Öko, Sie werden uns vielleicht für emotional verrenkt oder zumindest verhaltensoriginell halten, wenn wir hier, in einer seriösen Tageszeitung, in der normalerweise Hochdeutsch geschrieben wird, plötzlich mit dem Entsnowden von Jugendsprache anfangen. Nein, wir wollen uns damit auf keinsten bei den jüngeren Lesern einlanzen oder deren Wortneuschöpfungen krass feiern. Sie zu bomben liegt uns auch fern. Manch einer wird angesichts der ungewohnten Wendungen eine Vergewaltigung der deutschen Sprache oder zumindest eine Antikompitenz vermuten und eine Gesichtspalme machen. Brennst du? BTW: Falls das ein Trost ist – sie stammen alle aus einem Wörterbuch, sind also somit Teil der deutschen Sprache. Gerade ist „100% Jugendsprache 2016“ bei Langenscheidt erschienen – ein Grund, sich genauer damit zu befassen. Wir sind schließlich nicht bildungsresistent. Weil wir natürlich nicht guttenbergen, haben wir mit Linguist Nils Bahlo über das Phänomen Jugendsprache gesprochen. Für alle, die nicht merkeln und sich entschieden haben, nicht entspannungsorientiert zu sein, sondern rubbeldiekatz weiterzulesen: Alles Geile für die weiteren Zeilen. Lass Haare wehen…
„Die Jugendsprache an sich gibt es nicht. Es ist keine Sprache, die man erlernen kann. Es ist eine Spielart der deutschen Sprache, wie ein Dialekt“, sagt der Linguist an der Uni Münster. Gesprochene Sprache sei die natürlichste Form von Sprache, sagt er. Jugendsprache variiere in vier Dimensionen: „Die wichtigste ist die Region – darauf bauen die Stile auf“, erklärt Bahlo. Dann sei die Zeit entscheidend, welche Moden vorherrschen, welche mediale Entwicklung es gebe. „Neue Kommunikationsformen führen zu neuen Ausdrücken“, erklärt Bahlo. Vor 20 Jahren hätte niemand verstanden, was „ich simse dir das gleich“ bedeutet. Inzwischen versteht jeder Handynutzer, dass so eine Kurznachricht angekündigt wird. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort googeln, das es inzwischen sogar in den Duden geschafft hat. Was das bedeutet? Das muss nun wirklich nur noch ein Offliner googeln…
Zurück zu den Dimensionen der Jugendsprache. Nummer drei ist laut Bahlo die „Schicht“, womit er das Bildungsniveau meint, in dem sich die Person bewegt und zu welcher Gruppe sie gehört. Schließlich sei noch der Moment entscheidend: „Jugendliche können sehr wohl entscheiden, in welcher Situation sie wie sprechen“, sagt Bahlo. Sprache sei ein Instrument, um sich auszuprobieren, sich abzugrenzen und auch zu einer Gruppe zugehörig zu zeigen. Einige Erwachsene fassen laut Bahlo Jugendsprache als Provokation auf, sind irritiert – dabei komme es den Jugendlichen mehr auf Identifikation denn auf Provokation an. Also: Bleibt mal cremig! Oder: Heul leise!
Aber: Alles nicht neu. Oder anders gesagt: SOS. Denn: In Keilschriften aus Ur und zu Zeiten von Aristoteles haben die Älteren über die Jüngeren geschimpft, sahen das Ende der Welt nahen. Manch ein Text klingt da fast nach Besserdisser oder GOML. Bahlo lächelt, wenn er an diese Schriften aus seinem Studium denkt und ist gelassen: „Die gute, alte Zeit, von der wir in 20 Jahren sprechen, ist heute“, sagt der Wissenschaftler. Er sieht die deutsche Sprache nicht in Gefahr, weder durch Fremdwörter noch durch Wortneuschöpfungen. „Jede aktive Sprache befindet sich im Wandel, nur eine tote Sprache entwickelt sich nicht weiter.“ Im Deutschen befinden sich bereits Fremdwörter aus anderen Sprachen, die wir abgewandelt und übernommen haben wie Fenster, Lokal, Portemonnaie. Darüber regt sich niemand mehr auf. Übrigens: Einst seien sogar Goethe und Schiller als vulgär verschrien worden, betont der Experte.
„Das Spiel mit Sprache gehört zum Elaborieren von Sprachkompetenz. Das Ausprobieren ist wichtig“, sagt Bahlo und sieht durchaus kreative und schlaue Elemente in den Ausdrücken. Anstatt Jugendsprache zu verteufeln, empfiehlt er, den Jugendlichen zu vermitteln, in der richtigen Situation die richtige Sprache anzuwenden.
Und? Wie fühlen Sie sich jetzt, Digga? Wie ein Cheater? Oder eher wie ein Alpha Kevin? Denken Sie Revo!, Cool Story, Sis! oder befürchten Sie, Augenkrebs zu bekommen? FISH. Man muss ja nicht gleich immer alles porno finden. Machen Sie doch einfach den Chillinger. Vielleicht mit einem Eskimo-Flip? Oder einem Fußpils bei einem Ghettocheck? Dafür müssen Sie auch nicht tebartzen. Auf jeden Fall: Don?t be a Lemon! Sonst könnte es wirken, dass Sie so 2014 sind, ein Problemiker, ein Ödling oder gar eine Evolutionsbremse.
„100% Jugendsprache 2016“: Langenscheidt, 160 Seiten, 3,99 Euro, mit englischen Übersetzungen