Ein Leben jenseits von Facebook, YouTube und Twitter: Für junge Menschen ist das kaum noch vorstellbar. 90 Prozent der 16- bis 24-Jährigen nutzen das Internet täglich, sie sind die „Digital Natives“ – die, die mit dem Netz aufgewachsen sind. Computer und Smartphone sind aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. Doch wie lebt es sich abseits vom Mainstream? Finden Kinder und Jugendliche auch ohne Hightech noch Anschluss? Zwei Teenager aus dem Landkreis Würzburg, zwei Beispiele, wie das Leben im 21. Jahrhundert analog und digital geht.
Nina:
Mit einer Hand wischt sie sich noch den Sand aus den Augen, während die andere Hand versucht, die nervige Weckfunktion auf dem Smartphone zu deaktivieren. Montagmorgen, kurz vor 7 Uhr. Für Nina Mahr beginnt eine neue Schulwoche. Noch vor dem Aufstehen werden im Bett schnell die neuesten SMS- und Facebook-Nachrichten gecheckt. E-Mail ist für die 16-Jährige schon Old School. Und damit steht die Gymnasiastin nicht alleine da: Jeder 15. Deutsche will noch vor dem Frühstück wissen, was sich auf seinen Online-Profilen getan hat. In der sechsten Klasse hat Nina ihr erstes Handy geschenkt bekommen – damals für dringende Telefonate mit Mama und Papa. Inzwischen geht sie ohne Smartphone nicht mehr aus dem Haus. Mit dem kleinen Alleskönner managt sie Termine und hält Kontakt zu Freunden: „Kommunikation ist das A und O. Wenn ich mich mit Freunden zum Beispiel ins Kino verabrede, mache ich das natürlich übers Netz.“
Gerd:
Der 17-jährige Schüler Gerd Biedermann beweist, dass es auch ohne geht. „Ein internetfähiges Handy würde schon Vorteile bieten“, sagt er. „Ich sehe es für mich aber nicht als großen Mehrwert an.“ Gerd verbringt seit seinem 14. Lebensjahr seine Freizeit auf dem Flugplatz, vor kurzem hat er die Prüfung für die Fluglizenz geschafft. Segelfliegen ist für den Helmstadter Hobby und Verpflichtung zugleich: „Ich muss natürlich in Übung bleiben, um meinen Flugschein zu behalten.“
Auch im Winter wird es Gerd so schnell nicht langweilig: Er ist aktives Mitglied im Schützenverein und fährt immer wieder auf Wettkämpfe. Neue Kontakte zu knüpfen ist für den Teenager also kein Problem: „Ich habe eben persönlich Kontakt mit den Leuten.“ Eingeschränkt fühlt er sich dadurch nicht: „Wenn ich ins Kino will, organisiere ich das ganz altmodisch über das Festnetztelefon. Ich kenne noch nicht mal die Handynummern meiner Freunde.“
Nina:
Der virtuelle Freundeskreis von Jugendlichen in Deutschland wird immer größer. 272 Online-Freunde hat jeder zwölf- bis 19-jährige Facebook-Nutzer im Schnitt. Bei Nina erstreckt sich die Gruppe sogar noch weiter: „Letztens habe ich meine Kontaktliste mal ordentlich ausgemistet. Jetzt habe ich immerhin nur noch 634 Freunde.“ Doch können 634 Freunde wirklich wahre Freunde sein? „Ich nehme eine Person nur in mein Netzwerk auf, wenn ich... ...ihr wenigstens einmal im realen Leben begegnet bin“, meint Nina. „Neue Leute habe ich über Facebook eigentlich noch nicht kennengelernt.“ Die wirklichen Freundschaften rücken dabei aber nicht in den Hintergrund, im Gegenteil: Auf der Straße oder im Schwimmbad begegnen ihr ehemalige Mitschüler oder alte Bekannte, mit denen sie übers Internet Kontakt gehalten hat.
Gerd:
Beim Flugsport steht Vertrauen an erster Stelle. Umso wichtiger ist, dass Gerd Freunde hat, mit denen er sich im Flieger sicher fühlen kann: „Wahre Freundschaft bedeutet für mich, dass ich jemandem blind vertrauen und mich ganz auf ihn verlassen kann.“ Durch immer neue Herausforderungen versucht er, an seine Grenzen zu stoßen. Seit vergangenem Jahr hat der Gymnasiast einen eigenen Angel- und Jagdschein in der Tasche.
Nina:
Als Gruppenleiterin einer kirchlichen Kinder- und Jugendgruppe fällt Nina die frühe Mediennutzung ihrer Schützlinge zunehmend ins Auge: „Meine Kids haben teilweise schon so halbe Smartphones und ein paar auch schon einen eigenen iPod. Ich denke, mit elf oder zwölf Jahren ist das aber schon langsam in Ordnung.“ Die Statistik sagt, dass mehr als die Hälfte der Unter-13-Jährigen über ein eigenes Mobiltelefon verfügt. In Internetforen diskutieren Eltern über das richtige Einstiegsalter für ihre Söhne und Töchter. Wie sehr gehört im digitalen Zeitalter zur Erziehung auch die Förderung von Medienkompetenz, wie sehr ist die ständige Verfügbarkeit von Informationen nötig?
Gerd:
Für Gerd muss ein Handy lediglich telefonieren können. „Wenn ich alleine mit dem Flieger unterwegs bin oder einen Wanderausflug mache, habe ich ganz gerne ein Handy dabei, um mich im Notfall bemerkbar machen zu können“, argumentiert der 17-Jährige. Und findet: „Ab welchem Alter der Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln sinnvoll ist, hängt nicht nur vom Alter, sondern vor allem von der persönlichen Reife ab.“ Schließlich verursachen Mobiltelefone Kosten – egal, ob mit Prepaid-Karte telefoniert wird oder mit Vertrag. Allerdings ist für internetfähige Endgeräte ein Vertrag kaum vermeidbar.
