Schönheitswahlen haben in Deutsch- land Tradition. 1927 wurde im Sport- palast Berlin die erste „Miss Germany“ gekürt. Kaum jemand kennt sich in dem Metier besser aus als Horst Klemmer. Der 80-jährige Senior-Chef der in Oldenburg ansässigen Miss Germany Corporation (MGC) veranstaltet seit über 50 Jahren Miss-Wahlen. Seit 2000 ist die MGC alleiniger Veranstalter des Wettbewerbs.
Frage: Herr Klemmer, Sie müssen es aufgrund Ihrer Erfahrung am besten wissen: Aus welchem Bundesland kommen die meisten Schönheiten?
Horst Klemmer: Ich meine, das ist Berlin.
Und wo rangiert Franken?
Klemmer: Die Mädchen aus Franken kommen knapp hinter den Berlinerinnen.
Seit 90 Jahren gibt es Schönheitswahlen in Deutschland. Finden sich nach wie vor genügend Bewerberinnen?
Klemmer: Wir haben im Schnitt in jedem Jahr um die 5000 Bewerberinnen. Die verteilen sich auf 150 bis 160 Vorwahlen. Die jeweiligen Landessiegerinnen qualifizieren sich für die Endwahl.
Hat sich am Ablauf der Wahlen in den vergangenen Jahrzehnten viel geändert?
Klemmer: Man kann das Rad nicht neu erfinden. Es wird immer einen Ablauf geben, in dem sich die Frauen in einem Abendkleid und im Badeanzug präsentieren. Die Figur ist natürlich wichtig, aber nicht alles entscheidend. Wir machen keine Models und wollen daher auch keine Hungerhaken. Wenn eine 1,78 Meter große Frau 56 Kilo wiegt, dann ist das völlig okay. Bei den Wahlen geht es vor allem um Ausstrahlung, Charme und gesundes Selbstbewusstsein. Eine „Miss Germany“ muss später schließlich auch reden und repräsentieren können. Ich sage immer: Schön muss man sein, reden kann man lernen.
Gab es früher ein anderes Schönheitsbild?
Klemmer: Auf jeden Fall. Deutlich wird das in erster Linie an den Frisuren – die sind viel sportlicher geworden. Und es gewinnen auch nicht immer blonde Frauen.
In der Bevölkerung nimmt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund zu. Macht sich das auch bei Ihren Wettbewerben bemerkbar?
Klemmer: Wir haben immer wieder Bewerberinnen mit ausländischer Abstammung. Die Herkunft spielt für uns überhaupt keine Rolle. Wichtig ist, dass die Bewerberin einen deutschen Pass besitzt.
Darf man mit Kopftuch auftreten?
Klemmer: Darüber haben wir noch nicht nachgedacht. Den Fall gab es noch nicht.
Was sind die Voraussetzungen, um an der Wahl teilnehmen zu dürfen?
Klemmer: 16 bis 29 Jahre alt, ledig, kinderlos, deutsche Staatsangehörigkeit, keine Nacktaufnahmen.
Und wann hat eine Frau Siegeschancen?
Klemmer: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Jedes Jurymitglied sieht das etwas anders. Wichtig ist die Gesamterscheinung der Frau.
„Miss Germany“ ist ein Vollzeitjob. Die Frauen müssen für ein Jahr ihren eigentlichen Beruf aufgeben. Warum eigentlich?
Klemmer: Eine „Miss Germany“ hat in dem Jahr etwa 140 repräsentative Termine. Es kostet einfach Zeit, diese Termine wahrzunehmen, allein durch die An- und Abreise.
Lohnt sich der Gewinn des Titels für die Frauen auch finanziell?
Klemmer: Das ist schwer zu sagen. Wenn die Siegerin beispielsweise einen Werbeauftrag für ein Produkt bekommt, fallen die Einnahmen natürlich höher aus. Letztlich liegen die Frauen bei ihrem Jahreseinkommen sicher unter 100 000 Euro. Das Auto wird für das Jahr als Dienstwagen gestellt.
