Warum schneidet man eigentlich Obstbäume? Wachsen sie nicht automatisch richtig, so, wie die Natur es vorsieht? Sie wachsen tatsächlich nach den Naturgesetzen, die aber nicht immer unsere Bedürfnisse ideal erfüllen. Wer also von seinen Obstbäumen nicht nur eine zufällig befriedigende Ernte erwartet, sondern Baumgesundheit und Ertrag zu lenken gedenkt oder die Ästhetik ändern möchte, muss manuell eingreifen. Zum kleinen Einmaleins der Gehölzerziehung gehört das Schneiden von Bäumen und entsprechend auch von Beeren- und Ziersträuchern.
Mit physiologischen Grundkenntnissen bewandert, tut man sich leichter, Obstbäume sinnvoll und zielstrebig zu schneiden. Ein Experte in der Pflege von Gehölzen ist Hubert Siegler vom Sachgebiet Obstbau und Baumschulen der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim. Bei einem eintägigen Seminar erklärte es etwa 50 Hobbygärtner in Theorie und Praxis, wie sie mit Schere und Säge ihren Bäumen zukünftig eine Hilfestellung zu gezieltem Wachstum geben können. Solche Schnittkurse bietet nicht nur die Landesanstalt an, sondern auch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Kitzingen und der Bayerische Landesverband für Gartenbau und Landespflege an.
Die Selbstheilungskräfte reichen aus
Hubert Siegler erklärte den wichtigen Grundsatz, dass Bäume nach einer Schnittmaßnahme mit verstärktem Austrieb reagieren. „Je mehr Äste und Zweige entfernt werden, um so heftiger reagiert der Baum“, sagt Siegler. Nach einem Radikalschnitt beobachtet man also den Baum und schneidet während der Vegetationsperiode die schnell austreibenden Wasserschosse ab oder man reißt sie ab, was eine bessere Wundheilung mit sich bringt.

Überhaupt Wundverschluss: Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen stellte fest, dass Obstbäume am besten ohne Pflaster auskommen. Die Selbstheilungskräfte reichten zur Wundversorgung aus. Der Wundverschluss kann dem Baum sogar schaden, denn wenn an der Schnittstelle das Holz nicht ausreichend trocknen kann, verlangsamt sich die Wundheilung oder sie versagt oder Pilze siedeln sich an. „Schnittstellen ab drei Zentimeter Durchmesser“, sagte Siegler, „kann man mit Baumwachs verstreichen. Vorher muss man jedoch zerfranste Schnittränder mit einem scharfen Messer glätten.“ Das Wundverschlussmittel sollte ein Fungizid enthalten.
Man kann zu jeder Jahreszeit schneiden
Bäume und Sträucher schneiden kann man übrigens zu jeder Jahreszeit. Praktischerweise machen dies die meisten Erwerbsobstbauer Ende des Winters, weil da die meiste Zeit verfügbar ist. Und: Ohne Laub lässt sich auch das Astgerüst besser beurteilen. Der Heilungsprozess läuft allerdings in der Grünphase besser ab. Außerdem ist mehr Übersichtlichkeit gegeben, wenn keine Blätter vorhanden sind, und man muss weniger Masse abtransportieren. Einen Sonderfall stellen Walnussbäume dar. Sie dürfen nur im begrünten Zustand geschnitten werden; sie „bluten“ dann zwar, aber verschließen somit auch die blanken Stellen, was bei Walnussbäumen gegen Befall von Mikroorganismen geboten ist.
Ein weiterer Grundsatz des Schneidens ist, dass waagrecht stehende Äste bessere Früchte erzeugen als steil stehende oder gar hängende. Dementsprechend kappt man also die nicht-waagrechten. Mit Herunterbinden oder Herabspreizen mit Stäben lenkt man zu steile Zweige, die dann flacher wachsen werden.