Nina:
Nina hat mit ihren Eltern vereinbart, die Kosten für ihre mobile Internetnutzung selbst zu zahlen: 20 Euro muss sie monatlich dafür hinblättern. Deshalb jobbt sie gelegentlich, verkauft für ein Würzburger Geschäft dann Bücher im Mainfranken Theater.
Gerd:
Vernetzung mag bei der beruflichen Karriere helfen. Doch ohne gute Noten in der Schule hilft das größte Netzwerk nichts. Wer viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringt, bringt im Schnitt schlechtere Noten mit nach Hause. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-Studie aus dem Jahr 2009. Gerd besucht die elfte Klasse des Würzburger Friedrich-Koenig-Gymnasiums. Dort brachte er es im ersten Halbjahr auf das beste Ergebnis unter allen 130 Mitschülern. Gibt es bei ihm einen Zusammenhang zwischen Internetnutzung und schulischen Leistungen? „Ich denke, dass sich eine stärkere Beschäftigung mit dem Internet durchaus positiv auf meine schulischen Leistungen auswirken würde. Aber meine Hobbys lassen mir nicht die Zeit dazu.“
Besonders regelmäßig steuern Schüler die Online-Enzyklopädie Wikipedia an. Obwohl es im Sommer oft Wochen gibt, in denen Gerd den Computer gar nicht einschaltet, möchte er auf die Vorteile durch ihn beim Lernen für Schulaufgaben oder Recherchieren für Referate nur ungern verzichten. Auch für ihn ist das Netz oft erste Anlaufstelle, um sich einen Überblick über ein Themengebiet zu verschaffen.
Nina:
Über schlechte Noten kann sich Nina nicht beklagen. Auf ihrem Laptop hat sie einen Vokabeltrainer installiert, mit dem sie vor wichtigen Englisch- oder Spanischarbeiten den Wortschatz wiederholen kann: „Das Internet bietet die Informationen eben kompakt. Ganz darauf verlassen tue ich mich aber nicht; ich schlage so etwas auch ganz gerne mal im Lexikon nach.“
Lehrer warnen Schüler immer wieder: Im Internet solle man alles hinterfragen und sich nicht auf unseriöse Webseiten verlassen. Denn jeder kann Inhalte dort jederzeit frei veröffentlichen – ob sie stimmen oder nicht.
In einer vom Wochenmagazin „Stern“ beauftragten Studie wurden 50 zufällig ausgewählte Wikipedia-Einträge mit dem jeweiligen Pendant im Brockhaus verglichen. Kriterien wie Vollständigkeit, Richtigkeit, Aktualität und Verständlichkeit wurden mit Schulnoten bewertet. Während die Schlagworte im Brockhaus durchschnittlich lediglich mit der Note 2,7 bewertet wurden, erreichte das Nachschlagewerk im Internet einen Wert von 1,7. Besonders bei der Aktualität konnte das Internet punkten: die Informationen sind in der Regel auf dem neuesten Stand. Layout, Grammatik sowie Orthografie lassen oft schon auf die Vertrauenswürdigkeit einer Seite schließen. Das Vermögen, Informationen nach ihrer Stichhaltigkeit zu bewerten, steigt nicht nur mit dem Alter: Auch mit zunehmender Online-Erfahrung lassen sich die Inhalte besser einordnen.
In den vergangenen Jahren bekamen Polizeibeamte immer wieder die Schattenseiten der sozialen Netzwerke zu spüren. Legendär ist der Juni 2011: Anlässlich ihres 16. Geburtstags hatte eine Hamburgerin ihre Freundinnen via Facebook zur Feier eingeladen. Dabei hatte sie übersehen, dass die Veranstaltung öffentlich und somit für alle Facebook-Nutzer sichtbar war. Es kam zu einem gewaltigen Ansturm auf das Elternhaus der Schülerin. Rund 1600 Jugendliche wollten mitfeiern, 15 000 hatten sich sogar angemeldet. Solche Facebook-Partys können die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören.
Gerd:
Solche Reaktionen sind für Gerd Biedermann unbegreiflich. Dass Facebook, Twitter und Co. so viele Menschen mobilisieren können, mag manchmal eine gute Sache sein, findet er. Aber mit der gelegentlichen Hysterie dahinter kann er sich nicht anfreunden. Zum Beispiel bei Apple: „Starkes Interesse an neuen technischen Geräten kann ich verstehen. Aber diese auf eine Marke bezogene Hysterie ist einfach nicht nachvollziehbar.“ Als im September der Konzern mit dem iPhone 5 ein neues Smartphone auf den Markt gebracht hat, hatten sich vor Apple-Läden auf der ganzen Welt lange Schlangen gebildet. Selbst Übernachtungen vor den Geschäften hatte es gegeben.
Wohin geht der Trend? Festlegen kann und will sich niemand wirklich. Wie werden wir in 20 Jahren mit Privatheit und Öffentlichkeit umgehen? Verlieren wir die Kontrolle über unsere Online-Daten? Oder sind all das Fragen, die wir uns künftig nicht mehr zu stellen brauchen in der digitalen Community? Professor Tim Bruysten von der Mediadesign-Hochschule in Düsseldorf erklärte vor kurzem bei der „Social Media Lounge“ im Würzburger VCC, dass wir erst bei einem Prozent der möglichen Digitalisierung angelangt sind, die einmal alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen werde. Umso wichtiger wird es, dass wir vernunftgesteuert die digitalen Herausforderungen des Alltags bewältigen. Nina. Gerd. Und wir alle.