann muss man aufstehen und gehen.“

    Die Pointe hier: Jonas sprach Auge in Auge mit Stoiber aus, was sich damals niemand in der CSU-Spitze oder im Kabinett ihm hätte sagen trauen. Stoiber wusste es, und er wusste, dass es ernst war.

    Als Fastenprediger im eigentlichen Sinne verstanden sich auch die Barnabas-Darsteller Erich Hallhuber und Michael Lerchenberg, die beide ihren Job wieder loswurden, weil sie unsichtbare Grenzen der Kritik überschritten und Tabus gebrochen hatten. Wenn zu viel des heiligen Zorns über die Obrigkeit hereinbricht, dann wird der Prediger ausgewechselt.

    Auch das gehört zu den Besonderheiten des Derbleckens auf dem Nockherberg. Darsteller und Texter und mit ihnen der Veranstalter, die Paulaner-Brauerei, bewegen sich beständig auf dünnem Eis, weil das, was auf der Bühne gesagt wird, eben nicht als billige Comedy oder hirnloser Klamauk gesehen, sondern ernst genommen werden will.

    In diesem Sinne kann der Wechsel vom Bruder Barnabas zur Figur der „Mama Bavaria“ als Entschärfung der Salvatorrede gewertet werden. Die Mama – dargestellt seit 2011 von Luise Kinseher – ist zwar auch streng und kritisch, meint es aber im Prinzip gut mit ihren Landeskindern. Bruder Barnabas dagegen drohte manchmal sogar mit der Hölle – was auch in einer sehr weltlich gewordenen CSU immer noch eine gewisse Nachdenklichkeit bewirkte, bei der SPD aber regelmäßig ins Leere lief, weil, wer im Staat nichts zu entscheiden hat, auch nicht sündigen kann. Mehrfach schon wurde der mediale Abgesang auf den Nockherberg angestimmt. Die Veranstaltung sei nicht mehr zeitgemäß. Sie unterwerfe sich den Erfordernissen des Fernsehens, könne dort aber mit professionell gemachter Satire nicht mithalten. Oder sie sei längst viel zu brav geworden und eigentlich nur noch eine Werbeveranstaltung der Brauerei.

    Von Singspiel und Südseeinsulanern

    Doch all dieser Kritik zum Trotz hat das Derblecken auch nach schwachen Jahren immer wieder seinen festen Platz im Terminkalender der bayerischen Landespolitik verteidigt. Der untaugliche Versuch, das traditionelle Singspiel in eine moderne Fernsehshow zu verwandeln, wurde zurückgenommen. Mit Marcus H. Rosenmüller wurde ein Autor gefunden, der es vergangenes Jahr mit einer fulminanten Aufführung zu neuem Leben erweckte.

    Auf dem Nockherberg also lebt das politische Bayern. Und wenn ein Südseeinsulaner, Franke oder Preuße mal weiß, warum dort alle lachen, wenn Franz Josef Strauß sich als Untoter zu Wort meldet oder warum es völlig wurscht und obendrein lustig ist, dass der beleidigte Ex-FDP-Chef Guido Westerwelle nicht mehr kommt, um sich derblecken zu lassen, dann hat er die Veranstaltung schon fast verstanden.

    Nockherberg in Kürze

    Die Brautradition: Von 1634 an brauten die Paulaner-Mönche Bier in Kloster Neudeck ob der Au. Berühmt wurde Bruder Barnabas Still, der von 1773 an Braumeister war und das Salvator-Starkbier kreierte. Einen öffentlichen Starkbieranstich gab es ab 1806 im Biergarten am Auer Mühlbach. Der Aufstieg: Von 1861 an wurde der Salvatoranstich im Schlösschen des Bankiers Jakob Nockher auf Giesings Höhen zelebriert. Berühmte Namen: Große Auftritte hatten der Humorist Weiß Ferdl („Der Wagen von der Linie 8“) in den 20er und 30er Jahren, Schauspieler Adolf Gondrell („Ein Münchner im Himmel“) in den 50ern, der Roider Jackl in den 70ern und Schauspieler Walter Sedlmayr mit Texten von Hannes Burger in den 80ern. Bruder Barnabas Max Grießer war 1992 der erste „Bruder Barnabas“. Es folgten 1997 Erich Hallhuber, 1999 Gerd Fischer und ab 2004 Bruno Jonas, Django Asül und Michael Lerchenberg. 2011 übernahm Luise Kinseher das Rednerpult als „Mama Bavaria“. Text: AZ

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