Musste eine „Miss Germany“ schon einmal ihren Titel zurückgeben?
Klemmer: Nein. Alle hielten sich an die Vereinbarungen. Die Mädchen stehen ja auch zu ihrem Titel. Ein gutes Beispiel ist Lena Bröder, die „Miss Germany 2016“. Sie hat sechs Jahre lang um den Titel gekämpft. Sie gewann in der Zeit 16 Städtewahlen und wurde zig-mal Zweite. Am Ende kam sie in die Endwahl und holte den Titel. Seit dem 1. März arbeitet sie wieder als katholische Religionslehrerin.
Kann ein Titel ein Karrieresprungbrett sein?
Klemmer: Nicht nur die „Miss Germany“, auch die dahinter platzierten Mädchen können Karriere machen. Einige unserer Teilnehmerinnen wurde zum Beispiel Moderatorinnen oder Schauspielerinnen. Auf eine Karriere im Showgeschäft hoffen natürlich die meisten Mädchen.
Warum ist noch niemand auf die Idee gekommen, eine Miss-Wahl als Casting- oder Talentshow im Fernsehen zu zeigen?
Klemmer: Eine Talentshow wäre langweilig. Denn im Gegensatz zu anderen Wettbewerben wollen wir keine Geschichten mit Zickenkrieg und Zoff erfinden. Außerdem lassen wir uns ungern in unser Konzept reinreden. Vor 15 Jahren haben wir es mit einer TV-Show am Sonntagabend bei Sat.1 versucht, das war vom Ablauf aber nicht hundertprozentig. Momentan sind wir dabei, die Endwahl im Europa-Park Rust im privaten Fernsehen zu etablieren – und haben bereits gute Erfahrungen gemacht. Zuletzt sendeten fast 20 regionale Sender – teils zeitversetzt – die Finalshow – mit guten Einschaltquoten.
Ist Heidi Klums „Germany's next Topmodel“ Konkurrenz oder Ergänzung zu Ihren Wahlen?
Klemmer: Die machen eine ganz andere Linie. Da werden Sachen erfunden und die Mädchen müssen sich streiten. Heidi Klum hatte letztlich großes Glück mit Lena Gercke aus Cloppenburg, der Gewinnerin der ersten Staffel 2006, die danach durchgestartet ist. Die Topmodel-Show hat den Markt ganz sicher belebt. Heidi Klums Mädchen kommen zu uns und umgekehrt. Einige Mädchen von uns haben auch schon beim „Bachelor“ mitgemacht.
In Amerika finden Schönheitswettbewerbe für Kinder großen Zuspruch. Ist das ein Markt?
Klemmer: Bei uns wird es keine Wahlen mit Kindern geben. Das haben wir schon immer abgelehnt.
Warum?
Klemmer: Ganz einfach: Wenn fünf Kinder einen 100-Meter-Lauf machen, dann wird eines Erster – und das verstehen die Kinder auch. Aber ich kann einer kindlichen Seele nicht erklären, warum ein anderes Mädchen für schöner gehalten wird.
Warum sind deutsche Frauen bei internationalen Schönheitswettbewerben offenbar chancenlos?
Klemmer: Die deutschen Rechteinhaber der internationalen Wettbewerbe haben offenbar zu wenig Auswahl an hübschen Mädchen. Wir selbst beschicken Veranstaltungen wie „Miss Universum“ oder „Miss World“ nicht. Unsere Mädchen wären für solche Wahlen vier bis sechs Wochen außer Landes, hätten Kosten, aber keine Verdienste.
Horst Klemmer ist der Gründervater der Miss Germany Corporation mit Sitz in der Oldenburger Tangastraße. Der heute 80-Jährige moderierte 1960 seine erste „Miss Germany“-Wahl. Damals im Auftrag des Strumpffabrikanten Opal. Das Unternehmen nutzte die Wahl als Marketingveranstaltung. Später übernahm Klemmer auch die Regie. Parallel dazu machte er sich als Künstlermanager einen Namen. Er managte unter anderem Heinz Erhardt und Heinz Schenk.