Jutta Saumweber von der Verbraucherzentrale in Bayern ist Expertin für Lebensmittelsicherheit. Im Interview plädiert sie für den Verbrauch von regionalen Produkten und fordert die Politik dazu auf, härtere Strafen für Hersteller und bessere Kennzeichnungspflichten für Produkte in ganz Europa einzuführen: „Denn der Verbraucher kann durch seine Entscheidung einige Dinge langfristig zum Positiven verändern.“
Frage: Frau Saumweber, gibt es beim Thema Lebensmittelsicherheit heute klare Grenzen?
JUTTA SAUMWEBER: Nein, es geht beim Thema Lebensmittelsicherheit immer noch darum, die Grenzen auszuloten. Das macht das Beispiel der Lebensmittelhygiene sehr schön deutlich. Hier sind nicht nur die Hersteller und Produzenten gefragt. Der Verbraucher muss ebenfalls richtig mit Lebensmitteln umgehen. Das ist leider noch nicht immer flächendeckend der Fall. Die Lebensmittelinfektionsrate ist dementsprechend hoch. Wir haben pro Jahr in Deutschland rund 100 000 gemeldete Fälle von Lebensmittelvergiftungen. Das ist zu viel. An dem Beispiel der Lebensmittelhygiene kann man gut die Grenze der Macht der Behörden erkennen. Der Verbraucher müsste im Idealfall genauso verantwortlich mit Lebensmitteln umgehen wie es die Hersteller tun sollten und Hygieneregeln beachten.
Sie sagen hoffentlich. Nicht alle Hersteller arbeiten sauber. Das haben die Skandale rund um Mäusekot im Brot oder Salmonellen im Ei zuletzt gezeigt. Welche erzieherischen Effekte haben Lebensmittelskandale überhaupt auf den Verbraucher?
SAUMWEBER: Ich vermute, dass die sogenannten Lebensmittelskandale keinen nachhaltigen Einfluss auf den Verbraucher ausüben. Das lässt sich aber schwer messen.
Gibt es nicht auch ein Kennzeichnungsproblem? Anders gefragt: Wird der Verbraucher vor dem Kühlregal nicht alleine gelassen?
SAUMWEBER: Ja, das stimmt. Wir haben leider ein Kennzeichnungsproblem. Oft sind die Qualitätsaussagen auf Produkten eher Werbung als Wirklichkeit und von Verbrauchern nicht überprüfbar. Viele Hersteller behaupten, besondere Qualität zu liefern. Auf vielen Wurstverpackungen und Milchpackungen im Supermarkt finden Sie Bilder von glücklich grasenden Kühen. Dabei lassen die wenigsten großen Wursthersteller ihre Tiere auf der Weide stehen. Besonders bei tierischen Produkten müsste es deshalb mehr genaue Hinweise für den Verbraucher geben, damit dieser sich bewusst für ein bestimmtes Produkt entscheiden kann. Denn der Verbraucher kann durch seine Entscheidung einige Dinge langfristig zum Positiven verändern.
Dies ist mit der Eierkennzeichnung geschehen. Verbraucher können sich beim Eierkauf für eine Haltungsform entscheiden. Die Folge ist, dass Sie im Handel praktisch kaum noch Hühnereier aus Kleingruppenhaltung in Käfigen finden. Das hat die Kennzeichnungspflicht gebracht. Möglichst bald sollte das mit der Fleischkennzeichnung genauso laufen.
Wer aufmerksam die Diskussionen an heimischen Esstischen verfolgt, wird nicht umhinkommen zu sagen, dass Lebensmittel aktuell ein großes Thema in den Familien sind.
SAUMWEBER: Das stimmt absolut. Die Tendenz geht weg vom Billigeinkauf. Die Leute wollen heute Lebensmittel viel bewusster einkaufen. Es gibt immer mehr Flexitarier, die Fleisch bewusst genießen wollen. Es gibt auch immer mehr Menschen, die komplett auf Fleisch oder ganz auf tierische Produkte verzichten. Immer mehr Menschen wollen regionale Produkte einkaufen. Das sind für uns als Verbraucherzentrale alles erfreuliche Entwicklungen. Unser Ziel ist der kritische Verbraucher. Wir empfehlen, regionale und biologische Produkte zu kaufen. Wir raten den Leuten, zum lokalen Metzger und zum lokalen Bäcker zu gehen, wenn sie diesem vertrauen. Wir freuen uns, dass es in vielen Städten wieder gut besuchte Wochenmärkte gibt.
Heißt das umgekehrt, dass sich Kunden, die beim Discounter einkaufen, in diesem Sinne schuldig machen?
SAUMWEBER: Nein, das heißt es nicht. Schön wäre es, wenn die Menschen die Lebensmittel wieder mehr wertschätzen würden. Damit ist nicht gemeint, dass beispielsweise Mehl beim Discounter schlechter ist als Bio-Mehl im grünen Laden an der Ecke. Bei vielen Produkten schneiden viele Discounter übrigens sehr gut ab. Das haben Ergebnisse von Untersuchungen der Stiftung Warentest zuletzt immer wieder bewiesen. Anders ist die Situation beim Thema Fleisch. Ein Kilo Schweinefleisch für 2,99 Euro ist eigentlich unmöglich. Manche Supermärkte wollen trotzdem zeigen, dass es geht. Wir meinen, das ist der falsche Weg. Wir kämpfen für mehr Wertschätzung.
Sollte der aufgeklärte Kunde vor jedem Einkauf eine aufwendige Recherche über Produkte und deren Herstellung und Herkunft anstellen?
SAUMWEBER: Im Internet sind leider viele Ernährungsmärchen unterwegs. Googeln Sie mal Milch. Sie werden entsetzt sein, was Sie dort lesen müssen. Dort liest man so viel fachlichen Unsinn. Weil dort immer von schlecht gemachten Studien die Rede ist, werden die Verbraucher zusätzlich verunsichert und in die Irre geführt.
Manche Medien greifen diesen Unsinn leider allzu gerne auf. Wahr ist leider aktuell auch, dass der Verbraucher beim Thema Lebensmittelsicherheit schnell an seine Grenzen stößt, da uns transparente Informationen fehlen.
Welches Verbraucherverhalten können Sie partout nicht ausstehen?
SAUMWEBER: Die Wegwerfmentalität bei Lebensmitteln sehen wir sehr kritisch. Verbraucher sollten unserer Meinung nach versuchen, bedarfsgerecht einzukaufen und ihre Lagerhaltung zu verbessern. Es landen noch viel zu viele Lebensmittel im Mülleimer. Besonders Familien haben hier ein großes Problem. Bei vierköpfigen Familien landet am meisten Obst, Gemüse und Brot im Müll. Rentner und Geringverdiener werfen im Schnitt viel weniger Lebensmittel weg.
Zur Person Jutta Saumweber (48) ist Ökotrophologin aus dem Referat „Lebensmittel und Ernährung“ der Verbraucherzentrale Bayern. Über die „Grenzen der Lebensmittelsicherheit“ diskutiert sie derzeit mit Experten aus ganz Deutschland bei einem aktuellen Kongress des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Erlangen. FOTO: VZB