Mit zwei Paar Gummistiefeln wurde Heike Maier ausgestattet, als sie auf der Höfle Alp bei Balderschwang ankam. „Die weißen sind für die Käsküche, die schwarzen für draußen und für den Kuhstall“, erklärt die 36-Jährige und blickt auf das strahlend weiße Paar an ihren Füßen.
„Beim Käsen müssen strenge Hygienevorschriften eingehalten werden. Deshalb nimmt auch das Putzen extrem viel Zeit in Anspruch“, schildert Maier die ersten Eindrücke, die sie auf der 1050 Meter hoch gelegenen Sennalpe gewonnen hat. Dort oben packt die Grafikerin aus Berlin als „Sennerin auf Zeit“ eine Woche lang mit an und lernt das Leben der Älpler kennen. Eines ist ihr dabei schon aufgefallen. „Der Arbeitstag auf der Alpe ist unglaublich lang.“
„Senn auf Zeit“ ist ein Projekt der Tourismus Hörnerdörfer GmbH und wird vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium unterstützt. Mit der Aktion wollen die fünf Allgäuer Dörfer zeigen, wie Tradition, ökologisches Wirtschaften, Landschaftspflege und handgemachte Lebensmittel sich gegenseitig bedingen. „Außerdem wollen wir gegen das Heidi-Klischee angehen und zeigen, dass auf einer Alpe richtig Arbeit anfällt“, sagt Andrea Lachmuth, die das Projekt vor Ort betreut. Um das Hirtenleben authentisch darzustellen, wurden Urlauber gesucht, die eine Woche lang auf einer Sennalpe leben, mitarbeiten und täglich im Internet über ihre Erfahrungen berichten.
Etwa 150 Männer und Frauen aus ganz Deutschland hätten sich für das Projekt beworben. „Vom 17-jährigen Schüler bis zum 76-jährigen Rentner war alles dabei. Es gab sogar Bewerber aus den Niederlanden“, sagt Lachmuth. Zwei Kandidaten wurden schließlich ausgewählt. Ausschlaggebend seien ernsthaftes Interesse an der Alpwirtschaft, körperliche Fitness und ein sicherer Umgang mit sozialen Netzwerken wie Facebook oder Blogs gewesen.
Berge und Bergkäse
Heike Maier freut sich, dass die Wahl auf sie fiel. Sie ist im württembergischen Allgäu aufgewachsen, lebt nun aber schon ein paar Jahre in der Hauptstadt. „Ich bin durch Zufall auf das Projekt gestoßen und dachte mir, es wäre eine schöne Gelegenheit, das Leben auf einer Sennalpe und den Prozess der Käseherstellung kennenzulernen. Ich liebe den Bergkäse und die Berge.“ Dass ihr einwöchiger Aufenthalt auf der Höfle Alp nichts mit Urlaub zu tun haben würde, war ihr von vornherein bewusst. „Wir stehen morgens um fünf Uhr auf und um neun Uhr abends kommen die Letzten von der Arbeit.“ Nach dem Käsen, Putzen, Kühe eintreiben, Heu machen, Holz stapeln und Weidezäune reparieren ließen Muskelkater und Sonnenbrand nicht lange auf sich warten. Und natürlich sei sie sehr müde, wenn sie am Abend in der Holzhütte unter ihr Federbett kriecht.
Klaus Kohler, der Sennhirte, lässt seinen Gast aus Berlin bei sämtlichen Arbeiten mithelfen. „Heike ist immer mit dabei und darf alles mitmachen. Wir haben Arbeit genug hier oben“, sagt der 40-Jährige. Zusammen mit drei jungen Hirten bewirtschaftet er die Höfle Alp von Mai bis September. Die 36 Kühe bringen so viel Milch, dass Kohler täglich drei große Laib Bergkäse und Butter produziert.
Neben dem Projekt „Senn auf Zeit“ gibt es in den Hörnerdörfern ein regelmäßiges Angebot für Touristen, die nur ganz kurz ins Älpler-Leben reinschnuppern wollen: „Senn für einen Tag“. „Das wird sehr gut angenommen. An manchen Tagen haben wir bis zu acht Teilnehmer“, sagt Werner Fritz, Bürgermeister von Balderschwang.
Michael Honisch, Geschäftsführer des Alpwirtschaftlichen Vereins Allgäu, hat Erfahrungen mit Leuten gemacht, die falsche Vorstellungen mitbringen: Aus ganz Deutschland erhalte er Anfragen von Interessenten, die für zwei Wochen auf einer Alpe mithelfen wollen, im Frühjahr beinahe täglich. „Wir klären die Menschen darüber auf, dass das wenig Sinn macht. Alpwirtschaft ist ein Betrieb und keine Ferienangelegenheit.“
Erfahrung mit Kühen
Der Verein vermittelt Hirtenpersonal, wenn auf den 689 Alpen im Allgäu Bedarf ist. Wer keine Erfahrung im Umgang mit Kühen hat, habe schlechte Chancen. „Wir haben deutlich mehr Anfragen als Stellen gesucht werden. Die Personalfluktuation ist nicht groß.“
Heike Maier kann das rege Interesse am einfachen Hirtenleben gut verstehen. „Ich glaube, bei vielen Menschen ist eine Sehnsucht da, zwischendurch mal etwas anderes zu sehen – weg vom Schreibtisch und der gewohnten Umgebung.“ Auch sie genieße es, für ein paar Tage in Gummistiefel zu schlüpfen und körperlich zu arbeiten.
Nur vor den Kühen, die jeden Abend zum Melken in den Stall gebracht werden, hatte sie am Anfang großen Respekt. „Ich war vorher noch nie in einem Kuhstall. Diese Kuhglocken sind ja wahnsinnig laut. Und wenn die Kühe neben einem stehen und fast so groß sind wie man selbst, bekommt man schon Respekt.“ Sie hat sich trotzdem ein Ziel gesteckt: Bis zum Ende ihrer Alpwoche will sie melken können.