Bei einem jungen Baum, also mit ein oder zwei Jahren, belässt man einen Mitteltrieb in Verlängerung des Stammes als den am höchsten wachsenden (senkrechten) Trieb. Von den seitlich abgehenden Zweigen sollen vier bis sechs übrig bleiben und auf keinen Fall höher wachsen als der Mitteltrieb. Im Sinne der Balance kappt man die Seitenzweige auf gleicher Höhe. Bildhaft spricht man hier auch von „Saftwaage“. In den Folgejahren kann man noch Seitenäste wegnehmen, um ein übersichtliches Gerüst für die Krone zu bekommen. Ziel dieses jährlich durchzuführenden Erziehungsschnittes ist eine sogenannte Pyramidenform der Krone für den ausgewachsenen Baum.
Bäume ausdünnen leicht gemacht
Wurde ein älterer Baum einige Jahre nicht gepflegt, präsentiert er sich innerhalb der Krone sehr dicht. Ihn so weit auszudünnen, „dass eine Krähe durchfliegen kann“, wie Obstbauern zu sagen pflegen, beginnt mit der Herausnahme aller abgestorbenen Äste. Für dicke, schwere Äste der Siegler-Tipp: Zunächst den Ast in einem 30-Zentimeter-Abstand vom Stamm von unten her bis zur Hälfte durchsägen; dann 30 Zentimeter weiter außen von oben her sägen, bis der Ast abbricht; anschließend den entlasteten Stumpf parallel und nahe zum Stamm absägen.
Im weiteren Verlauf alle ins Innere der Krone sowie alle nach unten ziehenden und alle steil aufragenden Äste und Zweige entfernen. Konkurrenzäste der Mittelachse mit Zielrichtung Pyramidenform kürzen. Wenn vier (bis sechs) dicke Leitäste im Sinne der Balance übrig bleiben, ist das genug. Im Laufe des Jahres steil aufwachsende Zweige (Wasserschosse) wegschneiden oder -reißen.
Rückschneiden im Zweijahresrhythmus
Ein weiterer Tipp des Obstbaumprofis wird ohne Werkzeug ausgeführt: „Scheuen Sie sich nicht, bei sehr gutem Behang Ende Juni Äpfel auszudünnen!“ Man würde eine sehr üppige Ernte im Herbst mit einem ausgesprochen schwachen Ertrag im Folgejahr büßen. Grund ist, dass der Baum bereits im Juli die Fruchtknospen fürs nächste Jahr anlegt, dies aber um so weniger, je mehr Früchte heuer zu versorgen sind. Diesen bei Kernobst typischen Zweijahresrhythmus nennt man Alternanz.

Bezüglich Beerenobst – entsprechendes gilt für Zierbüsche – machte Hubert Siegler deutlich, dass man hier an der Basis schneidet. Wer also seinen Johannisbeerstrauch ausdünnen will, geht auf die Knie und kappt so tief wie möglich die älteren Triebe und lässt nur von den im Vorjahr gewachsenen ein paar stehen – bei einem älteren Strauch bis zu zehn.
Tipps Zahlreiche Obstbäume können bei der Landesgartenschau am Würzburger Hubland bewundert werden: Auf der Obstwiese im Terrassengarten gibt es Süßkirschen, Walnuß, Esskastanie, Apfel-Quitte, Birnen-Quitte, Große Schwarze Knorpelkirsche und Hauszwetschge. Im Bereich des Bier-/Weingartens stehen Walnuß- und Zierapfelbäume, ein weißer Maulbeerbaum und exotische Sorten wie Oliven-, Feigen und Mispel-Bäume. Die Landesgartenschau 2018 findet von 12. April bis 7. Oktober täglich ab 9 Uhr auf dem Gelände am Hubland statt. Die Kassen schließen um 18 Uhr, teilweise gelten längere Öffnungszeiten. Buchtipp: 1 x 1 des Obstbaumschnitts von Rolf Heinzelmann und Manfred Nuber, Ulmer Verlag, 5,90 Euro.