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WÜRZBURG: Auf dem Krad der Weisheit

WÜRZBURG

Auf dem Krad der Weisheit

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    Lehrt Achtsamkeit beim Fahren: Moto Guzzi Nuovo Falcone
    Lehrt Achtsamkeit beim Fahren: Moto Guzzi Nuovo Falcone Foto: Foto: Ralph Heringlehner

    Es geht um ein rotierendes Schwungrad und um klappernde Ventile. Außerdem wird geklärt, was die abgerissene Halterung einer Zündspule mit Hesses „Siddhartha“ zu tun hat.

    Hektisch? Nervös? Gestresst? Da hab' ich was für Sie: ein Motorrad. Natürlich nicht eine dieser PS-protzigen modernen Maschinen. Die machen den Fahrer noch hektischer, als er eh schon ist. Es geht um eine Nuovo Falcone. Dieses Motorrad, das Moto Guzzi zwischen 1970 und 1976 in Mandello del Lario am Comer See baute, wird Sie Ruhe und Gelassenheit lehren. Ruhe und Gelassenheit sind der Pfad, der zur Weisheit führt.

    Lektion 1: Wer stärker als die Dinge ist, der ist Asket (Indisches Sprichwort)

    Ein Zylinder, luftgekühlt, 500 Kubikzentimeter, vier Gänge. Eine Falcone ist Metall gewordene Askese. Da ist nichts Überflüssiges dran. Mein grüner 1971er „Falke“ hat nicht einmal einen Elektorstarter.

    Der Kickstart einer Falcone ist wie ein Ritual und geht so: Stellen Sie sich links neben das Motorrad. Öffnen Sie die beiden Benzinhähne unter dem Tank. Klappen Sie den Kickstarter aus. Treten Sie ihn langsam durch, bis deutlicher Widerstand zu spüren ist. Der schwere Kolben – fast neun Zentimeter Durchmesser! – steht nun im Verdichtungstakt. Ziehen Sie den Dekompressionshebel am linken Lenkerende; dadurch wird das Auslassventil geöffnet, der Druck entweicht aus dem Zylinder, und der Kickstarter lässt sich wieder bewegen. Treten Sie ihn langsam durch, bis Sie ahnen, dass der Kolben den oberen Totpunkt erreicht hat. Lassen Sie den Dekompressionshebel los.

    Schalten Sie die Zündung ein und ziehen, wenn nötig, den Kaltstarterhebel am rechten Lenkerende. Blenden Sie die Neugierigen aus, die sich mittlerweile um das Motorrad gesammelt haben. Konzentrieren Sie Ihre innere Energie – fernöstlich Chi genannt – im rechten Bein. Ein kräftiger Tritt auf den Kickstarter bringt den Motor zum Laufen. Wenn er gut eingestellt ist. Wenn nicht: Wiederholen Sie die Prozedur und versichern den Zuschauern: „Sonst springt sie immer auf den ersten Tritt an.“

    Lohn der Mühe: Die außen liegende Schwungscheibe rotiert, der altertümliche 'Ventiltrieb klappert, und der verchromte Doppelauspuff entlässt ein stoisch-langsames Blubb-Blubb-Blubb. Man kann mitzählen. Ganz im Sinne der Enthaltsamkeit braucht's deswegen auch keinen Drehzahlmesser.

    Auch die Leistung kündet von Askese. Der Hersteller gab, südländisch-optimistisch, 25 PS an. Das war in schon in den Siebzigern für eine Fünfhunderter dürftig und führt zu:

    Lektion 2: „Der Weise kennt keine Hast und keine Eile“ (Franquin, „Gaston“)

    Der Winterhäuser Guzzi-Experte Jürgen Lamprecht sagt gerne: „Mit einer Falcone bist Du der langsamste Verkehrsteilnehmer.“ Trotzdem – oder gerade deswegen? – hat er per Falcone schon x-mal Afrika-Touren unternommen. Ganz so schlimm ist es ja auch nicht: Ich habe in vier Jahren sicherlich schon fünf Autos überholt – im Schnitt also immerhin 1,25 Überholvorgänge pro Jahr. Aber darum geht's gar nicht. Es geht darum, durch die Landschaft zu bollern, den Fahrtwind im Gesicht und den Duft von frisch gemähtem Gras in der Nase.

    Das passende Tempo ist erreicht, wenn der Rückspiegel ein klares Bild zeigt. Dann haben die Vibrationen des Eintopfs das richtige Maß, um den Spiegel nicht allzu arg zittern zu lassen und – vor allem! – um Körper und Seele des Fahrers zu massieren. Die Wohlfühlgeschwindigkeit für Mensch und Maschine liegt bei rund 90 km/h, Wer eine Falcone prügelt, bis die Tachonadel bei 120 zappelt, verlässt den Pfad der Weisheit.

    Lektion 3: „Ich will, was ich muss“ (Karl Philipp Moritz, „Andreas Hartknopf“)

    Eines schönen Sommerabends wich ohne Vorwarnung das beruhigende „Blubb-Blubb-Blubb“ unter mir einem unrhythmischen Knallen. Ich rollte in einen Feldweg aus und sah: Die Zündspule kullerte, nur von ein paar Kabeln gehalten, auf dem Motorblock herum. Halterung gebrochen.

    Eine Falcone ist an sich einfach zu reparieren. Ein Schweißbrenner findet sich aber nicht im Bordwerkzeug (ich könnte ihn auch gar nicht bedienen). Ich musste also – gemäß dem Rat des Goethe-Zeitgenossen Moritz – das Schicksal willig akzeptieren. Ich tat's, indem ich einen Abschleppdienst anrief.

    Lektion 4: „Ich kann denken, ich kann warten, ich kann fasten“ (Hermann Hesse, „Siddhartha“)

    Eine gute Stunde verging, bis mich der Mann im Niemandsland zwischen Unter- und Mittelfranken fand. Derweil saß ich in der Abenddämmerung im Gras. Ich hörte den Wind in den Bäumen. Ich hörte das Zirpen der Grillen. Ich hörte das Knistern des abkühlenden Falcone-Motors. Ich beobachtete Fuchs und Hase, die sich wahrscheinlich „Gute Nacht“ sagten. Was blieb mir übrig, als zu denken, zu warten und – es war längst Abendessenszeit – zu fasten.

    Der freundliche Pannenhelfer hat die Guzzi dann doch zum Laufen gebracht, indem er die Zündspule mit „Panzertape“, einem sehr festen Klebeband, an den Rahmen pappte. Es hat die 40 Kilometer bis nach Hause gehalten. Weise geworden, habe ich jetzt immer „Panzertape“ dabei.

    Lektion 5: „Der beste Kampf ist der, der nicht gekämpft wird“ (Zhang Sanfeng, Tai-Chi-Meister)

    Moto Guzzi hat die Nuovo Falcone auch als Militärkrad entwickelt. Es gibt kaum etwas, was weniger aggressiv, weniger kriegerisch, weniger bedrohlich ist als eine Falcone. Wäre alles Militärgerät wie dieser entspannende 214-Kilo-Eisenhaufen (null Plastik!) – die Welt wäre friedlicher. Und die Militärs wären sicherlich weiser.

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