Wer schon einmal eine eitrige Mandelentzündung (Tonsillitis) hatte, weiß, wie belastend das ist. Fieber, Schwäche, ausgeprägtes Krankheitsgefühl und schlimme Halsschmerzen, besonders beim Schlucken. Viele erhoffen sich durch eine Operation Besserung. Die Entfernung der Gaumenmandeln, Tonsillektomie genannt, ist die häufigste stationäre Operation im Kindes- und Jugendalter und die häufigste Leistung der Fach- und Belegabteilungen für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. So steht es im „Faktencheck Mandeloperation“ der Bertelsmann Stiftung. Und es wird darin beklagt, dass es große regionale Unterschiede bei der Zahl der Eingriffe gebe, was den Verdacht nährt, es werde mancherorts zu häufig operiert.
Professor Johannes Zenk, Chefarzt der HNO-Klinik am Augsburger Klinikum, ist einer, der diesem Verdacht widerspricht. HNO-Ärzte und -Kliniken machen sich viele Gedanken darüber, die Indikation für den mitunter gefährlichen Eingriff sinnvoll und richtig zu stellen, erklärt er. Über die vergangenen 20 Jahre betrachtet, sei die Operation auch deutlich seltener geworden. Denn: Auch „bei der besten Technik, die man machen kann“, stellen Nachblutungen und andere Komplikationen ein Risiko dar, so Zenk.
Man müsse stets abwägen, ob der Eingriff den Patienten auf Dauer nützt, und den Einzelfall genau betrachten. Nicht bei jeder Mandelentzündung müsse sofort operiert werden, selbst eine Antibiotikabehandlung sei häufig nicht notwendig, da oft eine virale Entzündung mit Halsschmerzen vorliegt. Mehrere Fachgesellschaften haben sich auf neue Therapie-Empfehlungen verständigt, die für mehr Klarheit sorgen sollen. Die neue Leitlinie wurde auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO KHC) vorgestellt.
Demnach erkrankt jedes Kind im Verlauf der ersten Lebensjahre mehrfach an Entzündungen von Rachen und Mandeln. Für den Körper ist es eine normale Abwehrreaktion: „Die Mandeln haben die Eigenschaft, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, sie prägen das Immunsystem“, sagt Zenk. Auch junge Erwachsene hätten häufig eitrige Mandeln. Darauf habe man früher schnell reagiert. Inzwischen jedoch sei man zurückhaltender geworden. „Man hat gesehen, dass es nicht sinnvoll ist, schon nach der zweiten Mandelentzündung die Mandeln herauszunehmen“, sagt Zenk. Zumal das Nachblutungsrisiko bei Erwachsenen noch höher sei als bei Kindern.
„Die Tonsillitis ist eine der häufigsten Anlässe für den Arztbesuch, und Mandeloperationen gehören zu den 20 häufigsten Anlässen für Krankenhausbehandlungen in Deutschland“, erläutert Professor Jochen Windfuhr, Chefarzt in Mönchengladbach, der die Leitlinie „Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln“ maßgeblich mitentwickelt hat.
Ein erklärtes Ziel der Leitlinie ist es, Diagnose und Behandlung der Tonsillitis zu vereinheitlichen. „Die akute Tonsillitis wird zu 70 bis 95 Prozent der Fälle durch Viren ausgelöst“, so Windfuhr. „Antibiotika sind dann wirkungslos, sie können nur bei Entzündungen durch Bakterien helfen.“ Wann dies der Fall ist, kann der Arzt allein durch einen Blick in den Rachen nicht immer sicher entscheiden, die Leitlinie stellt zwei altersabhängige Punktesysteme vor. Diese bewerten neben der Schwellung der Mandeln auch Fieber, Husten und Lymphknotenschwellung mit Punkten. Erst ab einem bestimmten Punktewert wird ein Antibiotikum empfohlen.
Nicht jede schwere Mandelentzündung macht eine Operation nötig. Die Entscheidungsgrundlage ist die Zahl von Halsschmerz-Episoden in den vergangenen zwölf Monaten. Bei weniger als drei Episoden rät die Leitlinie von einer Operation ab. Bei drei bis fünf Episoden kann die Tonsillektomie durchgeführt werden, bei sechs oder mehr Episoden ist sie „eine therapeutische Option“. „Bei mehrfach wiederkehrenden Mandelentzündungen hat sich die Mandelentfernung bewährt“, sagt Windfuhr. Sie sei aber keine Notoperation. „Nur in besonders schweren Fällen sollte die Operation zügig erfolgen.“
Man müsse sich aber immer auch nach dem individuellen Patienten richten, sagt Zenk. „Wenn er zum Beispiel binnen zwei Monaten drei bis vier Mal Antibiotika benötigt hat, dann macht es Sinn, mit ihm zu sprechen“ – und gemeinsam mit ihm Nutzen und Risiko eines Eingriffs abzuwägen. Bei mehr als sechs eitrigen Mandelentzündungen pro Jahr sollten die Mandeln raus. Schließlich bedeute jede eitrige Mandelentzündung eine Belastung für den Körper. Eine unbehandelte Tonsillitis könne gefährlich werden und zu Komplikationen oder zu Schäden an Nieren und Herz führen.
Und dann ist da noch die Mandel-verkleinerung. Sind die Mandeln, wie es besonders bei Kindern zwischen drei und fünf Jahren vorkommt, stark vergrößert, müssen bei einer eventuellen Operation nicht die ganzen Mandeln entfernt werden. Eine Teilentfernung, Tonsillotomie genannt, ist eine Option, die auch in der Leitlinie empfohlen wird. Sie hat sich laut Windfuhr in schwedischen Studien bei Kindern und jungen Erwachsenen bewährt. „Die Tonsillotomie ist für die Patienten sehr viel weniger belastend. Anfängliche Bedenken, dass in den Mandelresten Entzündungskomplikationen programmiert sind, haben sich nicht bestätigt“, erklärt er.